Die IT-Gipfel-Show

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Devise ausgegeben, dass IT Chefsache sei. Daher lud sie Mitte Dezember einen ausgesuchten Kreis von 220 Experten aus Konzernen, Politik und Wissenschaft zum ersten „nationalen IT-Gipfel“. Unter der Leitung etwa von SAP-Chef Henning Kagermann machten sie dort „Leuchtturmprojekte“ sowie „Innovations- und Wachstumsfelder“ aus.

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Inhaltsverzeichnis

Der Berg kreißte - und gebar rund 100 Seiten bereits weitgehend vorgeschriebene Papiere aus acht Arbeitsgruppen zu Themen wie E-Government, Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und Gesundheit oder Sicherheit und Vertrauen. Die Zusammenfassung der Ergebnisse des nationalen IT-Gipfels von Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Form der „Potsdamer Initiative für den IKT-Standort Deutschland“ will Aufbruchstimmung signalisieren. Die Bundesrepublik soll „an die Weltspitze“ in der Wachstumsbranche. Einig waren sich die rund 220 Geladenen, dass beim weiteren Weg in die Informationsgesellschaft Schwerpunkte zu setzen sind. Fördergelder vom Staat dürften „nicht mit der Gießkanne gegeben werden“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihr gefiel der propagierte Ansatz, „erst mal das, wo wir bei der klassischen Industrie stark sind, mit der IT zu vernetzen.“

Sichtbar machte der Gipfel, dass das Internet und die digitale Technik die Aufmerksamkeit des Bundeskabinetts genießt. Neben der Kanzlerin waren Bildungsministerin Annette Schavan als Schirmherrin des auslaufenden Informatikjahrs, Wirtschaftsminister Michael Glos, Innenminister Wolfgang Schäuble, Justizministerin Brigitte Zypries und Finanzminister Peer Steinbrück ins HPI gereist. Letzteren dürfte entzückt haben, dass es sich bei dem Veranstaltungsort um eine privat finanzierte Hochschuleinrichtung handelt. Aber auch die Regierungschefin hatte vorab hervorgehoben, dass der Gipfel nicht an einer öffentlichen Einrichtung stattfinde.

„Deutschland muss Hightech-Standort bleiben“, postulierte Glos bei der Eröffnung. Der CSU-Politiker versprach eine Regulierungspolitik, „die Wettbewerb und Innovationen fördert und europäisch verankert ist“. Die Herausforderer der Deutschen Telekom sehen diese Maßgaben in den kürzlich festgeschriebenen „Regulierungsferien“ für das VDSL-Netz des Altmonopolisten aber nicht eingehalten. Weiter will der Wirtschaftsminister im Einklang mit der im Sommer verabschiedeten Hightech-Strategie der Bundesregierung den - beim Gipfel ausgesperrten - Mittelstand durch den Ausbau von Kompetenzzentren und spezielle Förderprogramme stützen. Zudem wolle die Regierung die Integration von Bürgern und Staat in die Informationsgesellschaft beschleunigen und helfen, Innovationen zügiger in marktreife Produkte umzusetzen.

„Wir dürfen die IT-Technologie nicht verlieren“, stimmte auch HPI- und SAP-Gründer Hasso Plattner die Gäste auf die Agenda ein. Er erinnerte daran, dass in Deutschland vor einiger Zeit noch zehn Firmen Computer bauten. Ein ganz heißes Thema heute sei die Energie. „Google ist ein extremer Energieverbraucher“, hielt der Wissenschaftsmäzen fest, der mit dem eigenen Business-Jet aus Südafrika nach Berlin geflogen war. Der 62-Jährige zeigte sich besorgt, „dass meine Generation es verpasst hat, die Weichen richtig zu stellen. Wir haben uns gegen Atomstrom entschieden, das werden wir bitter bereuen.“ Schwer im Magen lag Plattner auch der Neid hierzulande. „Warum ist China so erfolgreich?“, fragte der Unternehmer. „Es ist dort erlaubt, reich zu werden. Das treibt die jungen Chinesen voran. Warum erfinden wir so hässliche Wörter wie Reichensteuer?“

Der Präsident des Branchenverbands Bitkom, Willi Berchtold, unterstrich die Bedeutung der IKT als Querschnittstechnologie. 800 000 Menschen würden hierzulande in diesem Sektor arbeiten. Der Umsatz liege bei 136 Milliarden Euro im Jahr, das Wachstum bei zwei Prozent. Für Berchtold ergibt es wenig Sinn, verlorenen Märkten hinterherzulaufen. Wichtiger sei die Konzentration auf Zukunftsmärkte. Als „erfolgversprechende Technologien“ hat sein Verband Embedded Systems, serviceorientierte Architekturen, Biometrie, mobiles Fernsehen oder Systeme zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) ausgemacht.

