Vernissage im Netz

Trotz Internet-Manie und 3D-Hype gibt es sie noch, die klassischen Mal-, Zeichen- und DTP-Programme. In Nischen wie dem Bildcomposing sind sogar bahnbrechende Neuerungen zu verzeichnen.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Dr. Jörn Loviscach
Inhaltsverzeichnis

Große wie kleine Hersteller von Grafik-Software sind damit beschäftigt, ihre Programme Internet-tauglich zu machen. Das interessanteste Ergebnis zeigte Kodiak, Karlsruhe: SmartSketch Animation für Windows und Macintosh, eine Erweiterung des genialen Mal- und Zeichenprogramms SmartSketch (siehe c't 9/95, S. 50). Es verfügt über die typischen Funktionen von Zeichentrickprogrammen, arbeitet aber vektororientiert und damit speicherplatzschonend. Klar, daß es ein Netscape-Plug-In geben wird, mit dem sich SmartSketch-Animationen darstellen lassen. Netscape selbst fliegt auf dieses Programm, und so konnte man am Kodiak-Stand schon einen Prototypen von Netscapes Homepage bewundern, auf dem die Schaltflächen zu leben begonnen haben.

Auch Iterated Systems hat, nachdem der große Durchbruch der `fraktalen Bildkompression' ausblieb, das Netz entdeckt. Auf http://www.iterated.com ist der Fractal Viewer frei verfügbar, ein Netscape-Plug-In, mit dem sich fraktal komprimierte Bilder betrachten lassen (FIF-Dateien). Das zugehörige Kompressionsprogramm Fractal Imager ist als Shareware (39 US-$) ebenfalls per Internet zugänglich, für Entwickler stehen sogar C- und C++- Bibliotheken bereit. Im Internet profitiert die fraktale Kompression deutlich von ihren Vorteilen gegenüber JPEG: schon beim Laden erscheint das Bild - zunehmend größer oder schärfer, und das bei durchgängig besseren Kompressionsraten, als sie bei JPEG erträglich sind.

Mit einem Netscape-Plug-In `Cool Fusion', das AVI-Filme abspielt, (ebenfalls Freeware) will Iterated Systems beweisen, daß Standard-Video per Internet machbar ist. Viel interessanter war die Beta-Version eines Plug-Ins für fraktal komprimiertes Video: bei Datenraten von nur 48 kBit/s sah das Ergebnis schon ganz passabel aus.

Auch Corel nimmt sich dem Internet an: Move, das aus dem alten CorelDraw-5.0-Paket bekannte Zeichentrickprogramm, mutiert zu WebMove. Nun erzeugt es Animationen als mehrschichtige GIF-Bilder oder als Java-Programmcode. Auch Corels DTP-Software wird fit fürs Internet: Ventura 6.0, in einer Alphaversion zu sehen, wird seine Dokumente als Java-Code ausgeben können (`Vipertext'). Java-fähige Browser zeigen damit auch aufwendigere Layouts korrekt an - und das ohne Hilfe eines Plug-Ins. Neben den bereits bekannten Neuerungen in Ventura 6.0 (siehe c't 4/96, S. 226) fiel bei der Vorführung vor allem das neue `Navigator'-Fenster ins Auge, das die Dokumentstruktur grafisch zeigt, aber zum Beispiel auch die Indexerstellung vereinfacht.

Fontspezialist Bitstream hat einen Weg gefunden, Zeichensätze über das Netz zu übertragen, ohne an rechtlichen Problemen oder zu großen Datenmengen zu scheitern. TrueDoc nennt man die Technik, die das leistet, was Adobe Acrobat nicht schafft: selbst ausgefallene Zeichensätze korrekt auf Web-Seiten darzustellen - insbesondere auch Symbolschriften. Um das zu schaffen, zeichnet TrueDoc die Form (Umrißkurve) aller benötigten Zeichen auf und erzeugt daraus eine hochkomprimierte `Portable Font Resource'. Sie wird neben dem eigentlichen Text über das Internet geschickt und beim Empfänger von einem `Character Shape Player' ausgewertet, sogar mit Anti-Aliasing. Das Verfahren wird Drittanbietern zur Lizenzierung angeboten.

Vielleicht als Reaktion auf Bitstreams Aktivitäten hat Schriftpionier Adobe im Verein mit Apple und Netscape angekündigt, daß Acrobat/Amber in der nächsten Version Type-1- und TrueType-Schriftdaten als Bestandteil von HTML- und PDF-Dokumenten verarbeiten kann.

