Kurzer Prozess

Eine Gruppe trieb regen Handel mit illegalen Filmkopien und scheffelte mit dem Verkauf mehrere hunderttausend Euro - in den Strafvollzug müssen die Täter deshalb nicht, entschied ein Gericht.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Holger Bleich
Inhaltsverzeichnis

Mitte Februar 2007 hat im thüringischen Mühlhausen ein Strafprozess unspektakulär seinen Abschluss gefunden, den die dortige Staatsanwaltschaft einmal als „das bisher umfangreichste Verfahren wegen des Vertriebs von Raubkopien im Internet“ bezeichnet hatte. Verhandelt wurde gegen die Betreiber einer gewerblichen Download-Website für illegale Film- und Software-Kopien. Bei FTPWelt.com gab es brandneue Warez-Dateien zum Volumenpreis - bis die Plattform im September 2004 von der Polizei dicht gemacht wurde.

Was in der kurzen Verhandlungsdauer von lediglich zwei Sitzungen zur Sprache kam, hatte einiges von einem schlechten Gangsterfilm. Täter agierten mit Pseudonymen wie „Mr. Black“ und „Mr. White“, Firmengründungen in der Karibik sollten Spuren verwischen. Server wurden in Osteuropa organisiert, um sie dem deutschen Rechtszugriff zu entziehen. Hunderttausende Euro in bar landeten in einem Garagenversteck. Und bei all dem wollen die Beschuldigten nicht gewusst haben, etwas Unrechtes getan zu haben.

Angeklagt waren die Brüder Daniel und Thomas R. (beide aus Breitungen), deren mandatierter Rechtsanwalt Bernhard S. (München) sowie als Beihelfer Martin E. (Meiningen). Sie sollen laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft in großem Stil gewerbsmäßig Urheberrechte verletzt und ohne Altersverifikation Pornos zum Download angeboten haben. Nebenbei stand außerdem der Missbrauch des Testergebnis-Logos der „Stiftung Warentest“ im Raum.

Strafrechtsexperten haben den Ausgang des Verfahrens mit Spannung erwartet. Denn nie zuvor wurde auf deutschem Boden in solch großem Stil mit Raubkopien Geld verdient. Wenn nicht in so einem krassen Fall, wann sonst sollten Strafrichter in Erwägung ziehen, den möglichen Strafrahmen von einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren für dieses Delikt ausschöpfen, über den jeder Kinogänger dank der Bemühungen der Filmindustrie bestens informiert ist?

Doch zu Beginn des ersten Verhandlungstags wurde klar, dass Staatsanwaltschaft, Gericht und Angeklagtenvertreter im Vorfeld längst den groben Rahmen einer Vereinbarung abgesteckt hatten. Vom Motto „Hart, aber gerecht“ wollte die 6. große Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen nichts wissen. Der Deal lautete offenbar: Mildere Haftstrafen bei sofortigen - einigermaßen vollumfänglichen - Geständnissen und Zahlungen an die Geschädigten. So nickten die Angeklagten in ihren vorbereiteten Erklärungen denn auch ab, was ihnen der Mühlhausener Staatsanwalt Horst Köhler zuvor in seiner Anklageschrift vorgeworfen hatte.

Die Rekonstruktion der Geschehnisse rund um FTPWelt durch die Staatsanwaltschaft deckt sich en détail mit Rechercheergebnissen, die c't bereits im September 2004 veröffentlicht hatte - kurz nachdem die Website vom Netz ging [1]. Pikante Einzelheiten erhärteten zudem den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, dass der tatbeteiligte Münchner Anwalt Bernhard S. frühzeitig in das „Geschäftsmodell“ FTPWelt eingeweiht sein musste.

So stellte sich heraus, dass S. Firmengründungen für die Brüder R. erledigte und beispielsweise im Auftrag die Domain FTPWelt.com registriert hatte. Später begleitete der Anwalt seinen Mandanten Thomas R. gar bei einer Reise auf die British Virgin Islands (BVI), um dort zu helfen, eine Limited-Firma als Träger für FTPWelt aufzuziehen. Dort wurde dann auch ein ortsansässiger Strohmann angeheuert, der dem Business offenbar einen seriösen Anstrich verleihen und Rechtsgeschäfte möglich machen sollte. Laut Geständnis von Thomas R. soll Anwalt S. damals in seiner Beraterfunktion grünes Licht zur Ortsverlagerung gegeben haben: Auf den Karibikinseln gebe es schließlich kein deutsches Urheberrecht, lautete demnach der Befund des Anwalts. Thomas R. erklärte, er habe wohl zu sehr in diese Beratung vertraut.

