Spieler am Draht

Spielen im Netz ist in - doch bisher ist das Internet als Medium zu langsam und außerdem in Deutschland viel zu teuer. Die echten Zocker verdrahten sich deshalb auf LAN-Partys zu virtuellen Kämpfen mit realen Gegnern.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Chris Wiedenhoff

Während andere in Biergärten schwitzen oder sich in Strandbädern aalen, schleppen etwa 70 Computerspieler ihr Equipment in eine ausgediente Schulsporthalle mitten in Neuss: PC-Tower, Monitore, Joysticks, Lautsprecher, Netzwerkkabel und was man so noch so braucht für eine LAN-Party. Zwei Stunden lang wimmelt es wie im Ameisenhaufen, dann sind alle miteinander vernetzt. Die Luft steht mit rund 30 Grad in der Halle, während die Sonne aufs Dach brät. Nur ein einsamer Standventilator in der ehemaligen Sportgerätekammer sorgt für eine leichte Brise und die Illusion einer Abkühlung. Aber gegen die Abwärme, die die versammelten PC-Lüfter in den Raum drücken, hat er keine Chance.

Nur der alte Bodenbelag und ein Klettergerüst an der Stirnseite erinnern noch an die sportlichen Leistungen, die Schüler einst in dieser Halle vollbracht haben. Jetzt sind jede Menge Schreibtische und Stühle aus der angrenzenden Schule zu einer symmetrischen Sitzordnung aufgereiht. Statt Bodenturnen und Zirkeltraining stehen heute andere Disziplinen auf dem Programm, die kaum weniger Kraft und Ausdauer kosten.

Die Kontrahenten müssen drei Bedingungen erfüllen: Sie müssen volljährig sein, den Eintrittspreis bezahlen und einen kompletten PC samt Netzwerkkarte und Verkabelung mitbringen. Das gilt bei fast allen LAN-Partys, und gerade die erste Bedingung ist zumeist obligatorisch. Denn hier kommen nicht nur indizierungstechnisch unbedenkliche Spiele wie die Tetris-Variante TetriNet, das Autorennen Need for Speed oder Echtzeit-Strategiespiele wie StarCraft und Command & Conquer auf die Bildschirme, sondern die Wettkämpfer gehen in 3D-Shootern aufeinander los. Die beliebtesten Vertreter dieses Genres sind nun einmal diejenigen, die in Deutschland auf dem Index stehen. Sie dürfen also Personen unter 18 Jahren nicht zugänglich gemacht werden.

Den Eintrittspreis von 20 Mark haben die Teilnehmer entweder bereits vorher überwiesen oder bezahlen ihn an der `Abendkasse´. Er deckt laut Angaben der Veranstalter gerade einmal die Selbstkosten. Halle, Bestuhlung, Strom und Elektriker müssen schließlich bezahlt werden. Ein Gewinn wird zumindest bei dieser Party nicht erwirtschaftet.

Planung und Durchführung dieser LAN-Party liegen bereits seit Wochen in den Händen des Clans `Schmerzerzeuger´. So brutal der Name auch klingt, die Mitglieder üben im wirklichen Leben so normale Berufe wie Grafikdesigner oder Notargehilfe aus. Seit zweieinhalb Jahren stellen sie regelmäßig jedes halbe Jahr eine Netzwerk-Session auf die Beine. Die Party unter dem Motto `Back to the Roots´ ist bereits die fünfte. Begonnen hat alles mit dem Spiel Quake. Seitdem treffen sich die Schmerzerzeuger mindestens einmal im Monat, sei es, um ihre Rechner zu vernetzen und zu spielen, oder um sich auf der Düsseldorfer Altbiermeile ein kühles Getränk zu genehmigen.

Mit insgesamt 70 Teilnehmern ist diese Party vergleichsweise klein. Damit halten sich aber auch der technische Aufwand und die Organisation in beherrschbaren Grenzen. Kein Vergleich mit gigantischen Partys wie `The Gathering´ in der spektakulären Olympiahalle von Hamar, Norwegen, die mit 4500 Spielern einen ganz anderen Rahmen spannt. Solche Großveranstaltungen verursachen immense Kosten, die zum Teil durch Sponsoring aus der Wirtschaft getragen werden. Mit der Zahl der Spieler wachsen die Anforderungen an die Logistik und die Infrastruktur der Veranstaltungsortes drastisch an.

Aber auch die kleineren Partys verlangen eine gute Vorbereitung. Vor allem muß das Netzwerk die nötige Bandbreite besitzen, damit das Spielen Spaß macht. Normale Clubräume oder Hallen bieten nur selten eine ausreichende Energieversorgung; bei etwa 100 Spielern fallen schon mal 50 000 Watt an. Doch nicht nur mit herausspringenden Sicherungen und überhitzten CPUs haben Spieler und Veranstalter zu kämpfen. Oft sind es auch die Spiele selbst, die Probleme bereiten, denn nicht immer sind die Netzwerk-Features optimal integriert. Hier könnten die Hersteller ruhig noch etwas nachbessern, meint Clan-Mitglied Marcus Lammerich alias `Verstörer´.