Mit den kurz bevorstehenden Final-Versionen von Autodesk 3D Studio MAX und Microsoft Softimage ist Windows NT unversehens zur Plattform für professionelles Arbeiten in 3D geworden (zu 3D Studio MAX siehe S. 82, zu Softimage c't 4/96, S. 88). Auch in den Preisbereich zwischen 1000 und 2000 Mark kommt Bewegung: mit Maxon Cinema 4D (siehe c't 4/96, S. 48) und mit Macromedia Extreme 3D (Vertrieb: Softline). Beide waren auf der Messe in Vorversionen für Windows 95 und für Macintosh zu sehen. Extreme 3D ist der stark erweiterte Nachfolger von Macromodel, einem Spline-basierten 3D-Editor, der stark an 2D-Zeichensoftware wie FreeHand erinnert - nicht zu seinem Nachteil. Neben Animationsfunktionen ist in Extreme 3D auch ein eigener Renderer hinzugekommen (Macromodel lag noch Pixar Renderman bei). Zwei herausragende Eigenschaften des neuen Renderers sind die Netzwerkfähigkeit und die Darstellung sichtbarer Lichtkegel. Extreme 3D soll als Vollversion 1360 DM kosten, ein Cross-Update wird für 469 DM zu haben sein. Fast fertig ist auch die Version 4.0 von Animation Master für Windows und MacOS (Vertrieb: Kodiak, Karlsruhe; zur Version 3.0 siehe S. 262). In ihr wird der Editor für prozedurale Texturen wie Holz oder Marmor wieder enthalten sein. Außerdem beherrscht sie Partikelanimationen, Bewegungsunschärfe und ein besseres Antialiasing.

Fractal Design Poser (Vertrieb: Letraset und Softline), die digitale Gliederpuppe, ist jetzt auch für Windows 95 erhältlich. Für 399 DM gibt's die englische Version, bis zum 31. Mai zahlt man nur 279 DM. Hauptzweck dieser Software ist, realistische Modelle von Menschen als DXF-Dateien für die gängigen 3D-Programme zu liefern. Micrografx liefert jetzt die einfache 3D-Software Instant 3D mit der ABC Graphics Suite aus (siehe c't 2/96, S. 50). Außerdem hat man den 3D-Softwarespezialisten Visual Software aufgekauft. Vorerst gab es aber keine genauen Angaben über zukünftige gemeinsame Produkte.

Apples Betriebssystemunterstützung für 3D steht der nächste große Schritt bevor: QuickDraw 3D 1.0.5 soll auch komplette Animationsfilme in einer einzigen Datei unterbringen. Außerdem wird erstmals eine Schnittstelle für Rendering-Module zur Verfügung stehen. Andere Hersteller sind dann in der Lage, den Echtzeit-Renderer von QuickDraw 3D zum Beispiel durch photorealistische, aber langsame Ray-Tracer oder Radiosity- Renderer zu ergänzen - sicher auch eine lohnende Aufgabe für Shareware- Entwickler.

Unterdessen versorgt Microsoft die Entwickler mit Betas von Direct3D, der 3D-Grafikschnittstelle für das untere Ende der Preisskala - eine Weiterentwicklung der Reality-Lab- Technik, die man letztes Jahr samt dem Hersteller RenderMorphics eingekauft hat. Die Final- Version von Direct3D soll noch in der ersten Jahreshälfte erscheinen. Zu OpenGL, nicht nur bei Microsoft die 3D-Schnittstelle für das `obere Ende', liefert Portable Graphics die Klassenbibliothek Open Inventor 2.1.1 (Vertrieb: Integrierte Informationssysteme, Konstanz). In den Versionen für Windows NT und 95 hat man Open Inventor, eine Sammlung von Viewern, Editoren, Manipulator-Klassen und anderen Hilfen zur OpenGL-Programmierung, um eine Anbindung an die MFC-Klassen ergänzt.

In der Version 2.0 des VRML-Standards zur Beschreibung virtueller 3D-Welten (zum Beispiel für das Internet) könnten SiliconGraphics' OpenInventor (Basis für VRML 1.0) und Apples QuickDraw 3D unerwartet zusammenrücken. Apples Werbung für das hauseigene 3DMF-Datenformat beim Ringen um den neuen Standard scheint gefruchtet zu haben, so daß man beim `Moving Worlds'-Vorschlag von SiliconGraphics und Netscape dabei ist. Indes wußte auf der CeBIT bei SiliconGraphics noch niemand etwas von einer Kooperation mit Apple ...

