Ballastfrei surfen

Der Web Washer von Siemens filtert Werbung aus Web-Seiten heraus und das sehr wirkungsvoll. Während sich die Anwender über kürzere Ladezeiten freuen, bangen die Anbieter von Inhalten um ihre Werbeeinnahmen. Bedrohen Reklameblocker die kostenlosen Dienste im Web oder beweisen sie nur, daß Online-Werbung bislang den falschen Ansatz verfolgt?

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Michael Kunze
  • Uwe Post
Inhaltsverzeichnis

Da startet die Lobby der Werbeindustrie eine millionenschwere Kampagne namens `Werbung für die Werbung´, um bei Konsumenten und politischen Entscheidungsträgern das Image von Reklame zu verbessern. Gleichzeitig verteilt der Siemens-Konzern, selbst einer der großen Online-Werbetreibenden, unter dem Motto `Surfen ohne Ballast´ eine Filtersoftware, die es auf einfache Weise ermöglicht, Werbung aus Internet-Angeboten auszufiltern.

Die Surfer jedenfalls lieben den Web Washer. Rund 7000 Downloads verzeichnet Siemens pro Tag, diverse andere Web-Sites bieten das Shareware-Programm an, darunter auch der Online-Dienst CompuServe. Siemens schätzte Mitte Februar, daß der Web Washer bereits bei mehreren hunderttausend Surfern im Einsatz sei.

Angesichts dieses Erfolgs macht sich bei den Online-Medien Nervosität breit. Einige Anbieter denken schon laut über die Einführung von Nutzungsgebühren nach, da sie ihre Werbeeinnahmen schwinden sehen. Daß es dazu kommen wird, ist jedoch eher unwahrscheinlich. In den USA sind Werbeblocker schon lange populär, beispielsweise der Junkbuster (http://internet.junkbuster.com). Dennoch zeichnet sich dort kein Trend zu gebührenpflichtigen Angeboten ab, im Gegenteil: Microsoft kehrte mit seinem `Slate´-Angebot (http://www.slate.com) gerade erst wieder vom Abonnementmodell zur Werbefinanzierung zurück.

Hierzulande steht jedoch zu befürchten, daß Verlage und Medienhäuser gegenüber Siemens ihre Lobbys in Stellung bringen, um eine Weiterverbreitung des Web Washers zu stoppen. Verhindern oder revidieren können sie dadurch letztlich nichts: Selbst wenn Siemens dem Druck der Werbeindustrie nachgibt und den Web Washer vom Markt nimmt, bleiben noch genug andere Programme für werbescheue Surfer übrig.

Langfristig können nur die Werbetreibenden selbst das Dilemma lösen: Sie müßten sich vom allseits praktizierten Belästigungsmodell verabschieden und lernen, ihre Zielgruppen ernst zu nehmen. Gefragt wäre individualisierte Information statt Massenmanipulation. Ein solcher Paradigmenwechsel würde aber auch die Mitwirkung der potentiellen Kunden voraussetzen. Solange es aus falsch verstandenem Datenschutz und übertriebenem Sicherheitsdenken auch von Anwendern, die Werbung wünschen, keine Nutzerprofile gibt, muß sich die Reklamebranche an die herkömmliche Massenwerbung halten.

Nach vier Jahren kommerzieller Web-Entwicklung ist die Werbung nicht mehr aus dem Netz wegzudenken. Ob dabei jedoch Massen-EMails und tumbe Banner-Kampagnen der Weisheit letzter Schluß sind, wird nicht erst durch den Erfolg des Web Washer in Frage gestellt.


Der Web Washer arbeitet als HTTP-Proxy, dessen Adresse man in der Konfiguration des Browsers einstellen muß. Letzterer fordert Daten dann nicht direkt aus dem Internet an, sondern vom Web Washer, der die Anfrage ins Netz weiterleitet, die Werbung ausfiltert und das Ergebnis an den Browser zurückliefert.

Das Programm läuft unter Windows 95/98 und NT 4.0. Dank der Einbindung als Proxy funktioniert es mit jedem Browser, der diese Technik unterstützt, also zum Beispiel mit dem Netscape Navigator und dem Microsoft Internet Explorer ab Version 2.0. Da Web Washer die Daten auf Wunsch über einen weiteren Proxy beziehen kann, fügt er sich auch nahtlos in Intranets ein. Zudem kann er auch von anderen Rechnern im lokalen Netz genutzt werden. Der Web Washer lädt die Werbe-Banner nicht vom Server und spart dadurch Online-Zeit beziehungsweise Bandbreite. Er nutzt zwei Methoden, um Banner zu erkennen: Eine Liste mit typischen Größen und eine mit bestimmten URLs. Die Werbebranche hat sich nämlich auf bestimmte Standardgrößen für Banner geeinigt. Allerdings filtert der Web Washer auch andere Bilder mit Banner-typischen Abmessungen aus und läßt Werbung durch, die davon abweicht. Das tritt in der Praxis jedoch sehr selten auf. Außerdem kann man die Liste der Bildgrößen, die ausgefiltert werden, editieren.

