Königliche Realität

Die Gewährleistungsfrist vervierfacht und ein neu definierter Mangelbegriff - das sind nur einige der Neuerungen, mit denen die Schuldrechtsreform zu Beginn des Jahres angetreten ist, den Geschäftsalltag in Deutschland zu verändern. c't wollte wissen, wie zufrieden Kunden und Unternehmen mit dem neuen Verbraucherschutz in der Praxis sind.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Torge Löding
Inhaltsverzeichnis

Anfang Juli 2002 haben wir zwei Wochen lang eine Online-Umfrage durchgeführt und unsere Leser darin nach ihren Reklamationen befragt. 3615 Personen haben sich daran beteiligt und uns verwertbare Datensätze geliefert. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die sich die Zeit genommen und unsere Fragen beantwortet haben. Die Ergebnisse sind interessant, freilich nicht repräsentativ. Dennoch geben sie einen guten Einblick in die Erfahrungswelt unserer Leserinnen und Leser. Verfälschungen im großen Stil dürften durch die manuelle Anmeldeprozedur verhindert worden sein - wie bei c't-Umfragen üblich, waren automatisch per Skript generierte Antworten nicht möglich.

Anders als im Beitrag ab Seite 76 beziehungsweise in unserer Rubrik ‘Vorsicht, Kunde’ geht es hier nicht darum, dramatischen Einzelschicksalen nachzugehen oder schwarze Schafe unter den Händlern anzuprangern, sondern wir wollten ein Stimmungsbild ermitteln. Reagieren Kunden heute in Reklamationsfällen entspannter? Immerhin ist die Gewährleistungsfrist gegenüber dem alten Recht deutlich länger, und in den ersten sechs Monaten liegt die Beweislast, dass ein Produkt beim Kauf mangelfrei war, beim Händler. Reagieren die Händler nun aus Angst vor ausufernden Kosten übertrieben hektisch, wird der Kunde generell ‘geblockt’, wenn er etwas reklamieren will? Und was muss sich möglicherweise erst einspielen, was dringend verbessern?

Dabei fragten wir sowohl Erfahrungen mit Reklamationen aus Ladenkäufen als auch aus dem Versandhandel ab - hierzu gehört auch das Online-Shopping. Auf der anderen Seite interessierte uns auch die Erfahrung der Händler und Hersteller mit der neuen Gesetzeslage. Seitens der Unternehmen war der Rücklauf auf unsere Anfragen leider sehr gering. Die meisten sahen sich nicht in der Lage, erst sechs Monate nach Inkrafttreten der Gesetzesreform einen generellen Trend abzulesen.

Von jedem Umfrageteilnehmer wollten wir als erstes wissen, wie viele Reklamationen er in den letzten 24 Monaten vornehmen musste - also ob es sich um einen (möglicherweise unfreiwilligen) ‘Reklamations-Profi’ handelt oder nicht. Einen Weltmeistertitel im Reklamieren haben die meisten, die sich an der Umfrage beteiligten, glücklicherweise noch nicht erworben: Eine überwältigende Mehrheit von 80 Prozent hat dreimal oder weniger Erfahrungen mit dem Umtausch oder der Rückgabe defekter Ware gesammelt.

Guter Service bedeutet Kundenbindung. Wenn der Reklamationsservice schnell und effektiv war, kaufen Kunden gerne wieder beim selben Händler.

Eine wichtige Erkenntnis, die sich jeder Händler, der Wert auf Kundenbindung legt, hinter die Ohren schreiben sollte: Für die Kunden entscheidet der Umstand, dass die Reklamation zügig und zufrieden stellend behandelt wurde, darüber, ob sie wieder bei dem selben Händler kaufen. Die große Mehrheit derer, bei denen die Reklamation im ersten Anlauf klappte, würde sich demnach erneut für denselben Händler entscheiden: 82 Prozent haben das angegeben. Im Gegensatz dazu wollen 58 Prozent der Befragten, deren Reklamation nicht flott und ordentlich behandelt wurde, dem Händler fortan die kalte Schulter zeigen. Nur 18 Prozent der Unzufriedenen haben kein Problem mit dem Gedanken, wieder Geld in den entsprechenden Laden zu tragen. Ein deutliches Indiz dafür, dass die beste Werbe- oder Marketingkampagne nicht hilft, wenn der Service nicht stimmt.

In rund der Hälfte der Fälle reagierte der Service prompt am selben Tag auf die Reklamationsanfrage. Wir wollten wissen, ob die Anfrage per E-Mail oder Web-Formular, telefonisch, per Fax, Einschreiben (mit und ohne Rückschein) oder persönlich vorgebracht wurde. Erstaunlicherweise gaben fünf Prozent der Teilnehmer an, auf eine Reklamation per Post noch am gleichen Tag eine Antwort bekommen zu haben. Diese Befragungsteilnehmer dürften entweder sehr früh aufstehen oder selbst Postbote gespielt haben. Die Umfrage ergab zudem, dass in den meisten Fällen, in denen die Antwort prompt erfolgte, das Anliegen der Kunden auch zu deren Zufriedenheit erfüllt wurde. Unschön ist allerdings, dass neun Prozent der Befragten angaben, bei ihrem ersten Kontaktversuch gänzlich ignoriert worden zu sein.

