Profilneurosen

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  • Andreas Stiller
  • Andreas Stiller

Profilneurosen

"Herr Stiller, Redakteur, verheiratet, ein Kind, Nichtraucher, Pentium-III-Nummer 04-95115-352300, Kontostand: -5352 Euro, letzter Internetzugriff am Montag den 8.2.99, 20:37, bei www.funcity.de, wird gebeten, sich am Gate A20, Schalter A, zu melden." Nicht einmal in der Anonymität des Frankfurter Flughafens wird man mehr untertauchen können, ohne von seinem Profil verfolgt zu werden. Jetzt weiß ich endlich, was Ex-Intel-Chef Andy Grove mit "Only the paranoid survive" meinte.

Dabei meinte Intel es doch gut und wollte lediglich die Paranoia für jedermann mit einer individuellen Prozessorseriennummer fördern. Und schon laufen profilneurotische Datenschützer Sturm.

Offenbar macht es ihnen vor allem Spaß, Intel zu ärgern. Denn individuelle Seriennummern, wie sie der Chip-Gigant für die nächste Prozessorgeneration vorgesehen hat, sind schon lange Zeit weit verbreitet, ohne daß viel Aufhebens darum gemacht wurde - und solche Nummern sind normalerweise nicht einmal abschaltbar. So hat etwa jede Netzwerkkarte ihre individuelle Kennung (MAC), alle SPARC-Systeme sind einzeln gekennzeichnet, Apples Newton hatte eine Seriennummer, viele Motherboards ebenfalls und so weiter. Viele Internet-Teilnehmer besitzen überdies eine individuelle IP-Nummer, die bei jedem Zugriff quasi als Visitenkarte dem We(r)b-Server übergeben wird.

Allerdings sind diese Nummern nicht immer eindeutig, nicht fälschungssicher und teilweise schwer zugänglich - das ist bei Intel natürlich alles viel besser. Ihre Prozessornummer ist eindeutig, einigermaßen fälschungssicher und läßt sich per ActiveX-Control auf einfachste Art abfragen.

Letzteres war so allerdings ganz und gar nicht gedacht, schließlich hat man hierfür Schnittstellen vorgesehen, die kryptologisch erfahrene Firmen wie RSA und Netscape für sichere E-Kommerz-Transaktionen vermarkten sollen. Doch, oh Schreck, da zieht die mächtige Firma Intel vor den Datenschützern den Schwanz ein und ändert ihre Nummernphilosopie: Ein vorinstalliertes Tool schaltet jetzt standardmäßig die schöne Nummer ab - wie profilfeindlich! Und was ist nun mit dem seriennummerngeschützen E-Kommerz? Der gerät zur Farce. Wer im Internet surft und zwischendrin e-kommerzen möchte, etwa um sich ein interessantes Buch zu bestellen, muß sich zunächst ausloggen, den Rechner herunterfahren (nur dann läßt sich die Nummer wieder einschalten), neu booten, die Nummer freischalten, einloggen, beim Provider anmelden, und, und ... Ein Geschäft, das seinen Kunden eine solch umständliche Eincheck-Prozedur zumutet, muß schon superbillige Angebote haben - sonst kann es auch gleich Konkurs anmelden. Wer so etwas unter Vereinfachung von ECommerce versteht, der sollte sich nicht wegen Paranoia, sondern wegen Wahrnehmungsstörungen in Behandlung begeben.

Als Hardware-Firma hätte es Intel ja in der Hand gehabt, diese Einschalt-Odyssee zu vermeiden: Ein Schaltpin am Prozessor wirkt Wunder, ist sicher vor Trojanern und einigermaßen praktikabel zugleich. Doch selbst damit wäre die Seriennummer für E-Kommerz kaum tauglich, schlimmer noch, ein Schritt in die falsche Richtung. Als Achillesferse bleibt - jetzt kassandriere ich mal - allemal die Softwareschnittstelle, die man austricksen kann, damit sie falsche Seriennummern vorspiegelt. Da sind Chipkarten samt geschütztem Lesegerät klar die bessere Alternative. Und die laufen auch mit einem alten Intel- oder einem Cyrix-, AMD- oder PowerPC-Prozessor.

Mit profiliertem Gruß

Andreas Stiller

(as)