Die Zukunft des Wohnens

Ob Berlin, Brüssel oder Hünenberg, allenthalben wird das vernetzte Wohnen ausprobiert. Noch ist nicht klar, ob die Internethäuser, die inzwischen zum Teil schon ihre dritte Version präsentieren, nicht an mangelnder Akzeptanz scheitern werden, weil sie letztlich einem Export von Solarien in die Wüste gleichen. Trotzdem wird unverdrossen weiter in das Wohnen der Zukunft investiert. Die Hoffnung: ‘Intelligente Häuser’ ermöglichen irgendwann ‘Intelligentes Wohnen’ - Energie sparend, mit viel Komfort und Bequemlichkeit - und vor allem sicher.

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Von
  • Maria Benning
Inhaltsverzeichnis

Der schwedische Konzern Electrolux möchte die Kühlschränke zur dezentralisierten Steuerzentrale von Eigenheimen und Mietshäusern machen. Cisco sieht in Internet-Häusern schon den nächsten großen Absatzmarkt für seine Router. Und Unterhaltungselektronik- wie Hausgeräteproduzenten erhoffen sich Innovationszyklen und damit ständige Geräteneukäufe wie in der Computerbranche: Das intelligente Haus ist bei den Firmen recht beliebt. Anders bislang bei den Verbrauchern: Zwar schauen sie sich amüsiert die Zukunftsvorstellungen der modernen Häuslebauer an - weiter als bis zur Anschaffung einer automatischen Heizungsregelung reicht bei vielen die Akzeptanz moderner Hausregeltechnik oft nicht.

Dabei könnte alles so schön sein: Der vernetzte Kühlschrank sorgt selbsttätig für Nachschub, wenn die Milch für den morgendlichen Kaffee ausgeht; die intelligente Stromanlage ermöglicht dem E-Werk monatliche Verbrauchsabrechnungen mit Auflistung der einzelnen Geräte; personalisierbare Haussteuerungen passen Temperatur, Licht und eingeschaltete Geräte automatisch und unter Berücksichtigung der Umweltbedingungen auf die Bedürfnisse des Bewohners an. Nicht zu vergessen: Zum Arbeiten geht der intelligente Bewohner intelligenter Häuser nicht mehr ins Büro, sondern verlagert entweder alles nach Hause oder benutzt frei flotierende ‘Workspaces’.

Miete: kostenlos, Dauer des Mietvertrags: drei Jahre, Bezugstermin: 1. Oktober 2000 - für ein Reihenhaus im schweizerischen Dörfchen Hünenberg ein reichlich ungewöhnliches Wohnungsinserat. Doch wie fast immer bedeutet auch hier gratis nicht umsonst: Das Haus ist ein ‘Internet-Haus’, bis unters Dach angefüllt mit Hightech. Die zukünftigen Bewohner sollen diese Installationen in Gang halten, warten und erproben. Dabei werden sie von einer Webcam gefilmt, deren Bilder unter www.futurelife.ch ins Internet eingespielt werden.

Nur Eltern kommen als Mieter in Frage, und hier auch nicht alle, sondern nur die, die etwa 35 bis 45 Jahre alt sind und ein bis zwei Kinder im Alter von ungefähr 10 Jahren haben. Im Kern muss die Familie ‘zukunftsorientiert’ sein. Und das heißt, dass sie ‘Interesse an allen neuen Technologien’ mitbringt. Die Wohnbedingungen en détail: Tagsüber herrscht Anwesenheitspflicht im Webcam-überwachten öffentlichen Teil des Internethauses. Nur abends, nachts sowie an zwei Tagen pro Woche können sich die Musterwohner in den nicht öffentlichen Teil des Hauses zurückziehen. Auch für Besucherführungen im Zukunftsheim müssen die Mieter zur Verfügung stehen.

Immerhin kann Familie Mustermann für ihre Dienste im Mietvertrag ein Gehalt aushandeln, und fünf Wochen im Jahr gibt es sogar hausfrei, dann darf die Familie das Internethaus verlassen. Also eine Art ‘Little Brother’ als Werbung für Heimautomatisierung, Heimvernetzung und Internet-Häuser?