Die Hersteller von Bildbearbeitungssoftware glauben, zwei Massenmärkte entdeckt zu haben - einerseits die sogenannten Office-Benutzer und andererseits Privatleute, die ihre Schnappschüsse für Fotoalbum oder Internet aufbereiten wollen. Gleich drei preisgünstige Programme richten sich an diesen Kundenkreis: MGI, neuer Eigentümer der DTP-Software Calamus, bringt mit der PhotoSuite für 99 DM ein einfaches Bildbearbeitungs- und Katalogisierungsprogramm in Versionen für Windows (3.1 bis NT) und OS/2. Malwerkzeuge und Effektfilter stehen neben Konvertierungsfunktionen und der Fähigkeit, Diashows anzuzeigen - samt WAV- und MIDI-Musikuntermalung.

Ulead präsentierte den Nachfolger von ImagePals: PhotoImpact 3.0 (ja, die erste Version heißt 3.0), für 299 DM bei Softline zu haben. PhotoImpact beherrscht Objekte, Transparenz, Schatten und mehrfaches Undo, es dreht schief gescannte Bilder automatisch gerade und enthält Unmengen an Effekten. Teils fühlt man sich deutlich an Texture Explorer, Gradient Designer und Page Curl aus den legendären Kai's Power Tools erinnert. Die mit PhotoImpact gelieferte neue Version von Ulead Album ist eine ernstzunehmende Bilddatenbank. In dem Markt, den MGI und Ulead anvisieren, will auch Adobe vertreten sein: mit PhotoDeluxe für Macintosh und demnächst für Windows; in Preis und Funktionsumfang wird es zwischen PhotoImpact und PhotoSuite angesiedelt sein.

Wenig Neuheiten bei der Zeichensoftware - erwähnenswert allenfalls, daß hier Micrografx mit Windows Draw 4.0 zum Preis von 149 DM inklusive 250 Fonts und 15 000 Cliparts den Massenmarkt sucht. Sogar ein einfaches Bildbearbeitungsprogramm ist enthalten: PhotoMagic. CorelDraw für den Macintosh scheint sich langsam zu materialisieren, man spricht nun von einer Final-Version im Sommer. Nicht mehr ganz neu ist das Vektorgrafikprogramm Corel Xara (Test in c't 3/96, S. 68) und die Diagrammsoftware CorelFlow 3. Beide sind nun für je 249 DM in Deutsch zu haben. Das Warten auf CorelDraw 7 wird mindestens bis Oktober dauern.

Kein Abfallprodukte fürs Internet, sondern einen echten Fortschritt bedeuten Composing- Programme, die mit seitenfüllenden 100-MByte-Bilddateien so flott umgehen, als hätten die Bilder Briefmarkengröße. Macromedia hat die Softwarefirma Fauve aufgekauft; deren einschlägiges Produkt xRes 2.0 bietet man nun für 399 DM an inklusive einer Spezialversion von Kai's Power Tools 3.0 als `Sidegrade' für alle (!) Grafik-, Layout- und Multimedia-Programme (für MacOS und Windows erhältlich bei Up to Date, Hamburg). xRes basiert auf der Arbeit mit Grobdaten. An ihnen führt der Benutzer mit Photoshop-ähnlichen Werkzeugen Arbeitsschritte aus, die xRes dann erst zum Schluß mit den vollen Bilddaten nachvollzieht.

Einen ganz anderen Ansatz hat Wright Design für Windows NT oder 95. Die 799 US-$ teuere Software erreicht ihre enorme Geschwindigkeit alleine durch ein raffiniertes Dateiformat. Ein 80-MByte-Bild scheint (!) das System binnen weniger Sekunden zu laden. Interessanterweise läßt sich aber auch in gezoomten Modi entsprechend schnell zeichnen und retuschieren. Das Programm ist hauptsächlich zum Zusammenmontieren einseitiger Dokumente gedacht - als Ergänzung zu QuarkXpress auf der einen Seite und Illustrator auf der anderen. Wann das von Quark schon lange für solche Aufgaben angekündigte QuarkXPosure erscheint, steht übrigens noch in den Sternen. (jl) ()