PC-Schrauber, zur Kasse!

Unter Berufung auf alte Patente für typische PC-Komponenten wie Grafikkarte, Tastatur und Floppy-Laufwerk will IBM in der gesamten PC-Branche hohe Lizenzgebühren eintreiben.

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Von
  • Christian Persson
Inhaltsverzeichnis

Bei der Dreieicher DRV GmbH platzte die Bombe ausgerechnet am 1. April - und gäbe es nicht eine Vorgeschichte, hätte Inhaber Dr. Heinrich Böhmer den Brief wohl für einen schlechten Scherz gehalten: `Nach unseren Testergebnissen eines DRV- GT25-Systems, Seriennummer 575/960021, das am 5. März 1996 erworben wurde, verletzt die DRV Dr. Böhmer GmbH anscheinend folgende europäische IBM-Patente', schreibt Mel Dikkers, Director of Licensing der `IBM Europe Middle-East Africa' in Paris. Es folgen elf Patentnummern und die Aufforderung, eine Lizenzvereinbarung abzuschließen, verbunden mit einem Hinweis auf signifikante Verbindlichkeiten aus bisherigen Patentverletzungen.

Vorausgegangen war, schon im September 1995, eine freundliche Einladung zu einem Gespräch über IBMs Lizenzierungspraxis. Die DRV GmbH vermarkte Computer, die dem IBM Personal Computer funktional ähnelten, schrieb Direktor Dikkers damals. Deshalb sei wohl anzunehmen, daß dabei Erfindungen benutzt würden, die von IBM-Patenten abgedeckt seien, und daß die DRV GmbH vielleicht eine Lizenz benötige. Dr. Böhmer hatte höflich abgelehnt: Nein, man stelle überhaupt keine Baugruppen selbst her, sondern assembliere lediglich PCs aus eingekauften Teilen.

IBMs Lizenzdirektor dankte für die Informationen und organisierte dann den Testkauf, um den Delinquenten zu überführen. Ob Hersteller oder nur Assemblierer von PCs - für den Juristen ist das von sekundärer Bedeutung. Einige der Patentansprüche, sagte Dikkers gegenüber c't, kämen überhaupt erst beim Zusammenfügen von Komponenten zum Tragen. Außerdem hätten nicht alle Hersteller von Komponenten eine Lizenz erworben. Zahlen muß im Zweifelsfall derjenige, der die Produkte in Verkehr bringt.

Die Titel der Patente, die Big Blue der 40-Mann-Firma vorhält, lesen sich wie eine Liste typischer Konstruktionsmerkmale von Standard-PCs (siehe Kasten). Bei genauerem Blick in die Patentschriften entpuppen sich manche der Erfindungen als trivial. IBMs Personal Computer war ja technisch alles andere als richtungsweisend. Die patentierte Technik war schon damals nicht innovativ, sondern bestenfalls eigenartig. Aber die ersten PC-Cloner in den 80er Jahren kupferten alles ab, was IBM zusammengebastelt hatte - großenteils `blind', ohne Ansehen der technischen Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit. Das erste Gebot der Clone-Fabrikation lautete ja: Du sollst kompatibel sein! PC-Clones mußten sich unter allen Umständen genau so verhalten wie das Original, inklusive aller Unzulänglichkeiten. Dieses Prinzip wirkt bis heute fort.

