Fertig machen für Vista

Die vor dem Convention Center demonstrierenden Netzaktivisten konnten Bill Gates nicht aus dem Tritt bringen: Vom 23. bis 25. Mai trafen sich Entwickler zur Windows Hardware Engineering Conference WinHEC 2006 in Seattle, um zu erfahren, wohin Microsoft den Weg weist.

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Von
  • Erich Bonnert
  • Gerald Himmelein
  • Axel Vahldiek
Inhaltsverzeichnis

Die WinHEC 2006 begann mit der Demonstration einer Aktivistengruppe in neongelben und quietschgelben Strahlenanzügen vor dem Seattle Convention Center. Mit Schildern und Flugblättern wollte die Kampagne „Defective by Design“ darauf aufmerksam machen, wie die DRM-Mechanismen von Windows Vista die Rechte der Anwender unterhöhlen.

Die friedlichen Demonstranten verhinderten aber nicht, dass Bill Gates planmäßig mit seiner Keynote begann. Richtig viel Neues hatte Gates nicht zu vermelden: Die Zukunft werde von erweiterten Netzbandbreiten, hochauflösenden Inhalten und 64-Bit-Computing dominiert, versprach der Chief Software Architect. Und natürlich von Windows.

Gates zeigte diverse Geräte, die Windows Live nutzen - das Online-Portal bietet zahlreiche Infodienste, die durch Werbeeinnahmen gesponsert werden. Zu den vorgestellten Komponenten gehörten ein WLAN-Telefon von Philips, ein Headset von Plantronics und eine Web-Kamera von Logitech. Noch in diesem Sommer soll ein Entwickler-Kit erscheinen, um Dienste von Windows Live in neue Geräte zu integrieren.

Im Server-Bereich werde 64 Bit schon bald die 32-Bit-Architektur ablösen: Der kommende Longhorn Server soll zwar noch in beiden Varianten erscheinen, von einigen Server-Produkten werde es aber nur noch 64-Bit-Versionen geben - darunter Exchange Server 12. Auf einer Presseveranstaltung nach der WinHEC hieß es sogar, dass Longhorn Server nach Microsofts Willen das letzte 32-Bit-Server-Betriebssystem sein soll.

Ein Schwerpunkt der Gates-Keynote war die PC-Virtualisierung - endlich kommt die Übernahme des Virtual-PC-Herstellers Connectix vor drei Jahren voll zum Tragen. Auf der WinHEC zeigte ein Microsoft-Mitarbeiter die kommende Version von Virtual Server. Dessen zentrale Komponente ist ein Hypervisor, der als „Über-Kernel“ die den virtualisierten Betriebssystemen bereitgestellten Ressourcen verwaltet. Die virtualisierten Betriebssysteme müssen nicht zwingend Windows heißen: Auf einem Dual-Core-Rechner von Intel lief neben zwei Instanzen von Windows Server 2003 auch Red Hat Enterprise Linux 4.

Mit einer Betaversion des neuen Virtual Server sei bis Ende des Jahres zu rechnen. Der neue Hypervisor soll den Parallelbetrieb von 32-Bit- und 64-Bit-Gastsystemen unterstützen. Jeder Virtual Machine stehen bis zu acht Prozessoren zur Verfügung. Änderungen an den Hardware-Komponenten soll der Server auch ohne Neustart verkraften. Als Erscheinungstermin peilt Microsoft sechs Monate nach dem Launch der nächsten Server-Version von Windows an. Das derzeit noch unter dem Code-Namen „Longhorn“ Server laufende Betriebssystem ist derzeit für Herbst 2007 geplant; zur WinHEC veröffentlichte Microsoft die zweite Vorabversion.

Apropos Beta: Mitte Mai hatte Microsoft in Aussicht gestellt, dass zeitgleich zur Hardware-Entwicklerkonferenz WinHEC 2006 die längst überfällige Beta 2 der nächsten Windows-Version Vista veröffentlicht werde. Am 23. 5. kam dann die Ernüchterung: Zwar erschien eine öffentliche Beta für Office 2007; die neue Vorabversion von Windows Vista wurde dagegen nur an WinHEC-Teilnehmer, MSDN-Abonnenten, einige Großkunden sowie eingetragene Beta-Tester verteilt. Anwesende erhielten Build 5384.4-060518-1455 auf DVD zum Sofortinstallieren.

Eigenen Aussagen zufolge stellt Microsoft die Vista-Betas derzeit 170 000 Testern in aller Welt zur Verfügung. Hinzu kommen die Abonnenten des Microsoft Developer Networks (MSDN). Die Allgemeinheit muss sich noch gedulden. Zum Redaktionsschluss verkündete die Vista-Homepage lediglich diffus, Beta 2 werde auch „Technology Enthusiasts“ zur Verfügung stehen - ohne Termin. Sicher ist nur, dass die Technologiebegeisterten nicht dieselbe Version erhalten wie die WinHEC-Anwesenden, sondern einen geringfügig neueren Build, in dem einige in der WinHEC-Version gefundene Fehler beseitigt sein sollen.

