Vertreibung aus dem Paradies

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Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Dirk Brenken

Vertreibung aus dem Paradies

Das Internet war ein paradiesischer Raum, der sich - oberflächlich betrachtet - durch das Fehlen von Grenzen und Distanzen von der realen Welt unterschied; im Grunde genommen war und ist das Internet jedoch nur eine andere Form, um mit und in der realen Welt zu leben.

Die reale Welt in Form von fliegenden Händlern im Netz ist Online-Surfern bereits seit längerer Zeit ein Begriff: Bücher, Computer, Spirituosen oder Sportartikel, nichts, was es nicht gibt. Sieben Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag. Weltweiter freier Handel, nahezu ohne störende staatliche Eingriffe.

Diese paradiesischen Zustände gehören jedoch bald der Vergangenheit an. Getreu dem Vorbild von Kolumbus und Marco Polo hat die Vorhut des Bonner Finanzministeriums das Internet für sich entdeckt und in Besitz genommen. Die Idee einer Mehrwert- und Umsatzsteuer für den exponentiell wachsenden Markt des World Wide Web setzt bei den Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums ungeahnte kreative Kräfte frei. OECD-Anfragen zu steuerlichen Aspekten von ECommerce und ECash interpretiert man plötzlich als klare Handlungsanweisung zur Einführung eines computerunterstützten Steuereinzugssystems, und selbst auf den Aprilscherz einer vergangenen c't-Ausgabe greift man als Beleg zurück (c't 7/98, S. 58).

Selten lagen Dichtung und Wahrheit - auch zeitlich - so dicht zusammen. Die Idee der globalen Internet-Steuer hat sich längst in den Köpfen bundesdeutscher Politiker festgesetzt. Die neue Steuer wird kommen, denn schließlich bedroht der wachsende Freihandel im Internet die regulären Steuereinnahmen des Bundes. Gefeilt wird nur noch an einer mehr oder minder gelungenen zeitlichen und sprachlichen Umsetzung.

Wahrscheinlich läuft alles wieder nach altbekanntem Muster: In ein paar Monaten erreicht der Gesetzentwurf zum "Umsatzsteuervollzug bei elektronischen Zahlungssystemen" das Kabinett, um - nach kontroverser Diskussion - den Bundestag zu durchlaufen. Anschließend öffnet das Finanzministerium dem mündigen Bürger den Blick für die Vorteile einer solchen Verkehrsabgabe fürs Internet. Es handelt sich schließlich um eine europaweite, aufkommens- und wettbewerbsneutrale Steuer unter dem Dach einer allgemeinen Steuersenkung. Dem Kohlepfennig des Informationszeitalters steht nichts mehr im Wege - es lebe die deutsche Gründlichkeit!

Dirk Brenken (bn)