Jedenfalls fand sich die seltsame Wohnungsanzeige auf der Schweizer Webseite www.futurelife.ch. Im Kanton Zug ‘kann die Zukunft zur Gegenwart werden’, hieß es da. Möglich macht das Hausprojekt der deutsche Unternehmer Otto Beisheim, der unter anderem die Handelsketten Metro und Mediamarkt gegründet hat, und sich als Milliardär in die Schweizer Steueroase, den Kanton Zug, zurückgezogen hat. Beisheim, der auch enge Geschäftsbeziehungen zum Medienunternehmer Leo Kirch unterhält, will die Zukunftswohnung mit allem ausrüsten, was derzeit State of the Art eines Internethauses ist. ‘Von der Kommunikationstechnologie bis hin zum Wohndesign’ werde ‘alles vom Modernsten’ sein, kündigte ein Sprecher des Projektes im Gespräch mit c't an.

Projektpartner für das Musterhaus ist unter anderem die Firma Cisco, die bislang eigentlich eher Netzwerkspezialisten als Marktführer für Internet-Router bekannt war. Derzeit ist das Haus noch im Rohbau, doch inzwischen hätten bereits mehr als zwanzig Familien Interesse angemeldet, im Internethaus zu wohnen, sagte der Geschäftsführer der Beisheim Investment Group, Dr. Jürg Callay.

‘Das Projekt will einen Beitrag leisten zum Nachdenken über das Leben, die Technik, die Wirtschaft und die Gesellschaft von morgen und übermorgen’, betonte Callay und verwies darauf, dass der Unternehmer Beisheim keine Kinder habe und daher noch nach ‘weiterführenden’ Aufgaben Ausschau halte. Ein Schelm, wer mehr dahinter sieht, wenn der Metro-Gründer anfängt, sich für vernetztes Wohnen zu interessieren. Auch wenn Callay es noch nicht bestätigen mochte, liegt doch der Gedanke nahe, dass mit dem Projekt Internethaus praktikable E-Commerce-Möglichkeiten ausgelotet werden sollen.

Anders als die Beisheim Investment Group macht das Berliner Projektbüro Q24.net gar keinen Hehl aus seinen E-Commerce-Interessen. 800 bis 1000 Wohnungen will der Berliner Kommunikationsdienstleister bis Ende des Jahres wahlweise mit einem internetfähigen PC oder einem Internetzugang via TV mittels Settop-Box ausrüsten. In Berlin soll das vernetzte Angebot auch über die individuelle Wohnung hinausgehen: Mit einem Passwort wird sich der Mieter auf einem Serviceportal einloggen können, um dort zu Sonderkonditionen online einzukaufen und Dienstleistungen wie Online-Banking zu nutzen. ‘Die komplett vernetzte Immobilie lässt sich via Passwort und Internet von jedem Ort der Welt aus managen’, verspricht die Berliner Immobiliengesellschaft Quadriga, die das Projekt vermakeln will.

Ende des Jahres soll es in Berlin eine erste Musterwohnung für das Projekt geben, kündigte Quadriga-Sprecher Antonios Goros an. Dann könne man auch sehen, wie die ‘Home-Delivery’-Installation aussehe. ‘Im schrankgroßen Fach in der Außenwand der Wohnung wird, wenn der Mieter dann abends nach Hause kommt, der Lebensmitteleinkauf bereitliegen. In einem gesonderten Fach hängt der gereinigte Anzug und das frisch gebügelte Hemd für den nächsten Tag’, prophezeit Goros. Mit dem Ausbau der 800 Wohneinheiten wolle man aber erst anfangen, wenn die Musterlösung mit Interesse aufgenommen werde, erklärte der Sprecher und räumte schließlich ein, dass sich Quadriga mit dem Service-Angebot des vernetzten Wohnens vor allem von Immobilien-Mitbewerbern abheben wolle. ‘Da Mieten in Berlin vergleichsweise billig sind, weil die Stadt ein Wohnungsüberangebot verzeichnet, muss man sich mit solchen Extras hervortun’, kommentierte Goros.

Dem Mieter werden dabei Spareffekte in Aussicht gestellt. Ähnlich dem Firmeneinkauf oder auch vergleichbar mit der alten Raiffeisen-Idee soll der Bewohner des Quadriga-Objektes auf dem gesellschaftseigenen E-Commerce-Portal einkaufen und dort auf alle Produkte Sonderrabatt erhalten. Um die Logistik des Angebots zu bewältigen, seien bereits Kooperationsverträge mit UPS, Colt Telekommunikation, Telekom, Siemens, Techem, Smart und Amazon.com geschlossen. ‘Preisbewusste Mieter können da gar nicht anders, als den Service gut zu finden’, verspricht Goros und erklärt, die Bedienung der ‘Service-Anlage’ werde ‘kinderleicht’ sein und auch älteren Mitbürgern ermöglichen, übers Internet mit Supermärkten und öffentlichen Verwaltungen in Kontakt zu bleiben.

