Medienklempner

Friede den Hütten, Krieg den Palästen? Im virtuellen Universum ist es gerade andersherum, weil die Paläste für alle da sind: Jeder kann edel gestaltete Portale durchschreiten, in komfortablen Datenfluchten wandeln und sich in endlos wirkenden Infopools tummeln. Wer mag noch in der Hütte hausen, wenn er selbst über die Werkzeuge des Informationsarchitekten verfügt?

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Dr. Thomas J. Schult

Eine Hütte kann sich jeder basteln, der handwerkliches Geschick hat. Ähnlich verhält es sich mit Multimedia: Legionen von lieblos gestalteten Homepages und Anwendungen entlarven die Bastler. Ein Informationspalast erfordert jedoch den Einsatz eines kundigen Architekten. Das kann im Prinzip jeder werden - kein mehrjähriges, zulassungsbeschränktes Studium ist Pflicht, keine Behörde regelt die Zulassung, und den Bauunternehmer spielen wohlfeile Software-Werkzeuge, die aufs Kommando spuren.

So leicht die Technik zu beschaffen ist, so schwer ist es doch, ansprechende multimediale Räume zu schaffen, ob im Internet oder auf Silberscheibe. Ein Informatiker ist nicht automatisch auch ein guter Gestalter. Noch viel zu wenige Designer mit Multimedia-Schwerpunkt verlassen die Fachhochschulen, und auch das junge Studienfach Medieninformatik kann nicht annähernd so viele Multimedia-Architekten bereitstellen, wie in Deutschland gebraucht werden.

Während der klassische Baumeister oft noch mit Papier und Stift auskommt, kann sich der Medienarchitekt gleich auch als ausführendes Organ versuchen. Die Auswahl der geeigneten Werkzeuge gestaltet sich aber schwierig. Früher war die Situation einfacher: Wer eine CD-ROM erstellt, wählt ein Multimedia-Autorensystem wie ToolBook oder Macromedia Director, wer eine Website konzipiert, einen HTML-Editor wie Frontpage oder Fusion. Diese Arbeitsteilung wurde in letzter Zeit aufgeweicht: Autorensysteme erzeugen auf Wunsch Multimedia-Anwendungen, die im Internet genauso laufen wie auf Offline-Medien. Entwicklungswerkzeuge, die fürs Internet gedacht waren, bieten sich auf der anderen Seite auch für CD-ROMs und DVDs an, weil ein Browser eben auch lokale Seiten anzeigen kann und fast jeder einen besitzt und bedienen kann - egal, auf welches Betriebssystem er schwört.

Natürlich reicht pures HTML nicht aus, um komfortabel Multimedia zu programmieren. Mit zunehmender Bandbreite des Internet werden aber auch die Werkzeuge zahlreicher, die Formate gängiger, um Bild, Ton, Video und Animation für den Browser zu komponieren. Kostenlose Entwicklungssysteme verleiten zum Experimentieren mit (bestehenden oder potenziellen) Internet-Standards. Ob JavaScript, Flash, SMIL und Co. dem Director aber wirklich das Wasser abgraben können, diskutiert ein eigener Artikel ab Seite 108.

Multimedia-Software boomt weiter: Alle Bereiche des Consumer-Marktes konnten im vergangenen Jahr höhere Stückzahlen verkaufen. Der durchschnittliche Preis ging dabei zurück - nur nicht bei PC-Games.
Quelle: GfK

Bisher wird jedenfalls der weitaus größte Teil der Kinderprogramme, Lernsoftware und Edutainment-Titel (und sogar manches Nachschlagewerk) mit Hilfe eines klassischen Autorensystems entwickelt, vorzugsweise mit Macromedia Director - kaum ist der letzte Ton der Löwenzahn-Kinder-CD verklungen, prangt das markante Logo auf dem Schirm. Ob der deutsche Markt ernsthafte Alternativen zum Platzhirschen aufzuweisen hat, klärt der nachfolgende Beitrag.

Wenn die Hochschulen nicht den Bedarf an Mediengestaltern decken, ist Weiterbildung angesagt. Wenn es um Websites oder CD-ROMs geht, treffen sich Designprinzipien, wie sie etwa für Printmedien oder Filme gelten, mit Multimedia-spezifischen Themen wie Navigation und Interaktion. Gerade die letztgenannten Bereiche bilden den Schwerpunkt eines Know-how-Artikels, der in einem der nächsten Hefte erscheint. (ts) (ole)