Maskenball

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Axel Kossel


Maskenball

Mein Recht auf freie Meinungsäußerung lasse ich mir auch im Internet nicht nehmen. Doch böse Geister können alles zusammentragen, was ich dort äußere. Um unerkannt zu bleiben, greife ich zum Datenselbstschutz und gehe nur noch maskiert online. Der ständige Wechsel zwischen virtuellen Identitäten mit unterschiedlichen E-Mail-Adressen, Benutzernamen, Wohnsitzen und Geschlechtern macht mich zu einem freien, unkontrollierbaren Netzbürger. Dann gleicht das Internet dem Karneval in Venedig, wo man ruhig mal ein bisschen die Sau rauslassen darf.

Andernfalls könnte doch jeder ein Archiv über mich anlegen. Wer will schon nach seinem dummen Geschwätz von früher beurteilt werden? Nur weil ich ein paar Mal durch die Foren trollte, darf man mich doch nicht auf ewig als Querulanten abstempeln. Außerdem würden sich all die Adresssammler und Kundenjäger an meine Fersen heften. Hier übers Hobby geplaudert, dort die Adresse hinterlassen - schon werde ich zum gläsernen Konsumenten (siehe Seite 202).

Vielleicht bin ich ja paranoid und sollte es lieber meinem Nachbarn gleichtun, der keine Kundenkarte verschmäht und für zehn Cent Rabatt sogar seine sexuellen Neigungen preisgibt. Aber wenn ich ihn jeden Samstagmorgen kiloweise Kataloge und Prospekte zum Altpapier-Container schleppen sehe, bin ich mir sicher: Ich behalte die virtuelle Larve auf und surfe lieber anonym und unerkannt durchs Netz.

Bei eBay etwa habe ich mich mit den Daten meines Nachbarn angemeldet. Er ist nie zu Hause, wenn der Postbote kommt, sodass der sowieso die Päckchen bei mir abgibt. Ich tue ja nichts Böses, sondern bezahle alles, was ich kaufe, sofort - dem Verkäufer gegenüber anonym per PayPal. Das ging gut, bis neulich die Polizei bei meinem Nachbarn aufkreuzte. Wegen Speicherkarten, die er (also ich) in China bestellt hatte und die der Zoll als Markenfälschung beschlagnahmte. Nun weiß mein Nachbar natürlich nichts von dem deutschen Konto, auf das ich den Kaufpreis überwiesen habe. Und die Polizei kriegt nichts über die IP-Adresse des Verkäufers raus, weil der einen Anonymisierungsdienst benutzt hat.

Es ist doch unglaublich, dass man diesem Verbrecher nicht die Maske herunterreißen kann. Nur weil der anonym bleibt, gerate ich am Ende noch ins Fadenkreuz der Ermittlung. Ich schlafe schon ganz schlecht, weil ich Angst davor habe, dass die Polizei mich entlarvt. Dabei bin ich doch das Opfer und nicht der Täter. Wo kommen wir denn hin, wenn man niemandem mehr trauen kann? (ad)