Dabei hat IBM längst aufgehört, die technische Fortentwicklung des PC zu bestimmen. Seit 1987 der Versuch scheiterte, der Industrie den Microchannel aufzuzwingen, hat Big Blue kaum noch Nennenswertes beigetragen. Alles, was die Leistungsfähigkeit eines modernen PC ausmacht, stammt von Intel, Microsoft, Seagate, S3 und anderen. Aber die Rechner schleppen noch den Ballast ihrer Entwicklungsgeschichte mit sich herum - und für diese alten `Erfindungen' will IBM jetzt kassieren. Welche Ironie. Da ist zum Beispiel das Patent Nr. EP-167826 `Diskette Drive and Media Type Determination': PC-Anwender kennen die typischen schnarrenden Geräusche nach dem Einschalten, die dieser IBM-Erfindung zu verdanken sind. Der Kopf des Laufwerks wird auf Spur 45 positioniert und dann in Einzelschritten zurückgefahren. An der Anzahl der Schritte bis zum Erreichen von Spur 0 kann man erkennen, ob das Laufwerk wirklich mehr als 40 Spuren hat oder ob der Kopf zuvor am Anschlag war. Der Witz: Tatsächlich arbeitet das BIOS stets mit dem Laufwerkstyp, der im Setup eingetragen ist. Trotzdem läuft die unsinnige Prozedur bis heute in den meisten PCs ab.

Patentiert ist auch das serielle Interface für PC-Tastaturen (siehe Schaltplan): Der Tastatur- Controller prüft über Sense Clock und Sense Data, ob eine seiner beiden Signalleitungen von der Gegenseite auf Low-Pegel gehalten wird. In diesem Fall führt er einen Reset aus beziehungsweise wartet mit dem Übermitteln des nächsten Scan- Codes. Empfangsseitig wandern die Daten in ein Schieberegister mit nachgeschaltetem D-Flipflop. Jedesmal, wenn das Startbit im Flipflop angekommen ist, löst dieses einen Interrupt aus und hält über einen Treiber die Datenleitung auf Low, bis das Byte abgeholt ist. Für diese triviale Schaltung erhielt IBM das US-Patent US-4460957 und das europäische Patent EP-71747.

Die Lizenzabteilung von Direktor Mel Dikkers verwaltet einen Schatz von tausenden Patenten. Das kostbare und für die PC-Branche so teure Portfolio an PC-Patenten hat IBM in den 80er Jahren aufgebaut. Keine der einschlägigen Erfindungen ist jünger als sieben Jahre. `Diese Patente sind gerade deshalb besonders gefährlich, weil sie so alt sind', kommentierte ein Stuttgarter Patentanwalt gegenüber c't. IBM kann rückwirkend Ansprüche in astronomischer Höhe erheben. Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen wäre der Streitwert entsprechend hoch - und damit auch die Anwalts- und Gerichtskosten. Bei dem Versuch, die Ansprüche anzugreifen, müßten die Betroffenen mit einem Kostenrisiko von 50 000 bis 100 000 Mark rechnen - pro Patent. `Da haben kleinere Firmen keine Chance', sagte der Patentanwalt, `es sei denn, sie schließen sich zusammen und wehren sich gemeinsam.'

IBM begann 1988, sein Patent-Portfolio in der PC-Branche `auszuwerten'. Die großen Hersteller machten nach einigem Sträuben ihren Frieden mit Big Blue - teils mit Lizenzaustauschabkommen, wie etwa Compaq, teils mit millionenschweren Pauschalverträgen. Mit einigen fernöstlichen Clonern ist IBM aber bis heute nicht im reinen - und dafür sollen jetzt die Händler bluten, die dort einkaufen. Direktor Dikkers verweist auf die Rechtslage: `Wer den Vorteil aus der Nutzung eines IBM- Patentes zieht, muß die Lizenzgebühr zahlen. Wenn jemand Produkte aus einer nicht lizenzierten Quelle kauft und in einem Land in Verkehr bringt, in dem das Patent gilt, ist er lizenzpflichtig.'

Welche Hersteller unter IBM-Lizenz produzieren und welche nicht, ist freilich kaum zu ermitteln. Eine Liste oder Datenbank, anhand derer Firmeneinkäufer sich orientieren könnten, gebe es nicht, bestätigte Dikkers. Er könne nur allgemein darauf hinweisen, daß IBM manche Erfindungen in manchen Ländern gar nicht zum Patent angemeldet habe: `Es liegt in der Verantwortung der Firmen selbst, beim Einkauf von Komponenten die notwendigen Informationen einzuholen.'

