Neulich, in der PC-Fabrik

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Carsten Meyer

Neulich, in der PC-Fabrik

Bevor wir auf unsere aktuelle PC-Linie zu sprechen kommen, meine Damen und Herren Aktionäre, lassen Sie mich kurz noch auf unser neues Marketing-Konzept eingehen. Wir brauchen keine kreativen Anwender, keine kritischen und keine professionellen. Wir brauchen eigentlich gar keine Anwender, sondern Käufer! Unsere Zielgruppe ist konsumfreudig, finanzkräftig und ledig, hat Spaß am Spiel und ist versessen auf jede technische Neuerung. PC-Besitzer, die an ihrem zwei, drei Jahre alten Museumsstück hängen, nützen niemandem - sie bedrohen unser aller Arbeitsplätze und behindern die mühsame Konsolidierung eines ganzen Industriezweigs.

Zusammen mit unseren Partnern in Santa Clara und Redmond verfahren wir deshalb nach dem richtungsweisenden Konzept "Präemptive Innovation": Neue Standards setzen wir abwechselnd und im gegenseitigen Einvernehmen - dagegen ist die "Planned Obsoletion" der Autoindustrie kalter Kaffee. In diesem Jahr war der "PC ´97" dran, im nächsten Sommer folgt "Windows 98". Das halbe Jahr Verspätung gegenüber der ursprünglich kommunizierten Planung ist wohlkalkuliert: Unser Vorschlag, das Weihnachtsgeschäft der Händler nicht mit einer verfrühten und womöglich kostenlosen Upgrade-Aktion zu stören, kam denen ganz gelegen. Erstens konnten noch nicht genügend Käufer von der Unverzichtbarkeit essentieller Features wie AGP, USB, 1394 und ACPI überzeugt werden, zweitens bestünde endlich einmal die reelle Chance, bis zur Auslieferung auch funktionierende Treiber fertigzustellen.

Und stellen Sie sich einmal vor, wenn im Januar scharenweise Kunden mit Windows-98-Gutscheinen bei unseren Händlern auflaufen würden - das könnte deren ausgeklügelte "Just-no-Frust"-Logistik nicht verkraften. Außerdem haben die Grossisten noch palettenweise Windows-95-Pakete auf Lager, und es wäre doch ökologischer Wahnsinn, wenn die alle entsorgt werden müßten.

Und noch etwas: Wie Sie bereits der einschlägigen Fachpresse entnehmen konnten, wird das avisierte Windows 98 spezielle Hilfschips unterstützen. So haben wir nun bis zum nächsten Sommer genügend Zeit, weitere zu erfinden. Wie Sie sicher vermuten, kann natürlich nicht jeder heute produzierte PC eine der aufwertenden "Ich mag Windows 98"-Plaketten erhalten. Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung bei der Qualitäts- und Endkontrolle verwenden wir hier ein auf stochastischen Algorithmen basierendes Auswahlverfahren. Unser Prüffeld-Ingenieur führt es Ihnen gerne vor. Wenn Sie mal kurz schauen möchten ...

Als Bonbon darf ich noch anmerken, daß die sechsmonatige Gewährleistungsfrist eines heute gekauften PC bis Juli natürlich Vergangenheit ist. Funktioniert die eine oder andere Komponente des Weihnachtspräsents PC ´97 nicht mit Windows 98, tritt folglich unser bewährter "Multiprozeß"-Haftungsausschluß in Kraft. So sind alle zufrieden: Sie als Anteilseigner, die Händler und wir, weil nicht kostenintensiv nachgebessert werden muß, die Distributoren, weil die ihre Lager noch leer bekommen, und Microsoft sowieso, weil die zweimal verdienen. Habe ich jemanden vergessen?

Aufgezeichnet von

Carsten Meyer (cm)