Web Washer läßt sich in weiten Grenzen konfigurieren. In den Filterlisten kann man auch Ausnahmen angeben, um erwünschte Werbung freizuschalten.

Die Liste der gesperrten URL-Muster ist nicht einsehbar. Sie läßt sich aber ebenfalls erweitern; man kann Adreßmuster, die in der Voreinstellung gesperrt werden, auch wieder freigeben. Um den Web Washer kurzfristig zu deaktivieren, genügt ein Mausklick auf das Icon im Task Bar. Neben den Bannern kann der Web Washer auch Pop-up-Fenster abwehren, wie sie beispielsweise www.tripod.de nutzt, um Werbung einzublenden.

Die Installation ist bestechend einfach: Nachdem Setup.exe seine Arbeit verrichtet hat, muß man nur noch den Proxy-Eintrag des Browsers anpassen. Eine ausführliche Anleitung dazu wird automatisch angezeigt. Während ältere Versionen noch mit gelegentlichen Abstürzen nervten, läuft die aktuelle 1.02 stabil. Sie hat jedoch mitunter Probleme, wenn sie über einen anderen Proxy aufs Internet zugreifen soll: Dann dauert das Laden einer Web-Seite mehrere Minuten.

Siemens gibt an, der Web Washer könne bis zu 45 Prozent Bandbreite sparen. Dies ist eine sehr optimistische Schätzung. Nach unseren Erfahrung liegt die Einsparung eher zwischen 20 und 30 Prozent.

Die Shareware Web Washer kann man von www.siemens.de/servers/wwash/wwash_de.htm herunterladen (645 KByte). Sie ist für nicht-kommerzielle Anwender kostenlos, Firmen zahlen nach 30 Tagen 57 Mark Lizenzgebühr.

Volker Nickel ist Sprecher des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft.

c't: Herr Nickel, wie stehen die werbenden Unternehmen zu Software-Produkten, wie dem Web Washer, die Werbung aus Online-Angeboten ausfiltern?

Nickel: Man sollte die Aufregung, wie sie in den Medien derzeit nahegelegt wird, auf den Teppich zurückbringen. Es gibt auch in anderen Bereichen Systeme für Konsumenten, die keine Werbung haben wollen. Etwa beim Briefkasten reicht ein Aufkleber, oder ich kann mich in die sogenannte Robinson-Liste eintragen, um keine Werbebriefe mehr zu erhalten. Für den Werbeinvestor kommt es ja darauf an, daß seine Werbung diejenigen erreicht, die möglicherweise Interesse an seinem Produkt haben. Diejenigen, die gar keine Werbung sehen wollen, sind für ihn uninteressant.

Wer jetzt aufgeregt darüber debattiert, was an Werbeblockaden derzeit technisch möglich ist, sollte mitberücksichtigen, daß der Benutzer vor dem Bildschirm der kardinale Punkt ist. Da gibt es Nutzer, die keine Werbung wollen, aber ein Großteil erkennt genau, was ihm die Werbung bringt: beispielsweise den Zugang zu einem Online-Angebot mit vertiefenden Informationen. Eine Gefahr rückläufiger Werbeeinnahmen in diesem Bereich sehen wir nicht

c't: Müssen die Werbenden künftig befürchten, daß sie Geld für Werbung ausgeben, die gar nicht gesehen wird?

Nickel: Ein Werbeinvestor kann nie sicher sein, welche Werbung in welchem Medium tatsächlich gesehen wird. Online-Dienste sind ein Individualmedium, das durch die Aktivität des Einzelnen entscheidend bestimmt wird; hier ist der Nutzer absolut am Drücker. Man kann daher ohnehin nicht damit rechnen, daß jede Online-Werbung gesehen und auch im Sinne des Absenders benutzt wird. So wie das Image der Online-Werbung jetzt aussieht, muß man aber nicht befürchten, daß sich die Leute dagegen vollständig abschotten.

c't: Besteht die Gefahr, daß die Geldquelle Werbung für viele Angebote versiegen wird, wenn zu viele Nutzer entsprechende Filter einsetzen?