Wer seine Reklamation persönlich im Laden vorbringt, wird am besten bedient.

Interessant ist die genauere Betrachtung der gewählten Kontaktkanäle hinsichtlich der Reaktionszeit: Erwartungsgemäß ist der Gang in das Geschäft der effektivste Weg, seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen - wenn es denn ein Ladengeschäft des Anbieters in akzeptabler Entfernung zum eigenen Wohnort gibt. In 73 Prozent der Fälle wurde umgehend auf die Anfrage reagiert.

68 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Anfrage per E-Mail oder Website in drei Tagen oder weniger beantwortet wurde. Diejenigen, die ihr Anliegen per Brief vorgebracht oder die Ware postalisch rückgesandt haben, mussten sich mit dem Tempo der Schneckenpost zufrieden geben. Hier wurden immerhin 28 Prozent der Anfragen in drei Tagen oder weniger beantwortet.

Erstaunlich: Wer per Einschreiben reklamiert, wird ganz besonders mit Ignoranz gestraft.

Wer seiner Einsendung in Form eines Einschreibens mehr Nachdruck zu verleihen suchte, scheint es mit der Bürokratenfraktion der Firmen zu tun zu bekommen: Geradezu unglaublich erscheint es, dass die teuerste und aufwendigste Versandform, das Einschreiben mit Rückschein, mit 42 Prozent die höchste ‘Ignoranzquote’ von allen Kommunikationsarten hat. Auch das einfache Einschreiben, auf das immerhin noch 47 Prozent der Empfänger innerhalb von zwei Wochen reagiert haben, übertrifft mit 33 Prozent sogar die ignorierten Faxe um sieben Prozent.

Im Zweifelsfall hilft doch eher, die Schokoladen- oder Trällerstimme aufzusetzen und zum Telefonhörer zu greifen: Satte 48 Prozent der fernmündlichen Anfragen wurden umgehend bearbeitet, weitere 27 Prozent immerhin in drei Tagen oder weniger.

Die beste Chance, dass die Reklamation beim ersten Anlauf auch gleich zu ihrer Zufriedenheit bearbeitet wird, hatten wiederum Kunden, die persönlich in einem Ladengeschäft auftraten und ihr Geschick in die eigene Hand nahmen: In 61 Prozent dieser Fälle hat es funktioniert. Telefonischer Einsatz und E-Mail haben anscheinend ähnliche Erfolgsaussichten, denn jeweils 54 Prozent der Befragten, die diesen Kontaktkanal wählten, waren nach dem ersten Anlauf zufrieden. Erschreckend wiederum die Bilanz für Einschreiben: In 73 Prozent der Fälle wurde die Reklamation nicht beim ersten Anlauf zur Zufriedenheit erledigt. Entweder wirken Einschreibebriefe wie ein rotes Tuch auf jeden Reklamationsdienst oder es sind eher die hoffnungslosen Fälle, die sich in dieser Form der Benachrichtigung manifestieren.

Insgesamt waren 58 Prozent der Befragten mit dem Endergebnis der Reklamation zufrieden, wenngleich sich die Volksmund-Weisheit bestätigt, derzufolge gut Ding Weile braucht: Fast die Hälfte der Reklamationen wurden erst nach mehr als zwei Wochen oder gar nicht zur Zufriedenheit durchgeführt.

Das Umfrageergebnis widerlegt jeden, der meinen sollte, der Einkauf in einem Ladengeschäft biete aufgrund des direkten Kontaktes von Mitarbeitern und Kunden automatisch mehr Service, als das bei Versandhändlern der Fall ist. 21 Prozent der Befragten sind zwar der Meinung, dass Reklamationen bei Versandhändlern (dazu zählen natürlich die diversen Internet-Shops) mehr Probleme bereiten und nur 20 Prozent denken, dass umgekehrt Ladengeschäfte den schlechteren Service bieten. Die klare Mehrheit - 59 Prozent - ist allerdings der Meinung, dass es keinen generellen Unterschied beim Reklamationsservice von Versandhändlern und Ladengeschäften gibt.

Immerhin: Nicht mal jeder fünfte Kunde fühlt sich schlecht behandelt.
Freundlichkeit gegenüber Kunden ist mindestens genauso wichtig wie technische Kompetenz.

