Halloween

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Dr. Oliver Diedrich

Halloween

Wer schon mal Halloween in den USA erlebt hat, kennt das Spiel mit der Angst, die schaurig-schöne Lust am Gruseln. Da bekommen die Halloween-Dokumente* doch einen interessanten Hintersinn - auch wenn sie ihren Namen nur dem Umstand verdanken, daß Eric S. Raymond die beiden internen Microsoft-Papiere am Halloween-Wochenende der Öffentlichkeit präsentiert hat.

Ein Microsoft-Mitarbeiter hat sich Gedanken über freie Software und speziell Linux gemacht: über deren Stärken und Schwächen - und natürlich auch darüber, wie sehr Microsoft durch freie Software bedroht ist und wie sich das Redmonder Unternehmen wehren kann.

Dazu macht er auch gleich einige häßliche Vorschläge: Linux könne man mit Patent- und Copyright-Klagen kleinkriegen, und freie Software ließe sich abwürgen, indem man offene Protokolle durch proprietäre Erweiterungen verkompliziert.

Jetzt prügeln alle Kommentatoren auf Microsoft ein: Derartige Strategien passen einfach zu gut zu den Vorwürfen, die die US-Regierung in ihrem Anti-Trust-Prozeß gegen Bill Gates´ Firma erhebt. Sie bestätigen das Feindbild Microsoft und fügen sich nahtlos in die zur Zeit sowieso schlechte Microsoft-Presse ein. Und vorstellbar sind solche Winkelzüge allemal.

Schließlich hat der Welt größter Software-Hersteller auch allen Grund, sich zu gruseln. Ein quirliger Haufen engagierter und kompetenter Programmierer, über die ganze Welt verteilt; ohne kommerzielle Interessen, aber immer bemüht, die beste Lösung zu finden; zur Zusammenarbeit mit anderen bereit, ohne Angst um das eigene "geistige Eigentum" zu haben - das ist in der Tat ein bedrohlicher Gegner für ein Unternehmen, das in erster Linie Geld verdienen will und immer eifersüchtig auf die Konkurrenz schielt. Und ein schlechtes Angriffsziel für die üblichen Microsoft-Taktiken.

Aber mit welchen Strategien Microsoft freie Software und Linux erledigen kann, das ist eigentlich gar nicht das zentrale Thema der Halloween-Papiere. Vor allem geht es darum, wie toll freie Software doch ist: die unglaubliche Dynamik, die die weltweite Open-Source-Gemeinde entwickelt; die leistungsfähigen freien Programme, die mit jeder kommerziellen Software mithalten können. Und natürlich geht es um Linux, das es leicht mit Microsofts eigenen Betriebssystemen aufnehmen kann. Kämen die Dokumente nicht ausgerechnet von Microsoft, man würde sie vermutlich gar nicht groß zur Kenntnis nehmen; halt noch eine große EDV-Firma, die in den Hype um Linux und Co. einstimmt.

Ganz offensichtlich sind auch schon die ersten Microsofties mit dem Open-Source-Virus infiziert - das Loblied auf Linux in den Halloween-Dokumenten spricht eine deutliche Sprache. Die Lust am Gruseln dürfte Microsoft schon vergangen sein. Und ob die Open-Source-Gemeinde wirklich Grund zum Fürchten hat, muß sich erst noch zeigen. Jedenfalls darf die Computerwelt freie Software jetzt endgültig ernst nehmen - mit Zertifikat von Microsoft.

Oliver Diedrich (odi)