Unklar ist derzeit noch, welche technischen Details genau sich im Schweizer oder Berliner Wohnprojekt finden werden. Bis die Kooperationen unter Dach und Fach sind, halten sich die Anbieter mit Ankündigungen zurück. Zu viele der bislang vorgestellten Internet-Häuser sind im Kabelsalatstadium vorgeführt, hernach aber ohne den technischen Schnickschnack verkauft worden.

Mehr zu den Kabelsalat- als den Internethäusern zählte etwa ein Projekt unweit von London: Unterstützt von Cisco Systems, Axis und Honeywell hatte die Immobilienfirma Laing Homes in Wardford in der Nähe von London Ende letzten Jahres das erste ‘real Internet Home’ eröffnet. Im Februar dieses Jahres wurde das Modell-Haus geschlossen. Nicht etwa, weil sich die Installationen nicht bewährt hätten, betont Harald Zapp, Marketing-Manager von Cisco, sondern schlicht, weil das Haus jetzt verkauft wurde. Ohne die vernetzten Endgeräte für Heizung, Licht und Alarmanlage übrigens, denn die hätten den Preis von 750 000 englischen Pfund noch einmal erheblich in die Höhe getrieben, meint Zapp. Das Cisco-Haus bleibt dennoch ein Zukunftshaus, biete es seinem Besitzer doch die Möglichkeit, in die rund 70 im Haus verteilten Netzanschlussdosen Computer oder Web-Kameras für Videokonferenzen und Kinderüberwachung einzustöpseln, wenn ihm danach ist.

‘In solchen Ausstellungen wie der in London muss es darum gehen, das Neuste zu zeigen’, sagt Zapp. ‘Da reicht es nicht, eine Lösung zu präsentieren, die schon ein halbes Jahr alt ist, denn nicht der Verkauf der Produkte steht im Vordergrund, sondern ihre Präsentation.’

Aus diesen Gründen sagt in Belgien Projektmanager Peter Bongers vom House of Tomorrow2 gleich vorneweg: ‘So ein Hightech-Wohnprojekt ist zum Wohnen natürlich viel zu teuer.’ Außerdem könne man Wohnen gar nicht testen, fügt er hinzu, ‘weil sowieso jeder superindividuell darauf reagiert’. So sind die Exponate im zweistöckigen Multimedia-Wohnhaus im belgischen Vilvoorde (http://www.livtom.com/) in der Nähe von Brüssel zwar nicht praxiserprobt, aber der Hightech-Wohninteressierte gewinnt hier einen guten Überblick über das technisch Machbare. Insgesamt sei seine Anlage etwa 24 Millionen Mark wert, gibt Bongers an. Doch könne man den Geldwert der Anlage nicht exakt bestimmen, weil das meiste Equipment auf Grund von Firmen-Kooperationen nach Brüssel gelangt sei.

Living Tomorrow 2 ist ein Gemeinschaftsprojekt von 96 Unternehmen - darunter Microsoft, Philips, Xerox, das Media Lab des MIT und Netzwerkspezialist 3Com. Auch Phillip Morris und Jacob Suchard spon-sern das Projekt, um Shopping-Anwendungen auszuloten. Die Zahl 2 hinter dem Namen zeigt an, dass das ‘Leben Morgen’ sich ständig in der Entwicklung befindet: 1991 im Beisein von Bill Gates gegründet, brachte Living Tomorrow bisher alle fünf Jahre ein neues Wohnmodell heraus - von der ersten Version über Living Tomorrow 1 bis zur jetzt vorgestellten Variante.

Alles, was sich in dieser Zeit als fragwürdig erwiesen hat, muss bei der nächsten Version außen vor bleiben. Es scheint, als sei auch die Zukunft früher länger haltbar gewesen, hier jedenfalls bleibt erstaunlich vieles schon im Beta-Stadium auf der Strecke, wenn die nächste Runde des morgigen Lebens eingeläutet wird. Seit der letzten Version sind das zum Beispiel der intelligente Kühlschrank, das Barcode-Einkaufssystem und die alte Sicherheitstechnik.

Aber nicht nur die technische Entwicklung, der ‘Maschinen-Darwinismus’, mache alle fünf Jahre ein neues Haus notwendig, betont der Projektmanager. Auch die Ansprüche der User sind schnelllebig. ‘Zuerst verändert die Technik die Wohnformen, und dann verändern die Wohnformen uns’, meint Bongers, der den Grundgedanken des Projektes, das ‘under the Royal Patronage of His Majesty King Albert II’ von Belgien steht, so beschreibt: ‘Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir können sie erfinden.’