Damit ist klar, wer den Schwarzen Peter hat: Assemblierer wie die Dreieicher DRV GmbH, die sich auf dem Markt mit Standardkomponenten versorgen. Da hilft es gar nichts, wenn Inhaber Dr. Böhmer mit dem Hinweis protestiert, daß `außer uns in Deutschland ca. 8000 Firmen wie wir PCs aus industriell vorgefertigten Teilen assemblieren, die damit alle Ihre Patentrechte verletzen würden'. Dikkers Antwort: `Wir werden allen Fällen nachgehen, von denen wir Kenntnis erhalten.'

Nach dem Abkassieren bei den Herstellern in den USA und mehr oder weniger erfolglosen Bemühungen bei fernöstlichen Clonern und Baugruppen-Produzenten hat sich IBM dem europäischen Kontinent zugewandt. Mittlerweile sind die einschlägigen Patente auch beim Europäischen Patentamt anerkannt. Die großen deutschen Hersteller und Discounter waren als erste dran. Siemens (SNI) schloß ein Austauschabkommen. Escom zahlt dem Vernehmen nach fünf Millionen DM pro Jahr an Lizenzgebühren. Vobis dagegen wehrt sich gegen die Forderungen. `Wenn man sich die Stichhaltigkeit von einigen dieser Patente anguckt', wetterte Vobis-Chef Theo Lieven, `dann wird doch damit das ganze Patentwesen lächerlich gemacht.' Er gehe davon aus, daß weniger als 10 Prozent der Ansprüche Substanz hätten. Diese IBM-Patente müsse man aber nicht nutzen, sondern könne sie umgehen. Dazu habe Vobis zusammen mit dem Hersteller Award, an dem Vobis beteiligt ist, ein `sauberes' BIOS entwickelt. `Wer zahlt, ist selbst schuld', sagte Lieven. `Diese ganze Patentabzockerei ist eine Lachnummer.'

Die kleinen Assemblierer haben nichts zu lachen. IBM verlangt pro Patent 1 Prozent vom Verkaufspreis jedes PC - bei mehreren Patenten maximal 5 Prozent. In den meisten Fällen dürfte der Höchstsatz zur Anwendung kommen; bei dem Standard- Rechner aus DRV-Fertigung führte IBM immerhin elf Patente an. Dazu kommen noch die Nachforderungen für frühere Jahre.

`Wenn IBM damit durchkommt', konstatiert Dr. Böhmer von der DRV GmbH, `dann können wir nur noch zumachen. Dann sind 40 Arbeitsplätze dahin.' Dasselbe dürfte für jedes kleinere Unternehmen gelten, das von IBMs Portfolio-Auswertung erfaßt wird: Fünf Prozent - das ist bei der aktuellen Situation am Markt die gesamte Marge, die mancher kleine Händler beim Verkauf eines PC erzielt. Will IBM in der PC-Branche den radikalen Kahlschlag betreiben, bei dem nur noch die ganz Großen eine Überlebenschance haben? Aber keineswegs, lautet die Antwort aus der Lizenzabteilung in Paris. Man könne doch nichts dafür, daß die betroffenen Firmen nicht von sich aus um eine Lizenz nachgesucht hätten, wie es von Anfang an erforderlich gewesen wäre. Daß man sie jetzt nach Jahren mit hohen Nachforderungen konfrontieren müsse, liege an der großen Arbeitsmenge, die die Patentabteilung zu bewältigen habe: `Wir haben bei den Großen begonnen und kommen jetzt allmählich hinunter zu den Kleineren.'

Verschont wird niemand. IBM versuche sicherzustellen, heißt es in einer Erklärung, daß alle Firmen Lizenzen erwürben, die ihre patentierten Erfindungen nutzten - `aus Fairneß gegenüber allen ihren Lizenznehmern'. (cp) (cp)