Ausgebremst

Dass Medikamente Nebenwirkungen haben können, erfährt man aus der Werbung. Warnungen vor den unerwünschten Auswirkungen der Overdrive-Technik, die LCDs zu kurzen Schaltzeiten verhilft, fehlen bislang.

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Inhaltsverzeichnis

Unsere Spieletester beklagen sich in den letzten Monaten immer öfter über eine nicht genau zu fassende, „gefühlte Langsamkeit“. Das Display sei schlierenfrei und die Schaltzeiten klein, ja, aber trotzdem: So richtig toll lasse es sich damit nicht spielen. In solchen Fällen werten wir die LCDs im Test ab, denn reine Zahlenkolonnen aus Messergebnissen sind nur die halbe Miete, am Ende zählt die Praxis. Der technische Hintergrund für diese gefühlte Geschwindigkeit blieb bislang im Dunklen.

Jetzt haben wir nachgemessen und Erstaunliches festgestellt: Einige der „gefühlt“ langsameren Flachbildschirme geben ihre Bilder mit einer erheblichen Verzögerung von bis zu drei Frames aus. Bei der für LCDs üblichen 60 Hz Bildwiederholfrequenz sind das 3 x 16,6 ms - also 50 ms, nachdem die Grafikkarte die Signale angeliefert hat.

So führte beispielweise die „gefühlte Langsamkeit“ bei Samsungs an sich sehr flinkem SyncMaster 215TW in unserem letzten Vergleichstest (c't 25/06) zur Abwertung. Das Oszilloskop gibt unseren Spieltestern nun Recht: Der Monitor benötigt drei Frames, um das Grafikkartensignal auf den Schirm zu holen. Viewsonics VP2330wb aus dem gleichen Test verhält sich diesbezüglich sparsamer: Er verzögert die Wiedergabe nur um etwas mehr als einen Frame und fiel damit in der Spielpraxis nicht weiter auf.

Bei dem in diesem Heft vorgestellten SyncMaster 225BW (siehe Seite 72) verzichtet Samsung komplett auf einen Overdrive-Schaltkreis. Folge: Das LCD holt die Grafikkartensignale unverzüglich auf den Schirm, braucht jedoch eine Weile zum Erreichen der gewünschten Pixelhelligkeit. Ergebnis: keine Latenz, aber verwischte Kanten bei schnellen Bewegungen. Wie es besser geht, zeigt LG mit dem L1970HR: Der ebenfalls auf Seite 72 vorgestellte 19-Zöller ist reaktionsschnell und benötigt nur wenige Millisekunden, um den passenden Overdrive-Impuls bereitszustellen.

Dieses Ei haben sich die Monitorhersteller selbst ins Nest gelegt. Kaum warteten die ersten Flachbildschirme mit per Overdrive verkürzter Reaktionszeit auf, begann der Hype. Fortan wurden LCDs vor allem mit Bildaufbauzeiten beworben: Zunächst 16 ms, dann 12 ms, noch mal zwei Millisekunden weniger ... heute ist man bei vermeintlichen 2-ms-Displays angelangt. Zwar konnten unsere Messungen die berauschenden Herstellerangaben nur selten komplett bestätigen, doch sichtbar waren die kurzen Schaltzeiten durchaus: Endlich war Schluss mit verwischten Kanten in schnellen Sequenzen, und auch Spieler begannen, sich mit den flachen Monitoren anzufreunden.

Die nun gemessenen Latenzzeiten werfen ein etwas anderes Licht auf die Beschleunigungsmaßnahmen der Hersteller. Und sie sind zum Teil ungewöhnlich hoch. Zu erwarten waren ein oder maximal zwei Frames. Diese benötigt das Display, um die Overdrive-Spannung zu berechnen: Der Overdrive-Schaltkreis legt an jedes Pixel kurzzeitig einen etwas höheren oder geringeren Spannungspegel, als für die Zielhelligkeit notwendig wäre. Durch den Über- oder Unter-Impuls richtet sich der Flüssigkristall zügiger aus und der Bildpunkt erreicht schneller die gewünschte Helligkeit. Die jeweils notwendigen Impulshöhen müssen die Displayhersteller in aufwendigen Messreihen ermitteln, da sie bei jeder Panelart mit dem Flüssigkristall, der Pixelstruktur und dem Substratabstand variieren. Die als Look-Up-Tabelle im Panel abgelegten Werte werden bei Eintreffen des Grafikkartensignals ausgelesen und - im nächsten Frame - an die Pixeltransistoren übergeben.

