Nervöse EDV-Industrie

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jürgen Kuri

Unsanft reißt mich eine Stimme aus meinen Träumereien: "Hey, komm mal rüber, die zeigen in den Nachrichten, wie Windows abstürzt." Wie bitte? Veralbern kann ich mich auch allein. Aber nein, tatsächlich: der Absturz von Windows 98 bei der Präsentation durch Bill Gates in der Tagesschau. Das befremdete Kopfschütteln meinerseits quittiert Brigitta mit hochgezogenen Augenbrauen: "Was regst Du Dich auf? Sei lieber froh, wenn die Windows-Fehler genauso wichtig sind wie der Elch-Test."

Wirkt das Amüsement des Auditoriums nicht wirklich etwas gequält? Den allgegenwärtigen Experten und Industrievertretern bleibt das Lachen im Halse stecken.

Normalität kehrt ein in eine Branche, die sich lange etwas auf ihre Sonderrolle zugute hielt. Wenn Dagmar Berghoff "Windows 98" ohne Lachanfall aussprechen kann, wenn kein Nachrichtensprecher es mehr für nötig hält, zu einer Erklärung von EDV-Begriffen anzusetzen - dann hat eine grundlegende Änderung in der öffentlichen Wahrnehmung stattgefunden. Informationstechnologie ist eben keine Geheimwissenschaft mehr für obskure Fachzirkel, und die Finanzdaten der Computerfirmen nähern sich üblichen Verhältnissen. Software und Hardware sind nichts Besonderes: Etwas Besonderes sind ihre Probleme und Fehler.

Sobald Siemens eine elektronische Zugsteuerung verbockt, ein Mercedes umkippt, Windows 98 abstürzt, werden daraus Nachrichten. Nachrichten, die der EDV-Industrie aufstoßen. Denn wenn sie keinen Sonderstatus mehr hat, muß sie sich auch an den Standards messen lassen, die für andere Bereiche gelten. Die Ausrede, keine Software könne fehlerfrei sein, zieht nicht mehr. Das gilt schließlich auch für jedes komplexe technische System. Mehr noch: In all diesen technischen Systemen steckt inzwischen Software, die fehlerfrei zu funktionieren hat. Und Daimler-Benz bessert die A-Klasse kostenintensiv nach, damit kein normaler Autofahrer sich kopfüber wiederfindet. Was aber machen die Hersteller von Soft- und Hardware? Sie träumen von den Zeiten, als die Profite noch hundertmal höher als in anderen Industrien waren, und verlangen von jedem Anwender, sich mit dem zufriedenzugeben, was ihm vorgesetzt wird. Recht auf Nachbesserung? Ja, wo kämen wir denn da hin ...

"It works most of the time", meinte Gates zur Windows-Steuerung seines neuen Hauses und fügte hinzu: "The technology brings a certain thrill to simple tasks." Im Klartext: Leute, freut euch doch, wenn Software etwas Abenteuer in euren langweiligen Alltag bringt. Das finden inzwischen nur noch Fachleute lustig. Windows CE in Waschmaschinen und Autos ist schließlich kein Spaß mehr. Weder Hausfrau noch Hausmann akzeptieren, wenn der Vollwaschgang abstürzt. Die Anwender von Technik, und davon ist die EDV inzwischen nur noch eine Facette, lassen sich nicht mehr mit dummen Sprüchen abspeisen.

Das macht eine ganze Industrie nervös.

Jürgen Kuri (jk)