Gabriel: Energiekonzerne können Atom-Ausstieg bezahlen

Monatelang haben Wirtschaftsprüfer die Bücher von EnBW, Eon, RWE und Vattenfall durchleuchtet. Das Ergebnis aus Sicht der Regierung: Die vier Atomkonzerne bestehen den Stresstest, allerdings nicht im Worst-Case-Szenario.

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Kaputte Steckdose
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Von
  • Tim Braune
  • dpa

Die vier großen Stromkonzerne in Deutschland können nach Einschätzung der Bundesregierung die Milliardenkosten des Atomausstiegs zusammen bewältigen. "Die Vermögenswerte der Unternehmen decken in Summe die Finanzierung des Rückbaus der Kernkraftwerke und der Entsorgung der radioaktiven Abfälle ab", sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) am heutigen Samstag, den 10. Oktober. Er hatte im Juni bei Wirtschaftsprüfern einen Stresstest der Atomkonzerne EnBW, Eon, RWE und Vattenfall in Auftrag gegeben.

Erstmals gibt es für den Atomausstieg nun auch ein Preisschild: Dem Gutachten zufolge würde das Ende der Kernenergie in Deutschland mit Abriss der Kernkraftwerke und Endlagerung des Atommülls zu aktuellen Preisen rund 47,5 Milliarden Euro kosten. Es wird erwartet, dass diese Kosten bei einem effizienten Rückbau um mindestens sechs Milliarden Euro niedriger ausfallen könnten. Die Versorger sehen sich durch das Gutachten bestätigt. "Es akzeptiert damit die seit Jahrzehnten geübte Rückstellungspraxis", teilten EnBW, Eon, RWE und Vattenfall mit. Die Branche wolle sich nicht drücken. Es stehe außer Frage, dass die Unternehmen "zu ihren heutigen Verpflichtungen aus der Kernenergie stehen".

Der Stresstest zeigt aber auch, dass die Konzerne in einem Worst-Case-Szenario – also unter extrem ungünstigen Umständen – in den nächsten Jahrzehnten bis zu 77,4 Milliarden Euro an Rückstellungen aufbringen müssten. Bis heute haben sie 38,3 Milliarden Euro gebildet. Im schlimmsten Fall wäre also mehr als das Doppelte nötig. So ein Szenario hält Gabriel aber für unwahrscheinlich, weil es extrem hohe Kosten und negative Zinsen für die Konzerne in den kommenden 85 Jahren voraussetzt. Die dem Extrem-Szenario zugrundeliegenden Zins- und Kostenentwicklungen seien praxisfremd und fänden in keiner Branche Anwendung, kritisierten die Versorger. Die Vorsorge für Verpflichtungen aus der Kernenergie in Deutschland liege auch im internationalen Vergleich auf hohem Niveau.

Die Wirtschaftsprüfer verweisen auf das Vermögen der vier Konzerne. Der derzeitige Gesamtwert von 83 Milliarden Euro reiche in jedem Fall aus, alle Kosten abzudecken. In den günstigsten Fällen würden laut Szenarien 25,1 bis 29,9 Milliarden an Rückstellungen ausreichen. Manko des Gutachtens ist, dass alle durchgerechneten Angaben sich nur auf alle vier Konzerne zusammen beziehen. Daten zu den einzelnen Unternehmen werden nicht preisgegeben. Das sei aus Gründen des Betriebsgeheimnisses nicht möglich, hieß es. So bleibt unklar, ob jeder einzelne Konzern seine Verpflichtungen auch allein schultern könnte. Ein Haftungsverbund der Atomkonzerne läuft voraussichtlich 2022 aus.

Mit Spannung wird nun erwartet, wie zu Wochenbeginn Börsen und Analysten auf die Ergebnisse des Stresstests reagieren. Als Mitte September erste Zahlen zu den Worst-Case-Annahmen durchsickerten, brachen die Aktienkurse von Eon und RWE zeitweise regelrecht ein. Die Unternehmen stehen unter enormem Druck, weil sie in ihrem klassischen Kraftwerksgeschäft wegen des Ökostrombooms kaum noch etwas verdienen.

Der Stresstest gehört zu einem Maßnahmenpaket, mit dem Gabriel den nach der Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 beschlossenen Atomausstieg wasserdicht machen will. So soll das Kabinett am kommenden Mittwoch ein Gesetz von Gabriel verabschieden, das verhindern soll, dass sich die Energiekonzerne durch die Abtrennung ihrer Atomtöchter vor der Haftung drücken. Eon entschied daraufhin, seine Atomkraftwerke nun doch im Mutterkonzern zu lassen und nicht wie geplant in ein neues Unternehmen auszulagern.

Das letzte Kernkraftwerk in Deutschland soll 2022 abgeschaltet werden. Auch wird die Regierung eine neue Atom-Kommission einsetzen, der unter anderem die Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) und Jürgen Trittin (Grüne) angehören sollen. Die Expertengruppe soll bis zum Frühjahr Vorschläge machen, wie die Finanzierung des Atomausstiegs langfristig gesichert werden kann. Im Gespräch sind eine Atom-Stiftung und eine Fondslösung. (un)