Wie sieht er nun aus, der Wohnraum der Zukunft? Oder sollte man besser von der derzeit gültigen Version der Vision sprechen? Dem belgischen Wohnentwurf zufolge kann der Mensch der Zukunft, wenn er über das nötige Kleingeld verfügt, überall TV-Leinwände aufstellen - als zierliche Flachbildschirme, die wie kleine Fotorahmen auf dem Kamin Platz finden können, oder als in die Wand eingelassene Groß-Touchscreens. Hier kann man nicht nur das Fernseh- oder Internetprogramm übertragen, sondern auch Nachrichten für die Familienmitglieder anbringen oder einzelne Zimmer des Hauses überwachen. Eine Kamera draußen an der Haustür verrät dem Menschen der Zukunft drinnen, wer vor der Tür steht. Und hat der Gast dann das Sicherheitssystem passiert, gelangt er in die Halle.

Das Haus der Zukunft würde allerdings eine prima Kulisse für Friedrich Dürrenmatts Novelle Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter abgeben. Allüberall Bildschirme, fast schon wirken sie wie Bilder an der Wand oder wie ein Tapetenüberzug. Und wenn die Übertragung so gut klappt, wie bei der Pressevorführung, dann geht es im Zukunftsheim zu wie im Container der RTL-Seifenoper ‘Big Brother’: ohne Privatsphäre.

Bis ins Kinderzimmer reicht die Webcam-Aufsicht, und endlich, so könnte man sagen, genießen Kinder in diesem Wohnentwurf die Aufmerksamkeit, die sie brauchen. Kindchens erste Gehversuche können auf Vatis Schreibtisch stattfinden, und nicht länger muss sich jemand den Vorwurf gefallen lassen, er sei ein Karrierist auf Kosten der Familie. So zumindest die viel versprechende Vision.

Gehen wir lieber erst einmal in die Küche: Hier wird sich der Zukunftsmensch mit seinem Kitchen-Computer unterhalten. Das heißt, er kann dem Gerät die Einkaufsliste diktieren. Schon während der Bestellung informiert der Küchenrechner den User fortlaufend über das Müllaufkommen, das mit dem gewünschten Produkt ins Haus kommen würde, und macht Vorschläge, wie der zu erwartende Abfall optimal getrennt werden könnte. Ein menschlicher Küchenmoderator demonstriert, was die Küchenzukunft bringen kann. Weil sich der Küchencomputer an seine Stimme gewöhnt hat, kann nur er die Spracheingaben machen: ‘Find me a quick warm lunch’, sagt er zum Küchenrechner. ‘Spinat-Lasagne’, ruft ein Zuschauer, doch das versteht der Rechner nicht - auch nicht, als es der Moderator wiederholt. Bei Spaghetti Bolognese schließlich klappt es.

Auf dem Bildschirm erscheinen die Zutaten - da es sich um ein Fertiggericht handelt, gibt es allerdings eigentlich nur die Abbildung des Soßengläschens sowie der Nudelpackung zu sehen. Vielleicht wäre der Küchenbesitzer zur Not auch noch ohne Computer auf diese Menüidee gekommen. Nicht aber darauf, dass ihm der Küchencomputer nun erklärt, wo der nächste Glascontainer steht und wie die Nudelverpackung am Platz sparendsten zusammengefaltet wird, bevor sie zum Altpapierstapel gelegt wird. Die Mülltrennmafia in radikalgrünen WGs oder eine umweltbewusste Mutter im Nacken wären nichts gegen die unerbittliche Entsorgungsdiktatur dieses Küchencomputers. Unvorstellbar, dass unter diesen Bedingungen entspannte Feierabendgefühle aufkommen könnten.

Aber was solls, Kochen geht im Leben von Morgen ohnehin zack-zack, auf amerikanische Art. Schwups, schon zerläuft der Käse auf der Fertigpizza, da muss sich der Mensch der Zukunft nie lange in der Küche aufhalten. Der Moderator nimmt ein Glas Joghurt aus dem Kühlschrank und zugleich sind da die Recycling-Boxen auf dem Monitor zu sehen, die den Müll entgegennehmen. Schon beim zweiten Präsentationsdurchgang kommt die Frage auf, ob man die Umwelt-AGBs des Rechners auch deaktivieren kann. Vorgesehen ist das nicht, meint der Küchenerklärer. Doch zurück zum Hauptgang: Mit seiner Bestellung am Küchen-Rechner aktiviert der Küchenbesitzer den örtlichen Lebensmittelanbieter. Dieser richtet den Warenkorb und wirft das Bestellte später in die Box in der Hauswand ein.