Nachdem alle Anlaufprobleme ausgeräumt sind, beginnt das `Warmspielen´. Bei anderen Partys geht es oftmals nur um das gemeinsame Spielen, aber hier soll an diesem Wochenende ein Sieger gekürt werden. Vor dem Turnier will man seine potentiellen Gegner erst einmal ein wenig beschnüffeln und kennenlernen.

Der Wettkampf beginnt gegen 22 Uhr: ein Triathlon aus den First-Person-Shootern Quake 1, Quake 2 und Half-Life. Den Beobachter verblüffen die Ruhe und Konzentration bei den so martialisch anmutenden Spielen. Im Vergleich dazu sind die Treffen von Fußballfans reinste Massaker. Nur hin und wieder hört man einen Aufschrei aus der Menge, als ob das reale Leben des Spielers gefährdet sei.

Während die einen Spieler mit ihren schnellen Rechnern vom Schlage eines Pentium-II-400 mit 3D-Beschleuniger alle grafischen Details herauskitzeln (`Das Auge ißt schließlich mit´), mutieren bei den anderen Zockern per Setup Spiele wie Quake zu sogenanntem `Lego-Quake´: Grafischer Firlefanz wird zugunsten besserer Frameraten ausgeschaltet, bis die nackte Darstellung ohne Texturen und Effekte überbleibt. Übertragungsrate ist alles, worauf es ankommt. Jedes noch so kurze Stocken im Spielablauf kann den virtuellen Tod und damit Punkteverlust bedeuten.

Getrunken wird dabei nur, was fit hält: Fanta, Cola und hier und da auch mal ein Kaffee. Alkohol? Wer seine Reflexe nicht beeinträchtigen will, läßt die Finger davon. Gegen den Hunger gibt es Pizzen, die kofferaumweise von örtlichen Restaurants herangekarrt werden.

`LAN-Partys sind zu fast einhundert Prozent eine Männerdomäne´ meint Marietta, weibliches Ehrenmitglied der Schmerzerzeuger. Ihr Freund `Magenta´ sorgt für den Internet-Auftritt und kümmert sich während der Party um die Server. Sie ist auch an diesem Tag die einzige weibliche Person in der Halle. Mitspielen? Nein, mitspielen will sie nicht, dafür sei sie nicht geübt genug. In den Vereinigten Staaten ist man, wie immer, bereits einen Schritt weiter: Dort werden auch reine Frauenturniere ausgetragen.

Zwei Arten von Party-Spielern gibt es: Die einen treffen sich wirklich nur auf den LAN-Partys und spielen sonst kaum, weil ihnen das Internet zu langsam und die Computer-Gegner zu langweilig sind. Die anderen richten ihren kompletten Terminkalender nach den Spielzeiten aus und greifen auch sonst schon mal tief in die Tasche, um sich sogar eine Standleitung zu gönnen. Spielen per ISDN oder gar Modem ist bei den Verbindungsraten einfach nicht praktikabel. Damit sich die Standleitungen auch lohnen, muß gespielt werden. Morgens, abends, nachts. Viele hundert Server stehen weltweit für Turniere rund um die Uhr zur Verfügung. Ein teures Hobby? Nicht unbedingt, denn mittlerweile können die besten Spieler von Grafik- und Soundkarten bis hin zu MP3-Playern alles gewinnen, was Computerzocker auch nur im entferntesten interessiert.

In den USA winken bei kommerziellen Veranstaltungen sogar Siegprämien von bis zu 20 000 Dollar, doch solche Summen sind hierzulande (noch) unüblich. Die Kommerz-Partys locken auch mit Vorzügen wie profesionell eingerichteten, schnellen Netzwerken. Dennoch mögen viele Zocker diese Veranstaltungen nicht. Sie sind eben nicht so `kultig´ und intim wie die kleineren Partys, sondern unübersichtlicher und steril. So lautet das Motto in Neuss an diesem Wochenende auch bezeichnend `Back to the Roots´. Außer Spielspaß nonstop, einer Netzwerkkarte und zwei Modellfiguren gibt es nichts zu gewinnen.

Am Sonntag um 18 Uhr ist die Party vorbei. Den Spiele-Marathon haben nur wenige tapfer bis zum Ende durchgehalten. Neben den `Schmerzerzeugern´ halten sich noch etwa zehn Spieler in der Halle auf, bis auch sie bei der anschließenden Reinigungsaktion aus der Halle gefegt werden. Hinter ihnen liegen 27 Stunden Anstrengungen, Konzentration und jede Menge Spaß - und das für 74 Pfennige pro Stunde, da kann kein Telefonanbieter mithalten. (chw)

[1] LAN-Party-Termine: http://www.zockparty.de

[2] LAN-Party-Termine: http://www.lanparty.de

[3] Germans Player League: http://www.g-p-l.de

[4] Homepage der Schmerzerzeuger: http://www.schmerzerzeuger.de

[5] GameXpress: http://www.gxp.de

[6] LAN-Party-Termine: http://www.zocken.net (ole)