Standards sind Fortschritt

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Von
  • Detlef Grell

Standards sind Fortschritt

Gute und offene Standards entstehen, wenn kreative Geister gemeinsam ihre besten Ideen zusammenführen. Das sichert zukünftige Investitionen. Achtet man auch auf Kompatibilität, schützt man die bereits getätigten. Überdies verhindert es, daß sich einzelne Firmen Vorteile verschaffen. Doch so läuft das selten.

Der Standard "Windows" gehört Microsoft, über den Standard "IBM PC" gebieten heute Microsoft und Intel. Da verschenkt man auch mal einen Standard wie USB; wäre doch fatal, wenn sich etwas wie FireWire durchsetzen würde, das man nicht unter Kontrolle hat. Womöglich verlangt jemand Lizenzgebühren; damit dann die PCs nicht teurer werden, müßte Intel die Preise für Prozessoren und Chipsätze senken, Microsoft die für Windows.

Gewalt über Standards bedeutet Macht und Geld, und keiner nutzt das so wirkungsvoll wie die Computerindustrie. Nach den Telecoms bekommen das nun Musik- und Hifi-Branche zu spüren. Mit MS-Audio kann Microsoft sowohl Fraunhofers dateiorientiertes MP3 als auch das Streaming-Format G2 von Real Networks (frisch in ECommerce-Ehe mit IBM) in Rente schicken - und en passant noch Sonys MiniDisc.

MS-Audio ist sozusagen MP3 und G2 in einem: Gleichzeitig Streaming- und Dateiformat mit Kompression in hoher Qualität. Man kann Live-Internet-Radio damit genauso betreiben wie einen Rio-Player - die erforderliche Modifikation hat Diamond angeblich schon in Arbeit.

Nicht, daß ich Microsofts Methode sonderlich gutheiße, einen Markt an sich zu reißen, den andere mühsam aufgebaut haben. Doch es ist genau der Schuß vor den Bug (oder ist es schon der finale Volltreffer?), den die monopolistisch verbandelte Musik- und Konsumgeräte-Industrie verdient. Jammernd über Umsatzverluste verpennt sie doch Chance auf Chance. Statt auf Anwenderwünsche einzugehen, debattiert sie endlos über Kopierschutz. Kein Softwarehersteller ist bislang an Raubkopien zugrunde gegangen, wohl aber an Stagnation.

Es gibt nichts, was die Computerindustrie nicht schneller und besser machen könnte. Radio? Heute noch als Tunerkarte im PC - morgen Standard selbst im Window-CE-Handheld; MS-Audio geht heute schon. Video? Dasselbe, und zwar mit jedem beliebigen Input: analog oder digital, klassisch ausgestrahlt oder natürlich per Internet. Microsoft gibt den Startschuß, indem es gleich die komplette ECommerce-Lösung mit Rechte-Management für Audio und Video liefert. Wer jetzt nicht handelt, verschläft noch mehr Geschäft als ohnehin schon.

Musikkauf per Internet, erst recht das Selbstkomprimieren von CD-Material kostet Zeit und ist längst nicht jedermanns Sache. Doch wo sind die MP3-CD-ROMs in den Plattenläden? Die Musikindustrie wird so oder so mit einem blauen Auge davonkommen, denn sie gebietet weiterhin über die Inhalte - sie hat schlimmstenfalls ein paar Millionen in die "falschen" Formate investiert. Aber die Hifi-Industrie? Wenn sie die MiniDisc nicht schleunigst einstampft und statt dessen CD-Player baut, die MP3- und MS-Audio-Files abspielen, tut es die Computerindustrie. Mit 8-cm-CD-Singles, deren 200 MByte Platz für zwei bis vier Stunden Musik bieten, geht das sogar im MiniDisc-Maß.

Detlef Grell

(gr)