Für eine Hand voll neuer Namen

Eigentlich sind alle sich einig: Das Internet braucht dringend neue Top-Level-Domains. Wettbewerb vor allem für den .com-Namensraum ist überfällig. Auch technisch ist die Einführung einer beliebigen Anzahl neuer Domain-Namen kein großes Problem.

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Von
  • Monika Ermert
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Die Einführung neuer generischer Top Level Domains (gTLDs) wurde den IANA-Nachfolgern von der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) als eine ihrer Kernaufgaben mit auf den Weg gegeben. Nach dem ersten Etappensieg gegen den ehemaligen Domain-Monopolisten Network Solutions (NSI), der im vergangenen Sommer Konkurrenz beim Verkauf der .com-, .net- und .org-Domains akzeptieren musste, ist die Erweiterung des Namensraums für viele der nächste logische Schritt.

Immerhin hat die Domain Name Supporting Organization (DNSO) der ICANN schon eine Arbeitsgruppe für dieses Problem eingerichtet. Die Mehrheit der 100 Mitglieder spricht sich auch dafür aus, im kommenden Jahr einen ersten Testlauf mit sechs bis zehn neuen gTLDs zu starten. Doch bevor die 19 ICANN-Direktoren einen Beschluss fassen können, muss ein endgültiger Vorschlag vom Names Council, dem Top-Gremium der DNSO, gebilligt werden. Ungeklärt ist bislang noch, ob die Betreiber neuer Registries Gewinn erzielen dürfen, ob die Domains offen - im Stil von .web - oder klassifiziert - wie etwa .info - sein sollen. ‘Ich rechne nicht damit, dass das ICANN-Board im März bereits über die Einführung entscheiden kann’, urteilt Jonathan Weinberg, amerikanischer Juraprofessor und einer der Vorsitzenden der Arbeitsgruppe.

‘Wir sind heute in der Diskussion so weit wie wir vor drei Jahren schon einmal waren’, kritisiert Werner Staub vom Schweizer Internet Service Provider Axone. Als Sekretär des Council of Registrars (CORE) hat Staub zu einem Zeitpunkt für die Einführung neuer TLDs geworben, als NSIs .com-Domain gerade einmal eine Million Registrierungen verzeichnen konnte. Inzwischen hat die .com-Domain endgültig Referenzcharakter fürs gesamte Internet-Business bekommen. Die Preise für Domain-Verkäufe in diesem Bereich haben fantastische Höhen erreicht.

Jetzt fürchten selbst die Befürworter neuer gTLDs wie Staub, dass die Einführung einer kleinen Hand voll neuer Domains kaum Abhilfe schaffen, dafür aber gewaltige Verwirrung bei den Anwendern hervorrufen wird. Unter welcher Top-Level-Domain soll der Kunde die Adresse eines Unternehmens oder einer Organisation suchen, wenn .web oder .firm neben .com zur Verfügung stehen? Die Einführung einer kleinen Zahl von neuen Top-Level-Domains könnte gleichzeitig auch den Effekt haben, dass .com-Domaininhaber sich durch eine gleich lautende Registrierung in den neuen Namensbereichen absichern. Damit entstehen lästige Mehrkosten für die Domain-Inhaber, ohne dass die beklagte Adressenknappheit grundsätzlich verschwindet.

Eine Radikallösung fordern deshalb einige Mitglieder der DNSO-Arbeitsgruppe zu den gTLDs: ICANN soll sich von vornherein auf die Einführung von 500 neuen Top-Level-Domains in den nächsten drei Jahren festlegen. ‘Nur wenn von Beginn an klar ist, dass ICANN die Zahl der Top-Level-Domains nicht weiter künstlich begrenzt, werden Investitionen und die Entscheidungen der Konsumenten rationaler getätigt’, meint Milton Mueller, Professor für Telekommunkation an der University of Syracuse. Fehlt eine solche Absichtserklärung, ziehe ICANN lediglich neue Monopolisten im Stile von NSI heran, die anschließend eine Liberalisierung im Namensraum behinderten. Die Ankündigung einer weit gehenden Öffnung des Namensraumes könnte auch der Spekulation mit Domain-Namen den Boden entziehen und ein grundsätzliches Umdenken bei den Anbietern und Benutzern hervorrufen: Es gäbe keine automatische Verbindung mehr zwischen Unternehmens - und Domain-Namen.