Im Einzelnen machten die Arbeitsgruppen bei der Vorstellung der Resultate ihrer abgeschotteten Runden in einer Art Buzzword-Bingo vier hauptsächliche Wachstumsfelder aus. Zu ihnen zählen Embedded Software, neue Sicherheitstechnologien, integrierte ITK-Dienste sowie das Gebiet „Digital Lifestyle“, in dem das „Zusammenspiel von hoch entwickelter Technik, Design und Inhalten“ geübt wird. In diese Sektoren sollen 1,2 Milliarden Euro bis 2009 fließen, um gezielt schlagkräftige „Cluster“ im Verbund von Konzernen, innovativen mittelständischen Firmen sowie der Forschung zu entwickeln. Das Geld stammt aus den Töpfen der insgesamt knapp 15 Milliarden schweren Hightech-Strategie der Bundesregierung.

280 Millionen Euro davon sollen für „Leuchtturmprojekte“ ausgegeben werden. Dazu gehört die Arbeit an einem „Internet der Dienste“ mit einem Suchtechnikprojekt, das ehemals den Titel Quaero trug. Deutschland und Frankreich wollten die Vorzeigeunternehmung gemeinsam entwickeln und hatten dafür im Verbund mit der Wirtschaft 400 Millionen Euro eingeplant. Hartmut Schauerte, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, überraschte auf dem Gipfel mit der Ansage, dass die Kooperation mit den Franzosen aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über die Ausrichtung von Quaero gescheitert sei. Das Vorhaben werde nun „in nationaler Zuständigkeit“ unter dem Namen Theseus vorangetrieben. Die bisher als Projektleiter vorgesehene Bertelsmann-Tochter empolis sowie SAP, Siemens und T-Systems seien weiter an Bord. Generell soll Theseus nach deutscher Auffassung keine Google-Alternative sein, sondern Basistechnologien fürs „semantische Web“ hervorbringen. Dabei geht es um die Beschreibung digitaler Inhalte durch standardisierte Vokabularien, um sie maschinenverständlich zu machen.

Eine weitere Vorzeigenummer sieht die Potsdamer Initiative im „Internet der Dinge“, zu dem die Funklabeltechnik RFID Güter aus der physischen Welt virtuell über die Vergabe eindeutiger Seriennummern in einer gigantischen Datenbank zusammenführen soll. Dazu kommt ein Vorhaben unter dem Aufhänger „E-Energy“, mit dem innovative Energiekonzepte mit Hilfe von ITK entwickelt werden sollen. Ferner will sich Deutschland als „Technologieführer“ beim Aufbau des Satellitennavigationssystems Galileo und der Förderung damit verknüpfter Anwendungen positionieren.

Auch das ins Trudeln geratene IT-Großprojekt der elektronischen Gesundheitskarte findet in der Potsdamer Erklärung seinen Niederschlag. Es soll die Basis für integrierte Dienste im Gesundheitswesen und den Aufbau einer Telematik-Plattform im Gesundheitswesen bilden. Karsten Ottenberg vom Chipkartenspezialisten Giesecke & Devrient bezeichnete den Gesundheitsmarkt als nächsten großen Wachstumsmotor.

Zu E-Government kündigte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble an, dass „bis 2012 nur noch elektronisch zwischen Wirtschaft und Verwaltung verkehrt werden soll“. Am Herzen liegt dem CDU-Politiker vor allem die rasche Einführung des elektronischen Personalausweises mit der vorgesehenen digitalen Signatur, weil damit Verwaltungsgänge erleichtert würden. In diesem Zusammenhang streifte Schäuble auch die geplante Einrichtung einer einheitlichen Behörden-Servicenummer unter der 115: Dahinter werde ein neues System der Datenverknüpfung stehen, das einen „Abruf für alle Daten“ über ein einheitliches Intranet aller Behördenzweige ermögliche.

