Boom-Phase

Das Telefonieren übers Internet erobert die Privathaushalte in rasantem Tempo. Im Hauen und Stechen um Anteile in diesem viel versprechenden Zukunftsmarkt lassen die Provider ihre Fantasie spielen, um sich von der Konkurrenz abzuheben, misstrauisch beäugt von den alteingesessenen Telefongesellschaften, deren Geschäftsmodell damit ins Wanken gerät.

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Von
  • Urs Mansmann
Inhaltsverzeichnis

Das herablassende Lächeln, mit dem die Vertreter der Telekommunikationsriesen das Thema Voice over IP noch vor zwei Jahren abtaten, ist nicht mehr zu sehen. Mit simpel zu installierender Hardware und zuverlässigen Gateways haben die Anbieter, die Telefonate übers Internet vermitteln, gute Chancen, den Telefongesellschaften wertvolle Gesprächsminuten abzujagen. Trotz aller Erfolge schlägt der Siegeszug von Voice over IP aber noch nicht auf die Bilanzen der Telefongesellschaften durch, die auf althergebrachte Vermittlungstechnik setzen. Die meisten Gespräche von VoIP-Anschlüssen laufen ins normale Festnetz und lassen dort weiterhin die Kassen klingeln. Netzinterne Gespräche, die an den Telefonnetzen vorbeilaufen, sind die Ausnahme.

In großen Firmen hingegen hat VoIP bereits den Durchbruch geschafft: Muss eine bestehende Telefonanlage ersetzt werden, so greifen die Administratoren meist die Gelegenheit beim Schopf und stellen gleich auf VoIP um. Computer und Telefon am Arbeitsplatz können dann dieselbe Infrastruktur nutzen; Verbindungen zwischen Niederlassungen laufen kostengünstig über bestehende Breitbandnetze, auf denen der VoIP-Verkehr priorisiert werden kann. Aber auch kleine Firmen können vom VoIP-Boom profitieren. Wie man mit einem Linux-Rechner und der Open-Source-Telefonanlage Asterisk eine bestehende ISDN-Anlage ersetzen und günstige VoIP-Gespräche ermöglichen kann, beschreiben wir im Artikel auf S. 116, c't 12/05.

Die Telekommunikations-Unternehmen haben bereits vor langer Zeit damit begonnen, die Wertschöpfung zu verlagern. Eine sichere Bank sind die Anschlussgebühren, denn daran hängt ja auch der Breitbandzugang. Seit einigen Jahren steigen die Grundgebühren daher beständig. Bei der Telekom beispielsweise kostete der DSL-Anschluss kurz nach der Einführung im Jahre 1999 rund 5 Euro, inzwischen mindestens 17 Euro im Monat. Auch die Preise für den Telefonanschluss sind in den vergangenen Jahren immer wieder in kleinen Schritten gestiegen. Die Kombination aus analogem Telefonanschluss und T-DSL wurde hingegen günstiger, nachdem die Telekom ihre Taktik aufgab, die Kunden per Preismodell zu einem Umstieg auf ISDN zu drängen, und die Preise für DSL am Analog- und ISDN-Anschluss anglich.

Mit den höheren Preisen macht sich der rosa Riese aber auch angreifbar: Die Konkurrenten unterbieten die Telekom gerade bei den Anschlusspreisen deutlich und mit großem Erfolg. In Hamburg beispielsweise hat Hansenet bei den DSL-Anschlüssen einen größeren Marktanteil als die Telekom. Arcor bietet ISDN- und DSL-Anschluss rund 25 Prozent günstiger als die Telekom an - und kommt kaum mehr nach, neue Kunden anzuschalten.

VoIP kann von dieser Politik aber nicht profitieren. Denn die Telefongesellschaften degradieren Voice over IP für Privatkunden damit automatisch zu einem Zusatzangebot für kostenlose netzinterne Gespräche oder zur Möglichkeit, Telefonate ins Festnetz ein klein wenig günstiger zu führen. Die hohen Grundgebühren, mit denen die Kosten für die Telefon-Infrastruktur abgedeckt werden und die häufig den Löwenanteil der Telefonrechnung ausmachen, drückt ein VoIP-Anschluss noch nicht. Für wen sich der Einstieg in VoIP trotzdem lohnt, klärt unser Preisvergleich ab S. 104, c't 12/05.

Aber selbst bei der Grundgebühr eröffnet VoIP Sparpotenzial: Wer zwei Gespräche gleichzeitig führen will, kann nämlich mit VoIP auf den recht teuren ISDN-Anschluss verzichten und stattdessen einen Analoganschluss einsetzen - bei der Telekom spart das immerhin rund 8 Euro im Monat. Schon bei einem Upstream von 128 kBit/s sind beim Einsatz eines komprimierenden Codecs zwei Gespräche gleichzeitig möglich. Einzige Einschränkung ist, dass über die Analogleitung nicht zwei Anrufe parallel aus dem Festnetz entgegengenommen werden können.

