Surfbrett mit Fernsteuerung

Er soll das Browsen so einfach machen wie Fernsehen, Windows mit dem Web vermählen und vor allem dem Netscape Communicator den Rang ablaufen. Hält der Internet Explorer 4.0, was Microsofts Marketing-Maschinerie seit Monaten behauptet?

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Ralf Hüskes
Inhaltsverzeichnis

Nach langer Zeit des Ankündigens gab Microsoft Mitte Juli die erste offizielle Betaversion des Internet Explorers frei. Das aktuelle Release des Browsers - offiziell Preview 2 genannt - hinterließ einen weit besseren Eindruck als die seit dem Frühjahr kursierende sogenannte Plattform Preview. Viele angekündigte Features sind jetzt implementiert, der Bildschirmaufbau ist ruhiger geworden und Abstürze treten deutlich seltener auf.

Neben der Preview 2 für Windows 95 und NT hat Microsoft eine Preview 1 für Windows 3.1 bereits fertig; die Macintosh Preview 1 soll bei Erscheinen der c't vorliegen, eine Unix-Preview 1 soll Ende 1997 erscheinen. Um welche Unix-Version(en) es sich dabei handelt, darüber schweigt sich Microsoft jedoch bisher aus.

Wie der Konkurrent aus dem Hause Netscape ist das Produkt, das ursprünglich einmal nur ein Browser war, zu einer umfangreichen Anwendungs-Suite angewachsen, die neben Clients für das Web und andere Internet-Dienste sowie diverse Zusatzprogramme umfaßt. Der Anwender hat die Wahl zwischen drei Packungsgrößen. Immerhin 14 MByte muß er downloaden, benötigt er nur die Minimalversion: den Browser sowie den Internet Connection Wizard. Die Standard-Version umfaßt darüber hinaus den Mail- und Newsreader Outlook Express sowie Microsoft Wallet. In der Vollversion kommen hinzu: NetMeeting für Online-Konferenzen, NetShow für den Empfang von Echtzeit-Audio und -Video, der HTML-Editor FrontPad, der Web Publishing Wizard sowie Microsoft Chat.

Neben der Desktop-Integration, die wir bereits in [3] ausführlich besprochen haben, ist sicherlich der Push-Client eine der mit am meisten Spannung erwarteten Neuerungen. Er erlaubt es, vorgegebene `Kanäle´ zu abonnieren, mit anderen Worten, bestimmte Web-Seiten automatisch zu laden. Da auch Netscape mittlerweile eine Vorabversion seines Push-Client namens Netcaster nachgeliefert hat, widmen wir dem Thema einen eigenen Kasten (siehe Seite 82).

Beim Browser-Modul dreht sich alles um Microsofts Dynamic HTML (nicht zu verwechseln mit Netscapes gleichnamigem HTML-Derivat). Hinter dem Kunstwort aus der Marketing-Abteilung verbergen sich einige Techniken, die die Programmierung von Web-Seiten verbessern sollen.

Eines dieser Verfahren heißt Cascading Style Sheets (CSS) und befindet sich bereits seit einiger Zeit beim W3-Konsortium in der Standardisierung [5]. Mit CSS hat der Web-Autor endlich ein sinnvolles Layout-Mittel an der Hand und muß sich nicht mehr mit Tricks behelfen. So lassen sich nicht nur absolute Schriftgrößen setzen (in Pixel), sondern auch Absatzabstände, Zeilenabstände, Seitenränder und vieles mehr. Außerdem gestatten CSS es, Objekte absolut zu positionieren. Allerdings ist Microsoft (wie im übrigen auch Netscape) noch weit von einer vollständigen CSS-Unterstützung entfernt.

Nur bedingt überzeugen konnte Microsofts Dynamic HTML Object Modell (DOM), eine Schnittstelle, mit der der Web-Designer ähnliche Mittel erhält wie ein Software-Entwickler unter Windows. Stein des Anstoßes bildet jedoch nicht etwa der Funktionsumfang von DOM. Dieses dürfte zweifelsohne zu den mächtigsten Techniken gehören, die es in diesem Bereich derzeit gibt. Probleme bereitet vielmehr der proprietäre Charakter der Schnittstelle. Sie ist nämlich komplett inkompatibel zu Netscapes Pendant. Das führt nicht nur dazu, daß ein JavaScript-Programm, das darauf zurückgreift, unter Netscapes Communicator versagt - es belästigt den Anwender auch noch mit allerhand Fehlermeldungen. Die Schuld dafür dürfte allerdings nicht nur bei Microsoft liegen, sondern auch bei Netscape, wo man augenscheinlich kein Interesse hatte, in der verfahrenen Situation einzulenken.

Dem Web-Designer bleibt zumindest ein Lichtblick, was die Programmierung von Web-Seiten betrifft: Das W3-Konsortium arbeitet derzeit an einer standardisierten Programmierschnittstelle. Und sowohl Netscape als auch Microsoft zeigen - zumindest offiziell - derzeit eine große Bereitschaft, die offiziellen Standards des neutralen Gremiums zu unterstützen.

Für eine kleine Überraschung sorgte die Tatsache, daß der Internet Explorer bereits den erst vor wenigen Wochen veröffentlichten Vorschlag zu HTML 4.0 unterstützt. So kommt der Internet Explorer 4.0 beispielsweise mit dem LABEL-Tag klar, über das sich Kontrollelemente mit einem Beschreibungstext verbinden lassen. Nützlich ist dies beispielsweise bei Radio-Buttons und Checkboxen. Zu ihrer Selektion genügt nun ein einfacher Klick auf das Label, anstatt direkt auf das Schaltelement. Ob der Internet Explorer wirklich den kompletten HTML-4-Umfang unterstützt, ließ sich aus Zeitgründen nicht mehr ermitteln.