Nicht nur der Küchenrechner, sondern auch die allgegenwärtigen TV-Leinwände, die Alarmanlage, die Klimaanlage, der Whirlpool und das künstliche Herdfeuer lassen sich per Sprachbefehl in Gang setzen. Für den Fall, dass die Stimme oder das Übertragungsverfahren versagt, befindet sich in jedem Raum zusätzlich ein Touchscreen-System zur Nachkontrolle. Wer die Seite http://misterhouse.net:8080/ aufruft, kann sich ein Bild davon machen, wie ein Heimautomations-Interface per Web-Browser aussehen könnte. Doch muss nicht jede Steuerung immer wieder neu per Hand eingegeben werden, denn immer mehr Anwendungen funktionieren mit Agenten-Technik. Damit wird die Software intelligent und merkt sich selbststeuernd, welche Einstellungen der Anwender favorisiert und für was er sich interessiert.

Wie bei anderen Projekten geht man auch bei ‘Living Tomorrow’ davon aus, dass Wohnen und Arbeiten in Zukunft nicht mehr so stark getrennt werden wie heute. Im Brüsseler Modellhaus spielen Büro-Applikationen daher eine große Rolle. Das Haus von morgen sieht zwei Büros vor, eine Voll- und eine Light- oder ‘Diet’-Version. Die Light-Version ist das so genannte ‘Home-Theater’, eine Drehbühne, die zwischen dem offenen Treppenhaus und dem Heimkino montiert ist. So sitzt der Mensch der Zukunft am Schreibtisch, während sich unterdessen wie bei einem Aussichtsturm der ganze Raum dreht. Zweck der Installation ist die permanente Kinderbetreuung. Die Kleinen können wahlweise im Heimkino Filme gucken oder im Internet surfen oder in der Halle spielen, und immer dahin, wo sie sich aufhalten, kann das drehbare Büro seine Tür öffnen. Die bei der Pressevorführung eingeschaltete Applikation war ein Online-Hotelführer mit angeschlossener Buchungsmöglichkeit. ‘Hier können auch schon die Kleinen Flüge und Hotels in aller Welt buchen und dabei spielend lernen, wo auf der Welt welche Orte liegen’, erklärt der Hausführer.

Das Heimkino hat übrigens nicht nur Programm für die Kleinen, sondern es kann auch einen intelligenten Arbeitsberater laden. Sollte der Vati einmal arbeitslos sein oder sich neu orientieren wollen, berät ihn sein Arbeitsberater online. Der vorgestellte Bewohner dieser Hightech-Welt ist ‘Event-Manager’, und sein Agent fragt ihn, was er seit seiner letzten Eingabe alles gemacht hat. Dann übermittelt er die Angaben an die holländische Zeitarbeitsfirma Randstad und erhält von dort die Auskunft, dass auf der Expo 2000 in Hannover sicher einiges in diesem Bereich zu tun ist. Diese Mitteilungen macht übrigens ein Avatar, der wie ein Arbeitsvermittler im Arbeitsamt aussieht. Als I-Tüpfelchen wird das Vorstellungsgespräch simuliert und der Arbeitslose erhält vom mul-timedialen Bewerbungsberater Tipps, wie er sich besser verkaufen kann.

Die Anwendung stammt von Randstad selbst. Sie besteht aus einer ausgefeilten Videokonferenzschaltung und einem persönlichen multimedialen Archivsystem mit Passbildern und Berufserfahrungen. Allein die Vorstellung, dass der Musterbesitzer dieses 24 Millionen Mark teuren vollvernetzten Hauses irgendwie auf Arbeit angewiesen sein könnte und dass er diese dann auch noch verlieren und zur Zeitarbeitsfirma gehen muss, macht einen irgendwie nervös. Aber wenns denn in Zukunft so sein soll, wird man sich wohl an hypertolle Zeitarbeitsfirmen-vermittelte Jobs gewöhnen.