Die eigentlichen Gesprächsgebühren für Telefonate im Festnetz sind kaum mehr ein Thema: Die fallen seit der Freigabe des Marktes Anfang 1998 kontinuierlich, bei vielen Anrufzielen liegen sie inzwischen um über 90 Prozent niedriger als noch vor sieben Jahren. Dieser Trend schützt die Telefongesellschaften nun auch vor der Konkurrenz durch günstige VoIP-Gespräche. Als weiterer Schutzwall werden zunehmend Telefonie-Flatrates eingeführt, was gerade Vielnutzer an ein Unternehmen bindet und die Konkurrenz aus dem Geschäft hält.

In Anbetracht der Kostensituation fragen immer mehr Privatkunden, ob es denn DSL nicht auch ohne den Telefonanschluss gebe. Auf dieses Pferd setzen derzeit nur zwei DSL-Anbieter: QSC und Broadnet. Diese bieten einen SDSL-Anschluss an, dessen Upstream künstlich gedrosselt wird, um die teuren echten SDSL-Angebote für Geschäftskunden nicht zu kannibalisieren. Viel sparen lässt sich damit allerdings nicht: Die Anschlusspreise liegen auf ähnlichem Niveau wie die Pakete aus Telefon- und DSL-Anschluss sowie Internet-Zugangstarif der anderen Telekom-Konkurrenten.

Der einzige Weg aus diesem Dilemma und ein gewaltiger Schub für VoIP wäre ein Ukas der Regulierungsbehörde (RegTP), der der Telekom vorschriebe, DSL- und Telefonanschluss getrennt voneinander anzubieten. Das hat Behördenchef Matthias Kurth zwar im vergangenen Jahr anklingen lassen, seither ist es um dieses Thema aber wieder ruhig geworden. Das kommt nicht überraschend, denn eine solche Trennung würde die Kalkulationen aller Anbieter gründlich über den Haufen werfen und hätte schwer kalkulierbare Konsequenzen für die weitere Entwicklung des Marktes.

Stattdessen wirft die RegTP den VoIP-Anbietern über die Rufnummernzuweisung Knüppel zwischen die Beine: Ortsnetzrufnummern dürfen laut einer Anordnung der Behörde nur dann vergeben werden, wenn der Kunde einen dazu passenden Wohn- oder Geschäftssitz vorweisen kann. Dass sie überhaupt die Nutzung solcher Rufnummern für VoIP zugelassen hat, ist für Branchen-Insider bereits ein Zeichen dafür, dass die Behörde flexibel auf neue Herausforderungen reagiert. Für ein flächendeckendes Angebot muss sich eine VoIP-Telefongesellschaft Rufnummern in insgesamt rund 5200 Ortsnetzen zuweisen lassen - allein die Zuteilungsgebühren, die die RegTP dafür erhebt, stellen für kleinere Unternehmen bereits eine erhebliche Barriere für den Markteintritt dar.

Die für VoIP vorgesehene Vorwahl 032 kommt derweil nicht aus den Startlöchern: Die Rufnummern müssen nicht nur zunächst einmal zugewiesen werden, sondern müssen dann auch national und international erreichbar sein. Zuständig dafür ist vor allem die Telekom, die sich mit solchen Neuerungen naturgemäß schwertut, denn sie erwiese damit ja vor allem der Konkurrenz einen Gefallen. Außerdem kann die Telekom den Erfolg der 032-Nummern per Gebühren verhindern: Setzt sie den Minutenpreis deutlich höher fest als für ein normales Festnetzgespräch, werden die VoIP-Rufnummern unattraktiv. Das wissen auch die VoIP-Gesellschaften und setzen trotz des hohen administrativen Aufwands auf Ortsnetznummern, bei denen die Gebühren für die Vermittlung feststehen.

Alternative Zugänge spielen bislang nur eine untergeordnete Rolle. Derzeit hat DSL im Breitbandmarkt einen Anteil von über 95 Prozent; an dieser Dominanz lässt sich kaum mehr etwas ändern. Dass eine Konkurrenz zwischen den Zugangstechnologien den Markt durchaus belebt, zeigt das Angebot des Kabelnetzbetreibers Kabel BW: Dieser bietet im Südwesten in einigen Städten Breitbandanschlüsse per TV-Kabel inklusive 1-MBit/s-Flatrate und Telefonanschluss per VoIP für unter 30 Euro monatlich an.

Eine weitere Konkurrenz entsteht den Telefongesellschaften derzeit durch Breitband-Zugänge per Funk, wie sie beispielsweise der Anbieter Airdata in einigen Regionen realisiert hat. Auch bei dieser Technik können die Kunden einen VoIP-Anschluss einsetzen, ohne einen zusätzlichen Telefonanschluss anzumieten. Zugänge per Funk sind aber nur in einzelnen Gemeinden verfügbar. Für eine halbwegs flächendeckende Versorgung müssten die Datenfunker immense Summen investieren.