Auch die Qualität der Waren aus Ladeneinkäufen scheint sich nicht großartig von der aus Online-Shopping-Touren oder Katalog-Bestellungen zu unterscheiden: Während die Befragten angaben, bei durchschnittlich 12,6 Prozent per Versandhandel gekauften Waren Reklamationsbedarf gehabt zu haben, waren es bei Waren aus Ladengeschäften 13,1 Prozent - eine marginale Differenz. Einzig bei der Schnelligkeit liegen Ladengeschäfte vor den Versendern: In 60 Prozent aller Fälle reagierten klassische Läden umgehend und in weiteren 17 Prozent der Fälle in drei Tagen oder weniger. Beim Versandhandel kam die Reaktion immerhin bei 34 Prozent am gleichen Tag und weiteren 30 Prozent in den folgenden drei Tagen.

Die Mehrheit der befragten c't-Leser ist mit der technischen Kompetenz zufrieden.
Wer sich bei der Reklamation kompetent bedient fühlt, kommt gerne wieder.

Wie bereits aufgezeigt, besteht ein starkes Verhältnis zwischen der Zufriedenheit des Kunden bei der Reklamation und der Entscheidung, ob er auch künftig bei diesem Händler einkaufen werde. Es gibt zwei wichtige Faktoren, die das Zufriedenheitsgefühl der Kunden dabei beeinflussen: Sowohl technische Kompetenz als auch Freundlichkeit der Mitarbeiter beim Reklamationsservice. Die Noten, die unsere Leser den Service-Mitarbeitern in beiden Kategorien gegeben haben, sind durchaus ansehnlich: Die technische Kompetenz stufen 44 Prozent als ‘gut’ oder ‘sehr gut’ ein, 21 Prozent immer noch als ‘befriedigend’. Noch ein wenig besser steht es mit der Freundlichkeit: 53 Prozent empfanden diese als ‘gut’ oder ‘sehr gut’, 16 Prozent immerhin ‘befriedigend’. Der Einfluss auf künftige Kaufentscheide ist erheblich: 95 Prozent der Befragten, welche die Servicemitarbeiter technisch ‘sehr kompetent’ gefunden haben, würden wieder beim selben Händler einkaufen. Ein identischer Wert bei der Kundenfreundlichkeit: 95 Prozent derjenigen, zu denen die Mitarbeiter sehr freundlich waren, können sich durchaus vorstellen, dort wieder einzukaufen. Tendenziell zeigt das Umfrageergebnis in den weiteren Kategorien ‘ausreichend’ und ‘mangelhaft’, dass die Kundenfreundlichkeit der Mitarbeiter noch einen Tick höher geschätzt wird als deren technische Kompetenz.

Viele Händler und Hersteller waren nicht sehr erfreut, als das neue Recht auf den Tisch kam, obwohl es durchaus nicht nur Vorteile für den Kunden mit sich bringt. Zurzeit reagieren sie jedoch gelassen.

Dell oder Hewlett-Packard etwa wollen sich noch gar nicht zu ersten Erfahrungen mit dem neuen Gesetz äußern. Die zum Metro-Konzern gehörenden Technikmärkte Mediamarkt und Saturn antworteten auf die c't-Anfrage nur mit der Aussage, dass Kunden ohnehin stets gute Reklamationskonditionen eingeräumt bekommen hätten.

Ähnlich sieht das Ulrich Kemp, Vertriebs-Geschäftsführer bei Fujitsu-Siemens Deutschland: ‘Generell hat sich durch die Reform für Fujitsu-Siemens kaum etwas geändert. Die Zahl der eingehenden Anrufe im technischen Support hat sich nicht erhöht. Allerdings herrscht zum Teil bei Kunden und Vertriebspartnern Aufklärungsbedarf darüber, welche Leistungen der Produkthersteller im Rahmen seiner Garantie erbringt, und was im Gegensatz dazu Ansprüche aus der gesetzlichen Gewährleistung sind, die der Kunde nur gegenüber seinem Verkäufer geltend machen kann. Unsere Mitarbeiter bemühen sich in jedem Fall, unbürokratisch zu helfen.’

Fujitsu-Siemens habe die Standardgarantie für alle PCs, Notebooks, Server und Displays auf mindestens zwei Jahre Bring-In-Garantie angehoben. Abhängig vom Produkt sei es heute wie auch in der Vergangenheit möglich, die jeweilige Standardgarantie durch zusätzliche Services (z. B. Vor-Ort-Service oder Collect & Return) gegen eine entsprechende Gebühr zu erweitern.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es um den Reklamationsservice in Deutschland besser bestellt ist, als die Debatte um die ‘Servicewüste Deutschland’ vermuten lässt. Nachholbedarf ist nur klar absehbar bei der Schnelligkeit, mit der Reklamationen aufgenommen und bearbeitet werden. Vermutlich ist das grundsätzlich positive Ergebnis unserer Umfrage, wonach weit mehr als die Hälfte der Umfrage-Teilnehmer mit den Reklamationsleistungen zufrieden sind, auch den neuen verbraucherfreundlichen Regelungen zu danken. (tol) (ole)