Das Sicherheitssystems des Zukunftshauses kann schon einmal für Erheiterung sorgen, handelt es sich doch um eine recht handgreifliche Sicherheit, die da zu Tage tritt. Zunächst will das biometrische Gesichtserkennungsverfahren den Hausbesitzer nicht erkennen. Immer wieder geht die Prozedur: ‘Please look at the camera’, ‘klick’ - und dann passiert nichts. Doch als der Projektführer schließlich versucht, die Tür trotz piepender Alarmanlage per Hand aufzumachen, stellt sich heraus, dass eine andere Führung im Hightech-Büro das System auf ihr Gesicht umgeschaltet hatte.

Auch im Schlafzimmer herrscht in Zukunft nicht mehr nur eitel Sonnenschein. Das Bett versteht da mitunter gar keinen Spaß, wenn der Schläfer am Abend Rapport gibt über Ernährung und Bewegung. ‘Das Bett wird immer intelligenter, es weiß, was du gegessen hast und macht dir Fitness-Vorschläge für den nächsten Tag’, erläutert der Hausführer. Unwillkürlich stellt sich hier die Vorstellung ein, dass das Bett seine Inlieger kräftig durchschüttelt, wenn das Trainingsprogramm nicht eingehalten wurde, aber der Hauserklärer betont, es mache ‘nur’ Vorschläge, noch nicht aber für den Sex. ‘Ich will noch ein Buch lesen’, kann der Mensch der Zukunft laut und deutlich zum Bett sprechen, und schon fährt die Matratze hoch. Genauso das Fernsehgerät, auch dies lässt sich per Spracheingabe ein- und ausschalten, aber zudem auch noch im Raum positionieren. Eine Schiene hängt an der Zimmerdecke, daran entlang hangelt sich der Bildschirm, bis er die für die Schlafmütze beste Position erreicht hat. ‘Betten sollten individuell sein’, sagt der Manager. Die Sprachsteuerung des Fernsehens ist vom Bett aus natürlich besonders komfortabel.

Obwohl das Brüsseler Modell nicht bewohnt wird, beobachten die Projektmacher die Reaktionen der Zuschauer sehr genau, berichtet Peter Bongers. So versuche man, möglichst viele Politiker verschiedener Nationen in das Haus einzuladen, um zu überprüfen, wo vielleicht Interesse für solche Lösungen bestehen könnte. Insbesondere chinesische Politiker seien sehr aufgeschlossen gegenüber dem Leben von morgen, betont Bongers stolz. In ein paar Wochen wollen die Betreiber sogar selbst nach China fliegen, um dort gute Stimmung für das Projekt zu machen. ‘Wir wissen ja alle noch nicht, wozu das Ganze gut ist’, sagt der Projektleiter, aber es sei ‘interessant, globale Reaktionen zum Zukunftswohnen zu beobachten’.

Wer ‘Intelligentes Wohnen’ auch mit dem Büro der Zukunft assoziiert, kann sich das Projekt Future Office Dynamics vom Büromöbelhersteller Wilkhahn und der GMD im niedersächsischen Stuhldorf Bad Münder ansehen (http://www.future-office.de/home.html). Hier hat Wilkhahn zusammen mit dem GMD-Institut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme (GMD-IPSI) in Darmstadt eine neue Generation Büromöbel entwickelt.

Auch Stuhlhersteller können sich der Konvergenz der Medien nicht länger entziehen: ‘Die Zeit der stummen Diener ist vorbei, Möbel und Räume müssen intelligenter werden’, fordert anlässlich einer Präsentation der Büroinstallationen der Ingenieur Heinrich Iglseder, Leiter Produktentwicklung bei Wilkhahn. Das Unternehmen ‘intelligente Büromöbel’ geht von ‘kooperativen Gebäuden’ aus, in denen es keine festen Arbeitsplätze mehr geben soll, sondern nur noch ‘Teamarbeitstreffpunkte’. Wie ein Auto zur Tankstelle fahre, so dockt sich dieser Vision zufolge der ‘mobile Worker’ immer mal wieder an eine Schaltzentrale an und bleibt damit in Kontakt mit dem Team.

Zusammenkommen sollen die Arbeitsgruppen in ‘kooperativen Gebäuden’. Dort existieren nicht mehr nur einfach Wände, Türen, Tische oder Stühle, sondern interaktive ‘Roomware’. Nach Auffassung von Norbert Streitz vom GMD-IPSI soll dieser Begriff deutlich machen, dass in die einzelnen Komponenten Informations- und Kommunikationstechnik integriert ist. Dass ‘die Welt um uns herum zum Interface für Informationen wird’, soll das Ziel des Projektes sein, heißt es auf der Homepage des GMD-Projektes www.roomware.de.