Das über 3 GByte große WinHEC-Installationspaket der Beta 2 schließt zahlreiche aktualisierte Treiber diverser Hardware-Hersteller ein. Einige scheinen den Abgabetermin verpasst zu haben: ATI, Nvidia und Realtek gehören zu den Herstellern, die ihre Beta-2-Treiber über ihre Webseiten zum Download anbieten.

Optisch hat sich bei der WinHEC-Beta gegenüber der letzten Vorabversionen (siehe c't 12/06, S. 100) nichts getan. Microsoft arbeitet nach eigenen Angaben daran, dass die gut gemeinte, jedoch gelegentlich stark nervende Sicherheitsfunktion User Account Control (UAC) seltener in Erscheinung tritt als in bisherigen Vorabversionen. UAC bedeutet, dass selbst Administratoren grundsätzlich nur mit eingeschränkten Rechten arbeiten. Benötigt eine aufgerufene Funktion tatsächlich Administratorrechte, blendet Vista einen Warndialog ein. Dies soll verhindern, dass bösartige Anwendungen unbemerkt Schindluder auf dem Rechner treiben.

Es bedeutet aber auch, dass die UAC-Dialoge immer wieder die Arbeit unterbrechen. Insbesondere bei der Rechnerkonfiguration wirken die Warnmeldungen als massive Spaßbremse, zumal UAC sich nicht merkt, ob der Anwender den Zugriff auf ein Systemsteuerungsmodul gerade erst abgenickt hat. Wohlgemerkt handelt es sich dabei nicht um einen Betafehler, sondern um gewolltes Verhalten.

Es scheint Microsoft nicht verborgen geblieben zu sein, dass die Betatester wenig Begeisterung für UAC aufbringen konnten. Der Lead Program Manager dieser Windows-Funktion Steve Hiskey hat mittlerweile ein Blog eröffnet, das UAC erklärt und offen mit der Kritik umgeht. Der erste Release Candidate (RC1) soll deutlich weniger Warnhinweise ausspucken. Hiskey wirbt für Verständnis für den UAC-Ansatz und versucht, aufgebrachte Tester zu beschwichtigen: „Don’t give up on the feature yet!“ Man entwickle gerade ein Modul, das ältere Anwendungen daran hindern kann, bei jedem Start höhere Privilegien anzufordern.

Wer herausfinden will, welche bestehenden Anwendungen unter Vista als Standardbenutzer funktionieren werden, kann bei Microsoft eine Betaversion des „Standard User Analyzer“ herunterladen (siehe Soft-Link). Das Tool protokolliert unter Windows XP/Server 2003/Vista das Verhalten von Anwendungen. Das Werkzeug zielt primär auf Entwickler ab, dürfte aber auch XP-Anwender interessieren, die Problemen mit dem Betrieb ihrer Anwendungen in einem eingeschränkten Benutzerkonto auf den Grund gehen wollen.

Systemadministratoren können sich zudem zum Betatest der Version 5 des Application Compatibility Toolkit (ACT) anmelden. Das Werkzeug informiert darüber, wie weit die in der Firma eingesetzten Anwendungen zu Vista kompatibel sind und welche Schritte gegebenenfalls nötig sind, um ohne Stolpersteine auf das kommende Betriebssystem zu aktualisieren. Microsoft hat ein solches Toolkit auch bereits für Windows XP und das Service Pack 2 bereitgestellt, will aber aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und es diesmal deutlich früher zur Verfügung stellen, nämlich vier Wochen nach der Fertigstellung von Vista und damit noch vor dem Verkaufsstart an Endkunden.

Wer sich nicht zum erlauchten Kreis der Betatester zählen darf, kann sich dennoch schon auf die baldige Verfügbarkeit von Beta 2 vorbereiten. Um herauszufinden, ob der derzeit unter dem Schreibtisch summende Rechner den Hardware-Anforderungen von Vista gerecht wird, stellt Microsoft den „Windows Vista Upgrade Advisor“ bereit.

Dieser Assistent fragt zunächst ab, welche Anforderungen der Anwender an Vista zu stellen gedenkt: Fernsehaufnahmen? WLAN-Verbindungen? Transparente Fenster mit Aero Glass? Dann untersucht die Anwendung die installierte Hardware und gibt einen Bericht aus - unter anderem auch darüber, ob Vista bereits die benötigten Treiber mitliefert.

Zum Abschluss seiner WinHEC-Keynote kündigte Gates „FlexGo“ an, ein neues Distributionsmodell für Windows-Rechner in Entwicklungsländern. Durch FlexGo sollen auch solche Leute einen Computer benutzen können, die sich die Anschaffung nicht leisten können. Statt einen PC zu kaufen, bezahlen die Anwender für die Benutzung des Rechners - entweder per Abonnement oder Prepaid-Karten. Das Konzept ähnelt dem der Mobilfunknetzbetreiber.

FlexGo kombiniert Erweiterungen des Betriebssystems, Hardware-Komponenten und Anbieter-Server, um sicherzustellen, dass der Kunde die Nutzungsbeschränkungen des Mietrechners nicht umgeht.

Soft-Link (ghi)