Nicht fehlen durfte das Thema Vertrauen als Grundvoraussetzung für die Nutzung der Technik und der Einkaufswelten im Netz. Die ursprünglich vor allem von Microsoft ins Leben gerufene Initiative „Deutschland sicher im Netz“ wird sich in Form eines eingetragenen Vereins neu aufstellen. Sie soll eine „übergreifende und auf Dauer angelegte Plattform für alle Fragen der Sensibilisierung und Aufklärung rund um IT- und Internetsicherheit“ bilden. Schäuble zeigte sich als „Ausdruck der dauerhaften Unterstützung“ des Vereins bereit, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Im Frühjahr hatte er dies noch abgelehnt, da er Zweifel an der produktneutralen Ausrichtung der Initiative hatte.

Der neue Chef der Deutschen Telekom, René Obermann, schwärmte von der revolutionären Kraft des Web 2.0, das „unsere Industrie auf den Kopf stellen wird mit nutzergenerierten Inhalten wie Podcasts oder Blogs“. Gleichzeitig mahnte er angesichts des Zusammenwachsens der Medien eine Konvergenz der Regulierung an. Es müsse möglich sein, „hochleistungsfähige interaktive Breitbandnetze aufzubauen“. Dabei sei aber „nicht nur eine“ Infrastruktur erforderlich.

Während Industrievereinigungen wie Bitkom, BDI oder das Informationsforum RFID die Ergebnisse der Potsdamer Premiere begrüßten, hagelte es aus dem Mittelstand, der Zivilgesellschaft und der Opposition Proteste. Schon im Vorfeld hatten Vertreter von Nichtregierungsorganisationen die selektive Einladungspolitik beklagt. August Wilhelm Scheer, Gründer der IDS Scheer AG und Mitglied im Technologierat der Bundesregierung, hatte zu bedenken gegeben, dass „mehr kleine Schnellboote“ gebraucht würden, nicht nur die „großen Tanker“. „Gut beraten“ gewesen wäre die Regierung, schimpfte der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco im Nachhinein, wenn sie die Überarbeitung ihrer IT-Strategie mit Unternehmen abgestimmt und besprochen hätte, die maßgeblich zu Investitionen in Zukunftstechnologien am Standort beitragen.

Als „reine Show“ tat die technologiepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrike Flach, den Gipfel ab. Michael Leutert, Obmann für Menschenrechte bei der Linksfraktion, fand es bezeichnend, dass Datenschutzbeauftragte als „demokratische Wächter“ der Netzgesellschaft nicht zum Kreis der Geladenen gehörten. Grietje Bettin von den Grünen hatte zuvor die Aushebelung der Volksvertreter scharf kritisiert: „Weder Parlament noch zivilgesellschaftliche Gruppen sind in die Vorbereitungen eingebunden oder zum Gipfel selbst eingeladen worden.“ Dies stehe im Widerspruch zu den Ergebnissen des UN-Weltgipfels der Informationsgesellschaft.

Der ausgegrenzte Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar mahnte von Bonn aus pünktlich zum Gipfel, dass „bereits bei der Konzeption von IT-Systemen verstärkt Vorkehrungen getroffen werden sollten, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleisten“. Die Rahmenbedingungen des IT-Einsatzes müssten so gestaltet werden, dass sich ein guter Datenschutz auch ökonomisch auszahle. Staat, Wirtschaft und Wissenschaft hätten sich ihrer Verantwortung zu stellen, um „die Grundrechte und die demokratischen Strukturen“ auch in der digitalen Gesellschaft zu gewährleisten. Zugleich veröffentlichte Schaar „zehn Thesen für eine datenschutzfreundliche Informationstechnik“. Sie warnen etwa vor dem Ausspielen des „Potenzials zur Totalüberwachung“ von IT.

Enttäuscht zeigte sich auch der Linux-Verband, da weder die hierzulande weit verbreiteten Open-Source-Geschäftsmodelle noch die strategischen Optionen für freie Software gewürdigt wurden. So sei „eine große Chance für die Wissensgesellschaft in Deutschland“ vertan worden. Wenn ein IT-Gipfel von Großunternehmen und ihren Lobbyisten dominiert werde, könne man aber „auch keine weitergehende Erkenntnis oder gar sinnvolle Initiativen erwarten“. (jk) (jk)