Der CommChair ist ein Büro-Sessel mit TFT-Bildschirm. Die Rechner-Installation will sowohl Einzelarbeit als auch Gruppenarbeit ermöglichen. Kommt es auf Teamarbeit an, können zwei CommChairs aneinander geschoben und verbunden werden. Die Dateneingabe funktioniert hier mit einem Stift. Für die gemeinsame Nutzung der Daten wird die vom Darmstädter GMD-Forschungszentrum Informationstechnik entwickelte Software BEACH und one Space verwendet. Damit können Informationsobjekte von einem intelligenten Möbel zum nächsten weitergereicht werden. Die Befehle dafür basieren auf einem Gestenalphabet. In den Au-gen der Projekt-Entwickler sind Maus und Tastatur im Zukunftsbüro obsolet geworden. Stattdessen soll die Dateneingabe gestenbasiert mit Stiften, Fingern und Händen ausgeführt werden.

Die DynaWall ist eine interaktive elektronische Tafel von 4,50 Metern Breite und 1,10 Metern Höhe, die in Form einer in die Umgebung integrierten Rückprojektion realisiert ist. Die berührungsempfindliche Oberfläche ermöglicht es, den klassischen Tafelanschrieb oder die Skizze in digitaler Form zu verfertigen. Hinter der Hightech-Wandtafel stecken drei Pentium-III-Rechner. Insgesamt erscheint die DynaWall als Mischung zwischen Wandtafel und Pin-Wand; anders als die Offline-Vorgänger verfügt die digitale Variante allerdings über Datenübertragungsmöglichkeiten. Die Toolbar und die Objekte sind frei flexibel und können auf der interaktiven Wand hin- und hergeworfen werden.

Der digitale Datentransfer kann mit physischen Objekten verknüpft werden, was die Entwickler als Passage-Mechanismus bezeichnen: Statt mit Dateinamen und Speicherort wird die Datei einem beliebigen realen Objekt zugeordnet. Die Gewichte dieser Objekte werden in einer Tabelle erfasst und dienen dann als Identifier (ID) für den Aufruf der Informationsobjekte an einer anderen Stelle. Das Datenmaterial ist somit über das Internet auf jeden an das Netzwerk angeschlossenen Rechner übertragbar. Am Zielort können die Objekte wieder aufgerufen und weiterverarbeitet werden.

Alle Geräte des Future Office Dynamics verfügen über eine drahtlose Internet- und Fax-Anbindung und sind an ein LAN angeschlossen. Der Funknetzanschluss und die Akkus ermöglichen die freie Anordnung der intelligenten Möbel im Raum. Sind die Geräte auf Akkus angewiesen, ist in der Regel ein autarkes Arbeiten bis zu vier Stunden möglich. Der Eingabe von Befehlen wie etwa der Objektpositionierung oder des Transfers dient ein spezielles Befehlsalphabet aus einem Dutzend Gesten.

Technisch zeichnen sich die in Bad Münder präsentierten intelligenten Möbel vor allem durch ausgefeilte Display-Technik mit druckempfindlichen interaktiven Oberflächen aus. Die Oberfläche bei der DynaWall etwa benutzt ganz zuoberst eine berührungsempfindliche Folie. Darunter befindet sich ein Plasma-Display. Beides zusammen erreicht in etwa die Möglichkeiten einer interaktiven Tafel, wobei der Vorteil der DynaWall darin besteht, dass man keine Kreide oder Stifte braucht, sondern einfach mit dem Finger schreiben kann. Die kreativen Notizen werden von der Hightech-Tafel gespeichert und können bei Bedarf in alle Welt verschickt werden.

Nicht länger vom Büro ist die Rede, sondern vom ‘Public’ oder ‘Private Workspace’. Damit sind die Arbeitszonen des mobilen Arbeiters gemeint. Nicht nur der Laptop, sondern alle Büromöbel sollen das flexible Arbeiten unterstützen und ein permanentes Umherziehen im Büro ermöglichen. Für den Außendienst jedoch sind auch im Zukunftsbüro Mobiltelefone und tragbare Minirechner mit Netzanschluss immer noch unabdingbar. Tastaturen haben diese Installationen nicht, weshalb sie sich vor allem für grafische Arbeit eigenen. Als Anwender sind Konstrukteure, Ingenieure und alle, die kreativ arbeiten und layouten, anvisiert. Künftig, davon gehen auch die Entwickler in Bad Münder aus, werden Anwender nicht einmal mehr auf die Eingabe der Daten über Gesten angewiesen sein, um über das Internet Termine zu vereinbaren oder elektronische Post abzufragen. Denn bald sollen diese Aufgaben mit Hilfe von Spracherkennung erledigt werden.