Genau auf diesen Effekt setzen allerdings bisher die Inhaber von bekannten Markennamen und große Konzerne. IBM, AT&T, Bell und andere Unternehmen galten schon bisher als mächtige Gegner einer Öffnung des Namensraumes im Internet.

Man sei keineswegs grundsätzlich gegen neue gTLDs, schreibt Rechtsanwalt Petter Rindforth, Vorsitzender des schwedischen Boards for Domain Name Regulation, der die International Trademark Association in der DNSO-Arbeitsgruppe vertritt. Die Probleme mit Cybersquattern und anderen Markenrechtsverletzungen seien aber selbst im bisherigen System ungelöst. Deshalb fordern die Markenrechtler ein langsames Vorgehen. Drei Punkte wollen die Markenrechtler abgesichert sehen: mehr Kontrolle bei der Registrierung von Domains, schnelle und effektive Schlichterverfahren bei missbräuchlicher Registrierung und ein System zum Schutz bekannter Marken. Ein Schlichterverfahren hat ICANN inzwischen bereits zum Bestandteil ihrer Verträge mit den neuen com.-, net.- und org-Registraren gemacht. Ein erstes Verfahren läuft seit Anfang Dezember vor dem Schlichtergremium der World Intellectual Property Organization (WIPO). Eine weitere Arbeitsgruppe arbeitet an Mechanismen zur Absicherung bekannter Trademarks, beispielsweise durch eine eigene gTLD für die Markenelite.

Dadurch könnten die Argumente der Markenschützer weiter an Überzeugungskraft verlieren. Im Sommer, so hofft CORE-Mitglied Siegfried Langenbach, könnte ICANN endlich die erste Gruppe neuer gTLDs zulassen. Ein erster Bewerber hat sich in der gTLD-Arbeitsgruppe bereits zu Wort gemeldet, die Indigenous Nations and People of North America. Sie möchten gerne eine naa-Domain betreiben und haben für ihr Positionspapier Vertreter verschiedener indianischer Volksgruppen mobilisiert.

An Bewerbern wird es der ICANN aber nicht fehlen. Als mögliche Registry-Betreiber nennen Mueller und seine Mitstreiter neben dem CORE auch Provider wie Imagine Online Design oder Name.space, der bereits heute 528 neue Namen vorschlägt, von .2000 bis .zone. Alle notwendigen Voraussetzungen für den Betrieb einer Registry bringen auch die Vergabestellen für Länder-Domains (ccTLD) mit, von denen einige selbst bereits ihre Adressen global vermarkten.

Ob ICANN selbst eine Entscheidung über die Tests fällen oder aber stattdessen die Anbieter samt ihrer Konzepte auswählen beziehungsweise zulassen soll, könnte wieder eine Grundsatzdiskussion zur Rolle der ICANN heraufbeschwören. Die Organisation dürfe nur den technischen Betrieb sicherstellen, während die Vorschläge für neue Domains aus der Wirtschaft kommen sollten, fordert die Gruppe um Mueller. ICANN sollte selbst die neuen Domains festlegen, fordern dagegen die Markenrechtler. ‘Es gibt keine befriedigende Antwort, wie Namen und Registries während des ersten Roll-Out ausgewählt werden sollen’, meint der Vorsitzende der gTLD-Arbeitsgruppe Weinberg. Man werde aus den antretenden Bewerbern je nach technischer Qualität sowie dem finanziellen und organisatorischen Konzept auswählen.

Vielleicht noch vor dem Sommer bekommt .com aber einen möglicherweise starken Konkurrenten von ganz anderer Seite: Die Europäische Kommission betreibt derzeit die Aufnahme in das Namenssystem mit einer eigenen ccTLD .eu. Zwar steht .eu nicht in der Länderliste nach ISO 3166, sondern stellt nur einen so genannten reservierten Code dar. Trotzdem rechnet man mit einer positiven Entscheidung durch das ICANN-Board. Mit Aussagen zu möglichen Betreibern eines EU-NIC hält man sich noch zurück, zu gegebener Zeit werde man Angebote einholen, heißt es aus der Kommission. (jk) (jk)