Bye-bye Barbie
Kinder sind immer noch der beliebteste Vorwand, wenn Väter eine Modelleisenbahn kaufen. Aber warum nicht gleich einen Roboter in die Familie aufnehmen? Während die Halbstarken mit dem computergesteuerten Lego-Crusher kämpfen, finden die Kleinsten einen Lerncomputer in Notebook-Optik auf dem Gabentisch. Barbie schmollt, Ken schult um zum Fischertechniker, und der Teddybär bewirbt sich um die Aufnahme in die Rote Liste gefährdeter Arten.
- Thomas Schult
Der Markt für klassisches Spielzeug bleibt im Sinkflug, dafür boomen die neuen Medien im Kinderzimmer. Anbieter mit pädagogischem Anspruch müssen einen harten Kampf um die Freizeit der Konsumenten führen - die Gegner sind Spielkonsole, Fernseher und Computerspiel. Bei Edutainment-Software ist das Angebot mittlerweile breit genug, um Spaß und Lernerfolg in vielen Bereichen zu gewährleisten, wie unsere Titelgeschichte in Heft 20/98 zeigte.
Natürlich haftet auch der besten Edutainment-Scheibe der Makel des Virtuellen an: Autos bauen mit Willi Werkel ist nett gemacht, kann aber eigene Bastelerfahrungen nicht ersetzen; bei Oscar der Ballonfahrer entdeckt den Bauernhof können die Kleinen weder an Zitzen ziehen noch Ferkel streicheln noch Stallmist schnüffeln.
Nicht nur Waldorfschulen achten darauf, daß Kinder einen umfassenderen sinnlichen Zugang zum Lernstoff bekommen, ihn im wahrsten Sinne des Wortes `begreifen´. Gerade der Stellenwert der taktilen Erfahrung nimmt jedoch ab: Die Schule hat sie in einen gelegentlichen Werkunterricht verbannt, der Fernseher kommt ganz ohne sie aus, und Spielkonsole wie Computer reduzieren das manuelle Erleben auf Tastendruck und Mausklick.
Hirn fĂĽrs Haus
Aber es gibt ja noch Baukästen - kontaktfreudige Elemente aus Holz, Metall oder Plastik, die sich zu Modellen von Häusern, Autos oder Kränen zusammenfügen lassen, eine Herausforderung für Hirn und Hand. Seit Computerspiele die Kinderzimmer erobern, sind für den Marktführer Lego die goldenen Jahre vorbei und sein erklärtes Ziel, jeden kleinen Erdenbürger mit im Schnitt einem Kubikmeter Bausteinen auszustatten, rückt in weite Ferne.
Was man nicht bekämpfen kann, muß man integrieren. Einige Milliarden Mark ist es Lego wert, aus der Stagnation herauszukommen: Audio-CDs, CD-ROMs, Spielkonsolenfutter, Musikcassetten, Fernsehserien und alle drei Jahre ein neues Legoland.
Nicht zu vergessen die Baukästen: Letzten Winter präsentierte Lego in London die Früchte seiner Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) [1|#lit1]. Einige dieser Früchte haben mittlerweile auch deutsche Läden erreicht.
Am meisten fällt der überdimensional große Legostein mit eingebautem Kleinstcomputer auf. Damit läßt sich den Geschöpfen aus dem Baukasten ein Verhalten einprogrammieren - der flexible Roboter aus Kinderhand wird möglich. Fischertechnik hat ihn schon länger auf dem Markt. [2|#lit2]
Flußdiagramm auf Rädern
Während bei klassischen Baukästen das Vergnügen hauptsächlich aus dem Zusammenfügen der Teile besteht und das fertige Produkt rasch verstaubt, geht der Spaß bei einem Roboterfahrzeug erst richtig los, wenn die Mechanik steht. Dann muß ein Computer neben dem Baukasten stehen - ohne ihn bleiben die Geschöpfe zur Passivität verdammt.
