Lauschverordnung gestoppt

Inhalt und Folgen des Entwurfs zur Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) waren offenbar weiten Teilen des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums nicht richtig bekannt. Alarmiert durch den c't-Bericht vor einem Monat stoppte es die TKÜV kurz vor dem Erlaß. Im Juli sollen nun betroffene Verbände und Institutionen angehört werden; eine Entscheidung über die Zukunft der Verordnung steht frühestens im Herbst an.

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Die TKÜV regelt die näheren Umstände der Überwachung nach dem Telekommunikationsgesetz. Dem derzeitigen Entwurf zufolge hätten Diensteanbieter auf eigene Kosten teure Abhörschnittstellen installieren müssen. Der Plan der Bundesregierung, die TKÜV in den nächsten Wochen per Kabinettsbeschluß zu erlassen, wurde durch die c't-Enthüllungen [1] empfindlich gestört. Weite Kreise des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) hatten vom aktuellen Entwurf der Verordnung nichts gewußt und erfuhren erst aus der Presse vom Stand der Dinge. Grund für die ministeriumsinterne Misere: Eine Abteilung des im Dezember aufgelösten Postministeriums (BMPT), jetzt Teil des BMWi, hatte mit Rückendeckung des Innenministeriums in eigener Regie den Entwurf erarbeitet, ohne die neuen Vorgesetzten darüber zu informieren. Ungeachtet der veränderten Ressortverantwortlichkeiten wäre der Entwurf um ein Haar ohne weiteres dem Kabinett vorgelegt worden.

Rivalitäten in der Kryptokontroverse hatten schon im letzten Jahr einen Keil zwischen den konservativen Schulterschluß des Bundesministeriums des Inneren mit dem BMPT auf der einen Seite und die liberalen Wirtschafts-, Forschungs- und Justizministerien des Bundes auf der anderen Seite getrieben. Offensichtlich kochte die alte BMPT-Abteilung auch nach der Umorganisation an ihrem neuen Arbeitsort ihr 'eigenes Süppchen', wie ein Ministerialer empört feststellte.

Die Aktivitäten der Ex-BMPT-Abteilung wurden jetzt gestoppt, das Verfahren wird noch einmal neu aufgerollt. Erster Schritt: Das Bundeswirtschaftsministerium sagte eine für den 17. Juni geplante Anhörung kurzfristig ab. Dort hätte eine Handvoll auserwählter Gäste zu dem Entwurf der TKÜV Stellung nehmen sollen. Ein neuer Termin für einen wesentlich größeren Kreis ist für den 15. Juli angesetzt. Dann sollen nicht nur Telekommunikationsbetreiber, sondern auch die Verbände von Industrie, Handel, Banken und Versicherungen sowie Internet-Service-Provider, Datenschützer und Juristen mit am Tisch sitzen. Das Spektrum der Anwesenden solle 'so breit wie möglich' sein, hieß es jetzt aus dem Ministerium. Ziel der Veranstaltung ist es, die Diskussion um die TKÜV noch einmal neu zu beginnen und den Gesetzesauftrag auf Herz und Nieren zu prüfen.

Von wesentlichem Interesse für das Wirtschaftsministerium ist hierbei die Evaluierung des Kosten/Nutzenverhältnisses. Jeder der betroffenen Bereiche soll dafür eigene Modellrechnungen vorstellen. Die von c't publizierten Schätzungen zu den Kosten der TKÜV lagen bei 15 000 bis 50 000 Mark für die Einrichtung der Abhörschnittstelle (ohne Personalkosten). Stimmen aus dem BMWi und der Industrie bewerteten das als 'sehr konservativ' - auch im Mittel erwarte man sechsstellige Beträge.

Die Betroffenen sollen zudem die Auswirkungen auf ihre wirtschaftlichen Strukturen schildern können. Konzentrationsprozesse bei den Internet-Dienstleistern, die aus der für kleinere Anbieter untragbar teuren Abhörtechnik folgen könnten, seien keinesfalls erwünscht, hieß es aus Ministeriumskreisen weiter.

Falls sich bei der Anhörung herausstellen sollte, daß Nutzen und Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen, müßte das Justizministerium die Verfassungsmäßigkeit der Verordnung überdenken. Konsequenz eines negativen Befunds: Die Verabschiedung der TKÜV würde bis auf weiteres verschoben, die Diskussion um die Paragraphen 88 und 89 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) - die Rechtsgrundlage der TKÜV - neu eröffnet.

Für Entwarnung in Sachen Lauschangriff auf das Netz ist es jedoch zu früh: Im Amtsblatt 9/98 hat die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP) im Mai die 'Technische Richtlinie FÜV' angekündigt - ergänzt um den 'Teil Internet'. Bislang dürfen nur 'berechtigte Stellen' das Update der Fernmeldeüberwachungsverordnung (FÜV) anfordern, da es als Verschlußsache eingestuft wurde. Vermutlich handelt es sich hier um den Rettungsfallschirm der Überwachungsbefürworter. Anders ist kaum zu erklären, daß im Entwurfsstadium der TKÜV, die als Nachfolgeverordnung der FÜV gilt, noch eine Neuauflage des alten Regelwerkes geplant ist. Selbst wenn sich die Entscheidung um die TKÜV verzögert, hängt immer noch die neue FÜV-Version wie ein Damoklesschwert über Providern und Mailbox-Betreibern. (nl)

[1] Ingo Ruhmann, Christiane Schulzki-Haddouti, Holzhammermethoden, Ausweitung der Überwachung bedroht Internet-Anbieter, c't 11/98, S. 74 (ole)