Midlife-Crisis

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Carsten Meyer

Midlife-Crisis

Der PC-Markt ist gerade erwachsen geworden, aber der Mac steckt bereits in der Midlife-Crisis: Zu einer Zeit, in der das Schlagwort Multimedia keines mehr ist, in der jeder 08/15-PC fürs Internet taugt und in der man mit x-beliebigen Gebraucht-486ern desktoppublishen kann, fehlt es ihm an Dingen, die ihn einst aus dem Sumpf der Kompatiblen emporhoben. Kein PageMaker, kein LaserWriter verschafft Apples Rechnern heute mehr Marktanteile, kein Berufsstand ist allein dem Mac noch treu. Solange der Rechner funktioniert und das tut, wofür man ihn angeschafft hat, ist es ja auch ziemlich egal, welches Pickerl das Gehäuse ziert: Anwendungen und nicht Betriebssysteme verkaufen die Hardware.

Doch in der branchenweiten "Melancholie der Erfüllung" (Dr. phil. Gerd Achenbach) verfolgte Apple die fixe Idee, es müsse halt am mangelnden Umfang des MacOS liegen, wenn die Kundschaft immer öfter zum Windows-PC greift. Als ob sich jemand ein bestimmtes Auto kauft, weil er mit dessen Kühlmittel auch Traubenmost strecken kann oder weil sich die Radkappen auch für Bello als Freßnapf eignen, überfrachtete Apple das System mit Sachen, die wenige wollten und keiner so richtig brauchte. "Wegweisende" und "konkurrenzlose" Softwaretechnologien wie Publish & Subscribe, PowerTalk, QuickDraw GX, PlainTalk-Spracherkennung, AppleScript, Open Transport, OpenDoc und Copland floppten wie der S-Klasse-Benz, kamen zu spät, wurden von der Internet-Entwicklung geplättet oder brachten es gar nicht erst zur Serienreife. Abermillionen Dollar verglühten in den endothermen Taligent- und Kaleida-Projekten, doch Pink und ScriptX entfesselten nicht einmal ein lauwarmes Lüftchen. Kaum jemand kaufte sich nur wegen der gepriesenen Systembestandteile einen Mac, aber zusammengenommen kosteten sie die Entwickler (nicht nur bei Apple) Jahrhunderte an schöpferischer Arbeitszeit.

Die wäre an anderer Stelle sehr viel sinnvoller eingesetzt gewesen: Würden Flugzeug-Bordrechner oder Stellwerk-Computer auf den adipösen MacOS-Versionen laufen, die halbe westliche Zivilisation wäre in einem Monat dahingerafft (und da tröstet es keineswegs, daß dies unter Windows 95 kaum länger dauern würde). Wenn der Rechner abschmiert, ist es dem Anwender eben nicht mehr egal, welches OS ihm die Nachtruhe raubt - selbst wenn er sich mit all den tollen Gimmicks ein Viertelstündchen Arbeitszeit ersparen konnte. Wäre nicht also ein Betriebssystem, auf das man hundertprozentig zählen kann und das durch nichts und niemanden aus der Ruhe zu bringen ist, ein geeigneter Nimbus für die Zukunft? Ohne Uralt-ROM-Code und Alles-Emulator, ohne die wegweisenden Speicherfresser und konkurrenzlosen Absturzbeschleuniger? Apples Prämisse der einzigartig einfachen Bedienung gilt ohne bedingungslose Zuverlässigkeit nichts. Wer darauf zugunsten eines funktionalen Overkills verzichten will, kann sich ja immer noch ein Office-Paket von Microsoft zulegen.

Die Chancen stehen nicht schlecht, daß "Rhapsody" mit seiner OpenStep-Basis die Scharten des alten MacOS-Konzepts gründlich auswetzt. Sollte ein derartiger Aderlaß vom Mac-Betriebssystem nicht allzuviel übrig lassen, von QuickTime, Menüleiste und schwarzem Mauszeiger einmal abgesehen, muß dies kein Nachteil sein: Es wäre ohnehin eleganter, wenn Apples Kreativität den Entwicklern nicht als allmächtiges Über-OS zur Verfügung stände, sondern in Form von (lizenzierbaren) Sourcen und Bibliotheken. Zur Jahrtausendwende dürfte es dann soweit sein: Präemptives Multitasking und Speicherschutz werden für Mac-User keine Fremdwörter mehr darstellen.

Daheim arbeite ich übrigens an einem sieben Jahre alten Mac IIsi mit einem fast ebenso betagten System 6.08. Das bootet in 14 Sekunden, belegt 800 KByte RAM und ist in diesem Jahr noch nicht abgestürzt. Aber so etwas wollten Sie in einer 1997er c't wohl nicht lesen.

Carsten Meyer (cm)