Einige Hersteller nutzen zusätzlich einen sogenannten Pre-Shot, mit dem der Flüssigkristall vor dem eigentlichen Impuls ein wenig vorgespannt wird, was die anschließende Ausrichtung weiter beschleunigt. Für den Pre-Shot ist allerdings maximal ein weiterer Frame notwendig. Was in den insgesamt bis zu drei Frames passiert, bleibt vorerst das Geheimnis der Hersteller.

Für ambitionierte Spieler sind solche Verzögerungen indiskutabel: Was nützt die schärfste Bildwiedergabe, wenn der Gegner 50 Millisekunden eher zielen kann. Während ein Frame noch akzeptabel ist, hört der Spaß bei derart großen Latenzzeiten mit Ego-Shootern und anderen schnellen Actionspielen auf. Anders verhält es sich mit ruhigeren Strategiespielen: Verwischte Spielfeldübersichten durch langsame Schaltzeiten stören hier sehr, aber dass man ein paar Bilder hinterherhinkt, fällt kaum auf.

Auch Anwender, die den Monitor für Office-Anwendungen, zum Surfen und zur Foto- oder Filmwiedergabe nutzen, können die Latenzzeit außer Acht lassen. Bei LCD-Fernsehern spielt sie ebenfalls keine Rolle - es sei denn, man will das Display auch zum Spielen am PC oder einer Konsole nutzen. Allerdings betreiben die flachen Fernseher intern so viel Bildoptimierung, dass dabei bereits ohne Overdrive einige Zeit vergehen dürfte. Nur wenn sie am PC-Eingang auf die Optimierung verzichten, kommt die Latenz ins Spiel.

Auch am Monitor muss das Bild zum Filmegucken scharf und kontraststark sein, ob ein Displays das Bild dabei zeitlich kurz nach dem Zuspieler ausgibt, ist unerheblich. Beim Videoschnitt könnte das anders aussehen. Denn es nervt unter Umständen, wenn das Schnittwerkzeug nicht gleich an der passenden Stelle einhakt.

Ähnliches gilt für CAD-Anwendungen. So klagte ein Leser über ein zunächst unerklärliches Phänomen: Seit er auf einen anderen Flachbildschirm umgestiegen sei, fühle sich der Mauszeiger an „wie am Gummiband“, und er träfe nicht mehr exakt die gewünschten Gitterpunkte im Layout.

Dieser Leser machte uns auch darauf aufmerksam, wie man die Latenzzeiten bereits mit bloßem Auge ohne aufwendige Messtechnik feststellen kann. Dazu benötigt man einen verzögerungsfreien Monitor - also beispielsweise eine Röhre - und eine Grafikkarte mit zwei Ausgängen. An den einen Ausgang wird das zu untersuchende Display gehängt, der andere steuert die Röhre. Nun fügt man im Grafikkartentreiber eins der Displays als zusätzliche Oberfläche an den Hauptschirm und legt in diesem erweiterten Desktop-Betrieb ein beliebiges Fenster auf die Nahtstelle beider Monitore. Bewegt man das Fenster mit der Maus auf und ab, hinkt die Fensterhälfte auf einem LCD mit großer Latenzzeit der anderen Fensterhälfte auf dem schnellen Display sichtbar hinterher. Wer das nicht selbst ausprobieren möchte oder kann, findet unter dem Softlink ein kleines Video, das die Verzögerung demonstriert.

Wichtig bei diesem kleinen Experiment: Um sicherzustellen, dass zwischen den beiden Ausgängen keine kartenimmanente Latenz besteht, schließen Sie in einem zweiten Versuch die Monitore an den jeweils anderen Grafikkartenausgang. Für die Latenzzeiten ist es egal, ob analog oder digital angesteuert wird: Der Overdrive erfolgt direkt am LCD-Panel, also nach der Digitalisierung analoger Eingangssignale.

Bleibt zu wünschen, dass die Panelhersteller die Berechnungszeiten künftig so knapp wie möglich halten. Das Optimum ist natürlich ein LCD, dessen Flüssigkristall so flink ist, dass es kurze Schaltzeiten ganz ohne Overdrive erreicht.

Soft-Link (uk)