Riesenbiß ins Mutterbrett

Wieder einmal ist ein Streit um gutes Deutsch entbrannt. Diesmal geht es nicht um Rechtschreibung, sondern um englische Computerausdrücke.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Anna Bödeker

Wir stehen kurz vor einer feindlichen Invasion. Allerdings werden wir nicht einfach plump mit Bomben beworfen, nein: Unser Gegner operiert mit einem besonders perfiden Mittel - er schleust Vokabular ein und bekämpft damit das Deutsche `als selbständige Kultursprache´. Wer glaubt, die Deutschen seien gegen derlei Angriffe gefeit, irrt: `Die deutsche Sprache zerbröselt zu einem Pidgin-Dialekt, der als eigenständige Kultursprache bald nicht mehr zu gebrauchen ist.´ Die Deutschen haben `den Glauben an die eigene Sprache und Kultur verloren´; eine `Selbstaufgabe der deutschen Sprache´ ist im Gange.

Von solch paranoidem Verfolgungswahn wird der `Verein zur Wahrung der deutschen Sprache´ geplagt. Laut Eigenwerbung will er `in wenigen Monaten schon mehrere Tausend Mitglieder aus allen Schichten der Bevölkerung´ gewonnen haben, `darunter hochrangige Politiker´. Zwar steht für den Verein der Feind noch `jenseits des Atlantiks´. Doch hat der feindliche Geheimdienst schon eine Reihe hochkarätiger Verbündeter in Deutschland gefunden: `Lieder- und Werbemacher´, sogar ehemalige Staatsunternehmen wie Bahn, Post und Telefon betätigen sich als seine verräterischen Wegbereiter, wenn sie `Service points´ aufstellen, `German Calls´ machen und nach Frankfurt in die `City of the Euro´ einladen.

Sprachpuristen hat es schon immer gegeben: Im 18. Jahrhundert, als man an deutschen Höfen französisch parlierte, wetterten sie gegen die Übernahme französischer Wörter. Zu Hitlers Zeiten ersetzten sie lange eingebürgerte Wörter lateinischen Ursprungs. Statt `Nase´ sollte man `Gesichtserker´ sagen. Heute haben Reinheitsfanatiker Wörter und Formulierungen aus dem englischen Sprachraum im Visier. Ginge es nach ihren Vorstellungen, würden wir ab sofort unsere `Drahtpost oder EPost´ (EMail) mit `Lächlern´ (Smileys) verzieren und Botschaften von `Schlepprechnern´ (Laptop) an `Nachrichten-Zirkel´ (Newsgroups) oder in den `weltweiten Wälzer´ (World Wide Web) schicken [1|#lit1].

Man könnte all das als Spinnerei abtun, wenn der Verein nicht auch noch drohen würde: Als kürzlich das Institut der Deutschen Sprache in Mannheim - dort ist auch die Duden-Redaktion angesiedelt - erklärte, Begriffe wie `upgrade´ und `download´ gehörten in das Wörterbuch der deutschen Sprache, kündigten die Sprachbewahrer an, `über politische Kanäle auf die Führung des Institutes Einfluß´ zu nehmen, um das zu verhindern. Anders als die Duden-Redaktion geht der Verein zu Wahrung der Deutschen Sprache davon aus, daß sich `download´ noch nicht eingebürgert hat: Heißt es `downloaded, gedownloaded oder downgeloaded?´ fragt sich der Dortmunder Statistikprofessor Walter Krämer, Vorsitzender der Sprachbewahrer. Für ihn schwächen solche Überlegungen die deutsche Abwehr: `Außerdem weichen viele Anglizismen den Tiefencode der deutschen Sprache auf - man weiß nicht mehr, in welcher Sprache man sich eigentlich bewegt.´ Doch Bewegung ist ohnehin nicht Sache der Sprachhüter: Denn wer auf dem Flughafen `Torschlußangebote´ statt `last minute´ suchen will, der möchte eigentlich gar nicht reisen.