Mit einer klassischen Fernsteuerung hat die Zusammenarbeit wenig zu tun. Normalerweise entwickelt man am PC interaktiv ein Flußdiagramm für das Verhalten des Roboters, das anschließend auf den speziellen Computerbaustein übertragen wird und dort selbständig ablaufen kann. Dabei verarbeitet das Programm Signale von Sensoren und steuert abhängig davon Motoren, die den Roboter in Bewegung setzen.
Ein Roboterbaukasten verlangt also nicht unbedingt den PC im Kinderzimmer, aber zumindest die Möglichkeit, gelegentlich Zugang zu ihm zu bekommen. Allerdings hat nicht jede Familie einen Multimedia-PC im Haushalt stehen - dann ist die Sorge möglicherweise groß, die Kinder könnten den Anschluß ans Informationszeitalter verpassen.
Wer seiner Familie keinen PC spendieren kann oder will, möchte oft wenigstens ins Kinderzimmer einen Hauch von Zukunft bringen. Lerncomputer im Notebook-Format bieten sich als digitale Nachhilfelehrer an - einen Roboter werden sie allerdings nie steuern können. Unter dem Slogan `Mehr Wissen, mehr Spaߴ dürfte allein Marktführer VTech in Deutschland einige Hunderttausend dieser Geräte pro Jahr absetzen.
Die bunten Piepskisten waren bisher kein Thema fĂĽr c't. Ihr Erfolg wirft aber die Frage auf, ob sie wirklich eine Konkurrenz zu PCs mit Lernsoftware fĂĽr Kinder darstellen. Ein weiterer Grund: Seit Oktober will der Spielzeughersteller Ravensburger den Markt mit einer ganzen Palette von Lerncomputern aufmischen.
Tamagotchi auf Beinen
Selbstbau-Roboter und Lerncomputer sind die ersten Vorboten der Digitalisierung des Kinderzimmers. Bald könnten prozessorgesteuerte Haustiere den Puppen ihren Platz streitig machen. Sony zeigt schon seit einiger Zeit den Prototypen einer neuen Generation von vierbeinigen Unterhaltungsrobotern. Das chromglänzende Viech läuft herum, gibt Pfötchen, setzt oder legt sich, rollt sich auf dem Boden herum, flitzt Bällen hinterher und schießt sie. Auch Emotionen in Tamagotchi-Manier sind ihm nicht fremd.
Die unter dem Namen `Open-R´ laufende Architektur ihrer lernfähigen Krabbelwesen will Sony als Standard in einem Markt etablieren, der noch gar nicht existiert. Open-R basiert auf dem proprietären Echtzeit-Betriebssystem Aperios. Über die Markteinführung der Haustierroboter schweigt sich Sony offiziell aus; ein Entwicklungsleiter gab aber schon als Ziel das Jahr 1999 vor.
Transatlantische Umarmung
Die Mehrzahl der Firmen hält sich aber an das Media Lab des MIT: Ihr Forschungsprojekt Toys of Tomorrow wird von mehr als 150 Unternehmen gesponsert, darunter die Spielzeugmultis Matell, Disney, Lego und Hasbro - aber auch Intel, Motorola und die Deutsche Telekom. Damit die Konkurrenz keine Ideen klaut, bleiben die Forschungsbereiche geheim. Projektdirektor Mitchel Resnick verriet aber schon, daß es um ein breites Spektrum geht: um Stofftiere, die sich an einer Konversation beteiligen können, bis hin zu Baukästen fürs digitale Zeitalter. Die Vision der Forscher klingt abenteuerlich: `Wenn ein Teddybär eine Umarmung um die halbe Welt schickt, wenn die Perlen der Halskette eines Kindes miteinander kommunizieren, um Lichter funkeln oder Musik erklingen zu lassen, dann haben wir es mit den Spielzeugen von morgen zu tun.´ (ts)
Literatur
[1] Thomas Feibel, LEGOlize IT, Der Terminator im Lego-Kasten, c't 4/98, S. 54
[2] Bernd Seestaedt, Thomas J. Schult, Fischertechnik macht mobil, Spielzeugroboter zum Selbstbau, c't 6/98, S. 98 (ole)