Projekte über Projekte, doch mitunter stellt sich bei den Installationen die Sinnfrage. Immer noch ist es mitunter schneller, den handbeschriebenen Block herumzureichen, um Skizzen zu machen, als dafür umständlich ein Programm zu starten. Und auch manche Wohnungsinstallation lässt den Betrachter eher ratlos zurück, als dass sie ihn zur Anschaffung des E-Mobiliars inspirierte. Manche Webcam-Fantasie ist herbeikonstruiert und löst die Probleme der Familie im Zeitalter extremer Arbeitsteiligkeit nicht.

Unterdessen boomt in Kalifornien die Bewegung ‘zurück zum einfachen Leben’. Da die Manager des Silicon Valley im Beruf immer im Netz hängen, haben viele von ihnen zu Hause nicht einmal einen funktionierenden Anrufbeantworter. Manager von Internetfirmen entdecken das einfach Leben bei Kerzenschein. Will Clemens zum Beispiel, Chef des Internet-Unternehmens Respond.com, benutzt zu Hause kaum elektrischen Strom. Zu Hause müsse man in der Lage sein, das Silicon-Valley-Zeug auszuschalten und zu vergessen. Wer Clemens am Wochenende oder abends erreichen will, muss schlicht und einfach bei ihm vorbeifahren und anklopfen.

Auch Louis Rosenberg, Chef des Start-ups Immerson Corp, lebt mit Schafen, Ziegen und Enten, aber ohne fließendes Wasser. Und ebenso Alay Desai, als Technologiechef bei Stario.com besitzt er zu Hause weder Computer noch Telefonanschluss. Als ein genervter Geschäftsfreund ihm ein Handy schenken wollte, weigerte er sich, das Gerät anzuschalten. Seeds of Simplicity, eine Organisation, die die vergessenen Grundlagen des einfachen Lebens lehren will (allerdings nicht auf eine eigene Webseite unter http://www.seedsofsimplicity.org verzichtet), verzeichnet einen enormen Zuwachs bei Seminaren im Silicon Valley. Fast immer besteht die Hälfte der Teilnehmer aus Managern von Internetunternehmen. Harald Zapp, Marketing-Manager von Cisco Deutschland, indes hält die Rückkehr zur Natur der Neue-Medien-Manager für Esoterik und meint: ‘Ich bin oft drüben, und mir ist noch keiner mit einer Kerze begegnet.’

Eines jedenfalls wird deutlich: In den Zukunftsvorstellungen der Visionäre von ‘Intelligenten Häusern’ und ‘Intelligenten Büros’ wird das technisch Machbare zum Maßstab aller Dinge. Mit solchen Banalitäten wie Stromspareffekten durch Haussteuerung oder behindertengerechtem Wohnen durch elektronische Helferlein schlagen sie sich nur ungern herum: Die Alltagsrealität ist noch zu trivial.

Wenden wir uns aber genau dieser Realität zu: Wer heute mit Hausregelung sein Eigenheim aufpeppen oder sein Mietshaus attraktiver machen will, sieht sich mit unterschiedlichen Ansätzen konfrontiert, die in der Regel nicht miteinander kompatibel sind. Beispielsweise zur Realisierung eines Niedrigenergiehauses ist von den Zukunftsprojekten bislang wenig Hilfe zu erwarten: Vor das intelligente Wohnen haben die Hüter der intelligenten Häuser die Regeltechnik gestellt. Die folgenden Artikel beschäftigen sich daher mit den Grundlagen von Regeltechnik im Haus und den Techniken beziehungsweise Software-Protokollen, die Wohnungen und Eigenheime intelligenter machen sollen (in c't 15/2000 ab Seite 138), sowie klassischen Feldbus-Systemen für die Haussteuerung (in c't 15/2000 ab Seite 154). (mbb)

[1] Detlef Borchers, My home is my castle, Internet-Haus in England eingeweiht, c't 24/99, S. 54

[2] Jürgen Kuri, Das vernetzte Haus, Von der automatischen Lichtregelung bis zum intelligenten Haus, c't 22/99, S. 178

[3] Jürgen Kuri, Das verkabelte Haus, Bus- und Kabelsyste-me für die Heimautomation, c't 22/99, S. 184

[4] Jürgen Kuri, Das persönliche Haus, Internet, Robotik und künstliche Intelligenz: die Zukunft der Heimautomation?, c't 22/99, S. 194 (ole)