Von Sprache verstehen die selbsternannten Hüter indes nicht viel: Weder gibt es einen `Pidgin-Dialekt´ noch einen `Tiefencode´. Ein Dialekt ist die Variante einer Sprache, wie Sächsisch oder Kölsch. Pidgin ist also kein Dialekt, sondern eine Zweitsprache mit minimalem Wortschatz und reduzierter Grammatik. Die Bezeichnung `Tiefencode´ hört sich treffend an, sagt aber nichts aus. Denn der Satzbau einer Sprache - auch des Deutschen - wurde und wird niemals durch Einbürgerung von Wörtern aus anderen Sprachen `beschädigt´; diese werden allenfalls in ihren grammatikalischen Formen `regelwidrig´ eingesetzt. Bilinguale, wozu auch Menschen gehören, die fast perfekt eine Zweitsprache beherrschen, neigen auch zu einem kreativen Sprachgebrauch. Sprache ist einfach ein Spiel mit verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten. Und diejenigen, die viele fremdsprachliche Ausdrücke in ihren deutschen Wortschatz integrieren, zeigen immer auch eine gewisse Souveränität, wenn sie es nicht übertreiben.

Englischsprachige Computerbegriffe gehören zu den Fachsprachen und geben als technische und wissenschaftliche Termini bestimmte Sachverhalte exakt an. Zudem bilden viele der bekrittelten Wörter Soziolekte. Das bedeutet: Sie werden innerhalb einer bestimmten Gruppe oder sozialen Schicht als identifizierende Kommunikationsmerkmale eingesetzt.

Nur auf guter Hartware kann die Weichware richtig schnell laufen. Die Vorschläge der Sprachbewahrer zeigen, daß sie von EDV noch weniger verstehen als von Sprache: Statt `booten´ sollen wir `in Gang setzen, starten´ verwenden, `hochfahren´ ist eigentlich üblich. `Softwaretechnik´ soll `software engineering´ ersetzen, was nur auf eine Teilmenge zuträfe. Wenn für `paging´ schlicht `Seitenwechsel´ empfohlen wird, ist das verwaschen und greift zu kurz. Und wer `Spielhebel´ oder `Freudenstock´ für Joystick vorschlägt, redet wohl nicht sehr viel mit anderen während des Spiels.

Viele der von den Sprachbewahrern vorgeschlagenen deutschen Wörter werden ohnehin gleichrangig neben den englischen Termini benutzt, `Tastatur´ neben `keyboard´ und `elektronisches Einkaufen´ neben `ECommerce´. Manche englischen Wörter werden vom Verein sogar akzeptiert, dazu gehört auch `surfen´. Doch solche Abwiegeleien dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich (auch) bei diesem Vereinswesen um eine Spielart der Abwehr gegen `Überfremdung´ handelt. Das paßt sich gut ein in das Mißtrauen, das interessierte Kreise gegen das Internet schüren, um ihren Überwachungsstaat besser durchsetzen zu können.

`Winzigweich´ für `Microsoft´ kann ja noch angehen, aber `Mutterbrett´ für `Motherboard´? Für die Entwicklung guter Software, deren Ziel Benutzerfreundlichkeit sein sollte, ist die Begriffsverwirrung jedenfalls kontraproduktiv. Längst haben Firmen wie Microsoft oder Apple erkannt, daß sie ihre Produkte besser verkaufen, wenn sie auf die Eigenarten des jeweiligen Landes eingehen, auch auf die Sprache. `Localization´ ist angesagt, die Umsetzung US-amerikanischer sprachlicher Schnittstellen in die jeweilige Landessprache und -kultur. Intuitive Benutzerführung und eine Begrifflichkeit, die dem Sprachgefühl des Anwenders angepaßt ist, gehören einfach zusammen. Wobei die Verwendung von englischen Wörtern durchaus sinnvoll ist, soweit sie sich eingebürgert haben. Doch um das Verstehen der Computerwelt geht es dem Verein gar nicht. Sonst hätte er bemerken müssen, daß auch deutsche Wörter zusätzliche Bedeutungen erhalten: Früher konnte man nur einen Brief adressieren, heute auch eine Speicherstelle im Computer. (mbb)

[1] Verein zur Wahrung der deutschen Sprache: www.vwds.de

[2] Vorschläge zur Eindeutschung im Sinne des Vereins:

www.rechtschreibung.com

www.physnet.uni-hamburg.de/home/vms/stark/dunwort.htm

[3] Informationen zu Amerikanismen in der deutschen Sprache der Gegenwart:

http://home.t-online.de/home/lerch/sprache.htm

www.adis.at/arlt/institut/trans/3Nr/sanford.htm (ole)