Nickel: Zunächst finden nach aktuellen Umfragen der GfK nur rund 16 Prozent der Nutzer Online-Werbung als störend. Außerdem müssen wir erst noch abwarten, wie sich die Online-Nutzung entwickeln wird. Wir hatten 1998 ein erfaßtes Werbevolumen in den Online-Medien von 50 Millionen Mark (gegenüber 24 Millionen 1997). Das sind lediglich 0,1 Prozent vom gesamten deutschen Werbevolumen. Hier entwickelt sich doch erst etwas - parallel zur Nutzerschaft. Wir wissen nicht, wohin die technische Entwicklung bei den Geräten geht. Wie werden sich die Telefonkosten weiterentwickeln? Von all diesen Faktoren hängt es ab, wie die Online-Nutzung künftig aussehen wird. Die Online-Anbieter müssen Geld einnehmen, und man kann nur hoffen, daß sie auch Werbeeinnahmen bekommen. So wie es sich jetzt zeigt, wird das langsam gehen. Wir haben immer vor Euphorie gewarnt und gesagt, man sollte nicht das technisch Machbare in den Vordergrund stellen, Entscheidend ist das vom Nutzer Gewünschte.

c't: Halten Sie die derzeitige Art der Online-Werbung für zukunftsträchtig?

Nickel: Ich halte die Kritik an der Bannerwerbung da und dort für berechtigt. Uns fehlt jedoch ein bißchen der Mut, die Dinge sich einfach entwickeln zu lassen. Auch manche individuelle Internet-Auftritte von Firmen sind durchaus grauenvoll, andere sind ganz exzellent. Wir müssen alle noch Erfahrungen sammeln. Dazu gehört auch das Wissen um die Interessen des Nutzers, um den sich alles dreht bei diesem Medium. So wie es jetzt im Ansatz zu sehen ist, hat das Ganze Zukunft. Aber Dinge, die wir heute als ganz schrecklich empfinden, werden sich eben verändern müssen.

Dr. Horst Joepen ist bei Siemens für den Web Washer verantwortlich.

c't: Herr Dr. Joepen, welches Ziel verfolgen Sie mit dem Web Washer?

Joepen: Die Intention des Web Washer ist die erste Stufe eines sehr persönlichen Internet-Assistenten, der es dem Anwender erlaubt, auf seiner Seite zu definieren: `Was möchte ich an Informationen aus dem Internet bevorzugt sehen und was möchte ich nicht sehen.´ Der Web-Washer adressiert derzeit vor allem das `nicht sehen´, bietet aber in Version 1.02 bereits die Möglichkeit, Dinge, die in der Filterliste enthalten sind, temporär oder dauerhaft zu deselektieren, so daß sie angezeigt werden. Sie tauchen dann einzeln auf und gehen nicht zwischen anderen Informationen unter, so daß sie vom Anwender besser wahrgenommen werden. Das enthusiastische Feedback der Anwender belegt, daß das Arbeiten mit dem Internet über den Web Washer schneller, einfacher und angenehmer geworden ist.

c't: Könnte der Web Washer nicht dazu führen, daß viele kostenlose Web-Angebote verschwinden, die sich derzeit über Werbung finanzieren, oder daß dafür künftig Gebühren erhoben werden müssen?

Joepen: Ich finde diese Argumentation recht witzig. Denn erstens: Sie kommt in dieser Vehemenz nur aus Deutschland. Zum zweiten: Wenn die Frage so gestellt ist, muß man sagen: Ja. Es wird sicherlich dazu führen, daß diese Angebote nicht in dieser Form weitergeführt werden. Man muß sich dann aber auch überlegen, ob diese Angebote in der heutigen Form so attraktiv sind, eben mit der Banner-Werbung. Hier ist die positive Reaktion der Anwender auf den Web Washer nur dahingehend zu interpretieren, daß das heutige Angebot eigentlich nicht stimmt. Ich bin aber überzeugt davon, daß gerade im Internet-Bereich die Werbetreibenden so pfiffig sind, daß sich die Angebote ändern werden. Die Angebote werden nicht verschwinden, sondern attraktiver und zielgerichteter werden, und davon wird jeder Anwender profitieren. Mit kommenden Versionen des Web Washer werden wir diesen Trend noch stärker unterstützen.

c't: Ist der große Erfolg des Web Washer wirklich als bewußte Bewertung der werbefinanzierten Angebote zu sehen, oder handelt es sich dabei nicht viel eher um eine Art Trittbrettfahrerei?

Joepen: Das glaube ich nicht. Der Web Washer hat ja eine eindeutige Kennung. Wir stellen es damit jedem Web-Master frei, Gegenmaßnahmen zu treffen, Benutzer auszusperren oder was auch immer. Alle offenen Diskussionsforen führten bislang zum gleichen Ergebnis: positive Kommentare von Web-Washer-Nutzern. Ich glaube, daß dies Grund ist, über das derzeitige Angebot nachzudenken, aber nicht in dem Sinne, daß dort etwas kaputt gemacht wird, sondern daß es sich positiv verändern wird. Dafür spricht auch, daß man die Thematik in den USA, wo es schon länger Werbeblocker gibt, wesentlich gelassener sieht, und dort auch an qualitativen Verbesserungen der Angebote arbeitet. Oder wenn man beispielsweise das Fernsehen nimmt: Dort ist mittlerweile die Werbung teilweise pfiffiger und unterhaltsamer als das eigentliche Programm. (ad)