"Internet Telefonie"
Weitere Artikel zum Thema Internet Telefonie finden Sie in der c't 12/2005:
Der Boom beginnt S. 96
Sicherheit bei VoIP S. 102
Anbieter und Tarife S. 104
Voice-over-IP-Adapter im Test S. 108
Linux als professionelle Telefonanlage S. 116

Die Sorge bei Providern und Anwendern ist groß, dass Spammer nach E-Mail und Instant-Messaging nun auch das VoIP-Telefonnetz für sich entdecken könnten. Automatische Systeme könnten VoIP-Anschlussinhaber über kostenlose Verbindungen rund um die Uhr mit Reklame für Potenzmittelchen, Immobilienkredite oder Geldtransfers nach Nigeria nerven, so die Befürchtung. Das passende Kunstwort steht bereits: „Spit“ steht für „Spam über Internet-Telefonie“.

Die Attacken lassen aber noch auf sich warten, bislang kommt der Begriff Spit lediglich in Warnungen von Sicherheitsexperten vor. Die Gefahr, dass Spammer dieses Geschäftsfeld erschließen, ist allerdings groß: Der Markt ist so lukrativ, dass selbst im konventionellen Telefonnetz Verbraucher immer häufiger mit unerwünschten Werbeanrufen belästigt werden, obwohl der Anrufer für die Vermittlung ins Festnetz mindestens 0,5 Cent pro Minute investieren muss.

Im Vergleich zum Spam-Versand per E-Mail ist der Versand von Sprachnachrichten aber nicht gerade simpel. Zunächst einmal benötigen Spitter mehr Bandbreite als Spammer: Die durchschnittliche Spam-Mail ist gerade einmal 2 bis 3 Kilobyte groß - damit ließe sich beim Einsatz eines komprimierenden Codecs gerade einmal eine Sekunde Sprache übertragen. Für einen dreißigsekündigen Werbespot müsste der Initiator also ein zigfaches an Bandbreite pro Empfänger investieren. Außerdem muss die Latenzzeit der Verbindung in einem engen Rahmen bleiben, um Aussetzer zu verhindern. Als Belohnung winkt allerdings für die Dauer der Verbindung die ungeteilte Aufmerksamkeit des Opfers - sofern nicht die Mailbox statt seiner das Gespräch entgegennimmt.

Für VoIP-Anschlüsse kursieren derzeit in Spammer-Kreisen noch keine Telefonnummernverzeichnisse. Denn VoIP-Rufnummern lassen sich nur schwer von Rufnummern im Telefonnetz unterscheiden. Einen möglichen Angriffspunkt stellt aber die Praxis vieler VoIP-Anbieter dar, Telefonnummern aus bestimmten Nummernbereichen lückenlos sequenziell zu vergeben.

Anders als bei E-Mail sind die Subnetze der einzelnen Provider für kostenlose netzinterne Telefonate abgeschottet. Der einzige Weg zum Endkunden führt entweder über die kostenpflichtige Festnetznummer oder über den VoIP-Server des Anbieters oder eines seiner Partnernetze. Das Durchprobieren von IP-Adressbereichen funktioniert nicht: Die Anrufversuche scheitern selbst bei einer bekannten IP-Adresse mit einem VoIP-Anschluss in den meisten Fällen am NAT-Router oder der Firewall.

Der Betreiber könnte eventuelle Spit-Attacken eines netzinternen Teilnehmers anhand ihres typischen Musters leicht feststellen und die verwendeten Accounts sperren. Obendrein sind diese Accounts nicht ganz so einfach zu bekommen: Bei der Zuweisung einer VoIP-Rufnummer aus einem deutschen Ortsnetz überprüfen die Anbieter die persönlichen Daten etwa anhand von Adressverzeichnissen oder der Bankverbindung und schicken das Kennwort in einigen Fällen per Brief zu - die Einrichtung von Fake-Accounts ist also zeitraubend und mühsam, das Sperren solcher Accounts hingegen einfach.

Ein möglicher Angriffspunkt wäre allerdings der Missbrauch installierter Softphones. Sind dort Account-Daten hinterlegt, könnte ein Angreifer über eine vorhandene Sicherheitslücke die Kontrolle über den VoIP-Client auf dem Rechner eines Opfers übernehmen und seine Spit-Nachrichten darüber dezentral absetzen. Externe VoIP-Anlagen oder -Router dürften hingegen wesentlich schwerer angreifbar sein.

Das alles ist zwar noch keine Garantie dafür, dass Spit nicht eines Tages doch noch zu einem Problem wird, aber potenziellen Spittern lässt sich das Handwerk deutlich leichter legen als den allgegenwärtigen E-Mail-Spammern. Eine Gefahr geht allerdings von der zunehmenden Vernetzung aus. Gelingt es Spittern beispielsweise, sich in der Telefonnummern-Registry ENUM gelistete Accounts zu besorgen, die dann wiederum netzinterne Telefonate in alle angeschlossenen Netze erlauben, könnte das mit zunehmender Verbreitung von VoIP in Kombination mit bekannt werdenden Rufnummernlisten zu einem ernsten Problem werden. Es bleibt abzuwarten, ob es den VoIP-Betreibern auf Dauer gelingt, hier gegenzusteuern und die Netze frei von unerwünschter Werbung zu halten. (uma)