Großen Aufwand betreibt Microsoft derzeit im Bereich Java. Auf Biegen und Brechen versucht der Software-Gigant, Java-Programmierer ans Windows-Ufer zu locken. Eine spezielle Schnittstelle namens J/Direct soll es ihnen künftig ermöglichen, von Java aus direkt auf das Windows-API zuzugreifen. Daß das konträr zur Plattformunabhängigkeit der Web-Sprache läuft, scheint dabei ein gewollter Nebeneffekt. Schließlich erhöhen derartige Applets den Druck auf die Anwender, künftig Windows einzusetzen.

Nichtsdestotrotz muß Microsoft in der Java-Schlacht auch einlenken. Nach langem Zögern scheint man dort nun doch den offiziellen Java-Standard mit der Version 1.1 zu unterstützen, so daß Benutzer des Internet Explorers nach wie vor von den Vorzügen 100 % reiner Java-Applets profitieren können.

Den Mail- und News-Client des Internet Explorers, Outlook Express, hat Microsoft an den `großen Bruder´ Outlook aus Microsoft Office angeglichen. Das vereinfacht den Umstieg zwischen den beiden Programmen immens. Wer sie noch nicht kennt, dürfte die neue Oberfläche allerdings gewöhnungsbedürftig finden.

Auch vom Funktionsumfang her bringt Outlook Express derweil einige Neuerungen mit sich. Ähnlich wie Netscapes Communicator ist es in der Lage, HTML-Mail zu versenden und zu emfpangen. Eine Mail kann nicht nur verschiedene Schriftarten, -größen und Farben enthalten, sondern auch Grafiken. Keine Möglichkeiten fanden wir jedoch für den Versand interaktiver Web-Seiten mit Java-Applets und Formularen. Zu den weiteren Features von Outlook Express zählt die Unterstützung des SMIME-Standards für den Versand von verschlüsselten Mails sowie von IMAP4 für serverseitige Mail-Postfächer.

Last, not least, ist Outlook Express ein ausgewachsener News-Reader, der sich auch im Offline-Betrieb bewährt. Über das Kontextmenü lassen sich einzelne Newsgruppen vorab markieren, um sie bei der nächsten Online-Sitzung gezielt herunterzuladen. Je nach Wunsch lädt das Programm nur die Header oder die kompletten Beiträge. Wer nur die Header lädt, kann Beiträge selektiv für den Download markieren, und dann wiederum im Block herunterladen. Allerdings scheint umständlich, daß man eine News-Gruppe vor dem Öffnen erst abonnieren muß.

Die Eigenschaften der wichtigsten weiteren Internet-Clients und Zusatzprogramme in Stichworten: - Frontpad ist ein intuitiver HTML-Editor, der ein annäherndes WYSIWYG darstellt. Er beherrscht zwar nicht alles, was der Internet Explorer darstellen kann, wird für die meisten Endanwender jedoch genügen.

  • NetMeeting erlaubt es, mit anderen Internet-Benutzern zu kommunizieren und zu arbeiten. Sie können miteinander chatten oder - Soundkarte vorausgesetzt - sprechen. Über ein schwarzes Brett lassen sich Skizzen austauschen und anderen Teilnehmern Anwendungen zur Verfügung stellen.
  • Microsoft Chat ist Microsofts Comic-basierende Antwort auf das reine Textchat.

Der Internet Explorer wird einschlagen, keine Frage. Er bietet einfach zu viele neue, `heiße´ Eigenschaften, die die Verlockung groß machen, ihn auszuprobieren. Doch ist es gerade die Unmenge an Innovationen, die ihn uns suspekt erscheinen lassen. Schnittstellen von Java nach Windows werden geschaffen, neue Produkte integriert et cetera.

Zum einen betreibt Microsoft mit seiner Erweiterei wieder massiv Machtpolitik - nach außen hin wird sich zu offenen Standards bekannt, gleichzeitig aber versucht der Branchengigant beispielsweise, Java mit Windows zu vermählen. Zum anderen können wir uns bei dem Tempo der Neuerungen beim besten Willen nicht vorstellen, daß es irgendjemanden bei Microsoft gibt, der beim Produkt `Internet Explorer´ noch den vollen Durchblick hat, insbesondere was die Sicherheit betrifft - auch wenn Microsoft immer wieder behauptet, diesen Aspekt hochzuhängen. Und spätestens wenn der Browser in die künftigen Windows-Versionen integriert sein wird, kann man sich wohl nur noch schwer dagegen wehren ...(jo)

[1] Ralf Hüskes: Mehrkämpfer, Netscape Communicator, c't 8/97, S. 56
[2] Jo Bager: HTML++, Style Sheets und XML - die Zukunft des Web?, c't 8/97, S. 298
[3] Harald Bögeholz, Peter Siering: Auf dem Weg, Details zur kommenden Windows-Generation, c't 6/97, S. 166
[4] Ralf Hüskes: Vorentscheidung, Netscape Communicator gegen Internet Explorer 4.0, c't 6/97, S. 76
[5] Jo Bager: Informations-Destillatoren, Werkzeuge und Know-how für den komfortableren Online-Zugang, c't 11/96, S. 168
[6] http://www.microsoft.com/ie/ie40/
[7] http://www.microsoft.com/sitebuilder/
[8] http://www.microsoft.com/workshop/prog/ie4/channels/cdf1.htm (jo)