Dribbelnde Algorithmen

Nach dem flotten Wiederaufstieg des SC Freiburg in die Bundesliga ein zweiter Paukenschlag aus der Bundeshauptstadt des Sonnenscheins: Freiburgs Fußballer sind Weltklasse, zumindest die Roboter unter ihnen. Mit dem WM-Gewinn in Paris liefen die künstlich intelligenten Kicker der millionenschweren, `Nationalmannschaft´ genannten Seniorentruppe den Rang ab.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jan Wendler
Inhaltsverzeichnis

Was kann Berti daraus lernen? Vielleicht kann er Loddar und Konsorten mit einem verbesserten Sonnenschutz helfen. Die Freiburger verpaßten ihren Robotern beim Warmlaufen am Vortag nämlich Sonnenbrillen, um die große Helligkeit auf dem Spielfeld zu kompensieren. Die bebrillten Blechboliden setzten anschließend zu einer einzigartigen Siegesserie an und gewannen am 8. Juli sogar das Finale gegen eine zweite deutsche Mannschaft aus Tübingen.

Bei den Kickern aus Fleisch und Blut reicht bekanntlich ein kleiner (Geschlechts-)Unterschied aus, um völlig getrennte Ligen und Meisterschaften einzurichten. Roboter zeigen eine deutlich größere anatomische Vielfalt als Menschen, und doch waren alle in Paris willkommen, sofern sie autonom agieren konnten - ein fernsteuernder Mensch im Hintergrund war nicht erlaubt. Aber natürlich kann ein insektenartiger Krabbler nicht gegen eine rollende Mülltonne antreten. So gab es beim RoboCup vier Ligen mit eigenen Wettkämpfen, auf die sich die etwa siebzig teilnehmenden Mannschaften verteilten.

Die Freiburger siegten in der `Königsklasse´ der rollenden Roboter bis zu 50 cm Durchmesser. Ihre kleineren Geschwister unter 15 cm traten in einem eigenen Wettkampf an, der mit einem Golfball auf einer Tischtennisplatte ausgerichtet wurde. In einer dritten Liga kämpften künstliche Wesen mit Beinen - Abkömmlinge der katzenähnlichen Pet Robots, die Sony als neuartiges Spielzeug entwickelte. In der vierten Klasse traten schließlich Software-Agenten auf einem virtuellen Spielfeld gegeneinander an, das von einem Programm namens SoccerServer simuliert wurde. Das im letzten Jahr siegreiche Simulationsteam der Berliner Humboldt-Universität mußte sich diesmal einer Mannschaft der US-amerikanischen Carnegie-Mellon University geschlagen geben und wurde Vizeweltmeister.

Die Erzeugnisse aus dem berühmten Roboterlabor dieser Elite-Universität aus Pittsburgh räumten überhaupt fast alles ab, was es zu gewinnen gab. Wie im Vorjahr siegten sie auch bei den Kleinrobotern, und selbst die Konkurrenz der Krabbler entschieden sie in einer Art Elfmeterschießen aus geringerer Distanz. Nur im Wettbewerb der dicksten Kicker kam es zu dem bereits beschriebenen deutschen Durchmarsch.

Im Spiel um den dritten Platz bei den großen Robotern brachte das Team der Universität von Osaka einen der fast dreimal höheren Roboter der ebenfalls japanischen Mannschaft `Uttori United´ beinahe zum Kippen. Nur die große Masse der Uttori - Roboter verhinderte das Debakel - die Schwergewichte mußten immer von zwei Personen aufs Spielfeld getragen werden. Doch die kleinen Osaka-Kicker gaben ihre unkonventionellen Attacken nicht auf und verlegten sich aufs Entblößen: Sie verklemmten sich in der Verkleidung der riesigen Uttori-Roboter, die dann beim Wegfahren auf einmal unbekleidet dastanden.

Das Freiburger Siegerteam aus dem Labor des KI-Professors Bernhard Nebel orientiert sich mit Hilfe von Laserscannern, mit denen die Spieler Entfernungen mit einer Genauigkeit von 5 cm in einem Blickfeld von 180 Grad messen, bei einer Winkelungenauigkeit von nur einem halben Grad. Während das Grundmodell wie bei manchen anderen Teilnehmern ein autonomer Roboter von der Stange ist, mußte nicht nur die Software in monatelanger Arbeit an die Fußballverhältnisse angepaßt werden: Schießen kann natürlich kein Gerät, das sich frei kaufen läßt, und so konstruierten die Freiburger ihre Schußvorrichtung aus den Teilen eines Metallbaukastens.

Auch wenn generell recht wenige Tore fielen, haben sich die spielerischen Qualitäten der Roboter gegenüber dem letzten Jahr stark verbessert. Im Finale der größeren Roboter (Freiburg gegen Tübingen) sah man sehr schön, wie die Spieler geschickt um ungünstig liegende Bälle kurvten, um sich in eine bessere Schußposition zu bringen. Dagegen schoben sie im letzten Jahr noch eher unmotiviert den Ball herum und kickten ihn auch gerne einmal ins eigene Netz.

In der Simulationsliga finden die algorithmischen Spieler schon wieder den Weg zum Tor - zweistellige Ergebnisse sind keine Seltenheit. Obwohl dieses Jahr zum erstenmal eine Abseitsregel galt, ging die Torflut nur unwesentlich zurück. Lediglich in den Spielen zwischen den drei besten Mannschaften, zu denen neben Pittsburgh und Berlin auch Amsterdam gehörte, gab es knappe Siege mit wenigen Toren.

Im Vorfeld des RoboCup wurde Software vorgestellt, die als eine Art virtueller Heribert Faßbender Spiele live kommentieren kann. Zwei Systeme aus Japan konkurrieren hier mit einem europäischen, das beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken entwickelt wurde. Neben einer Beschreibung des Spielverlaufs bieten sie teilweise auch taktische Analysen oder reagieren sogar in ihrer Tonlage auf das Spielgeschehen.

Schließlich erlaubte Honda auch einen Blick auf künftige menschenähnlichere Roboter. Beim `Humanoid´-Projekt der Firma sollen im Jahr 2000 zwei der 130 Kilo schweren Roboter gegeneinander Fußball spielen und zwei Jahre später auch in Mannschaften kooperieren können. Die Humanoiden zeigen Fähigkeiten, die sie deutlich geschickter als die zur Zeit üblichen Roboter machen: Treppen steigen, Laufen auf unebenem Untergrund, Aufheben von Gegenständen, Gleichgewichtskorrekturen. Der RoboCup ist dabei natürlich nicht das eigentliche Ziel, was auch das Interesse der NASA am Wettbewerb erklärt: Für zukünftige Missionen im Weltraum kann sie wohl noch robuste Mitflieger brauchen. (ts)

http://www.robocup.org
http://www.weltmeisterschaft98.de (ole)