Die der Staatsanwaltschaft vorliegenden und von c't in Auszügen veröffentlichten Chat-Protokolle zwischen dem Anwalt und seinen Mandanten belegten, wie tief deren Geschäftsbeziehung war. Es passt ins Bild, dass S. nach Kenntnissen der Strafermittler wenige Wochen vor seiner Verhaftung im September 2004 in einer Münchener Commerzbankfiliale knapp 400 000 Euro in bar von seinem Anwalts-Anderkonto abhob und dem im Taxi wartenden Daniel R. übergab. Dieses Geld wurde nach der Festnahme der Brüder R. nahezu unangetastet in der Garage der Eltern aufgefunden - in einem Rucksack aufbewahrt. Das Versteck verriet Daniel R. erst bei Vernehmungen in der Untersuchungshaft.

Dennoch wies Anwalt S. eine Täterschaft in seiner Einlassung vor Gericht weit von sich. Mit der Gründung von FTPWelt habe er nichts zu tun gehabt. Und ein Unternehmen auf den British Virgin Islands ins Leben zu rufen sei nicht verwerflich, schließlich würden dies große seriöse Internet-Unternehmen auch tun. Er habe seinen Mandanten stets die Vor- und Nachteile ihrer Planungen erläutert. Dass er für sie Server im Ausland bestellt hat, sei völlig ordnungsgemäß. Den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, er habe Gelder verschwinden lassen wollen, wies er „mit Empörung zurück“.

In Wahrheit, so S., habe er die Website FTPWelt.com nicht ein einziges Mal aufgerufen. Allerdings habe er ein ungutes Gefühl bei der Sache gehabt, sei aber zu sorglos damit umgegangen. Fahrlässigkeit bei seiner Tätigkeit als Rechtsbeistand müsse er sich also zurechnen lassen. Deshalb räumte S. eine Beihilfe zu den Taten ein, was das Gericht offensichtlich wohlwollend als Geständnis auslegte. S. bat zu bedenken, dass er durch den „Presserummel“ schon viel Schaden erlitten habe.

Tatsächlich kam Anwalt S. schließlich mit der mildesten Haftstrafe unter den drei Hauptangeklagten davon: Die zehn Monate Freiheitsentzug hat das Gericht für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Damit dürfte die Berufszulassung von S. kaum gefährdet sein, wie auch Stephan Kopp, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer München, gegenüber c't bestätigte. Quasi im Gegenzug für die milde Haftstrafe muss S. am tiefsten in den Geldbeutel greifen. 90 000 Euro, die an gemeinnützige Organisationen weitergeleitet werden, soll er bezahlen.

Im Fall von Daniel R., der zur Tatzeit 20 Jahre alt war, wandte das Gericht das Jugendstrafrecht an und erkannte eine positive Sozialprognose. Er erhielt eine Haftstrafe von 23 Monaten, die ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt ist. Zusätzlich muss er 120 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten und 6000 Euro Strafe bezahlen.

Sein Bruder Thomas R., der 2004 durch die Festnahme nicht mehr zum Abschluss seiner Ausbildung zum Steuerberater kam, möchte nach wie vor diesen Beruf ausüben, wie er betonte. Der heute 32-Jährige erhielt eine Haftstrafe von 16 Monaten zur Bewährung, muss allerdings zusätzlich 70 000 Euro Strafe zahlen. Das Verfahren gegen den vierten Angeklagten wurde bereits am ersten Verhandlungstag gegen die Zahlung einer Geldstrafe eingestellt.

Die Staatsanwaltschaft teilte mit, dass der erwirtschaftete Umsatz aus dem Betrieb der Download-Plattform von knapp 700 000 Euro fast komplett abgeschöpft worden sei. Die Angeklagten haben auf Anspruch darauf verzichtet. Da sie nie Umsatzsteuer abgeführt hatten und deshalb parallel noch ein Steuerstrafverfahren gegen sie lief, wird aus der abgeschöpften Masse zunächst die Steuerschuld an den Fiskus abgeführt.

Die dann verbleibende Summe überweist die Staatsanwaltschaft nach Absprache mit den Angeklagten als Entschädigung an die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU), also die an der Ermittlung beteiligten Privatfahnder der Filmindustrie. Um welche Summe es sich dabei handelt, ist unbekannt. Mehr als 200 000 bis 300 000 Euro dürften es nicht sein.

Die GVU will im Rahmen einer Mitgliederversammlung entscheiden, was mit diesem Geld geschieht. Zivilrechtliche Ansprüche gegen die verurteilten Täter behält man sich noch vor. Entgegen anderslautender Medienberichte habe die GVU „zu keinem Zeitpunkt Verzichtserklärungen für ihre Mitgliedsunternehmen in Bezug auf etwaige Schadensersatzansprüche abgegeben“, teilte Geschäftsführer Ronald Schäfer c't mit. Auch habe es „nach unserer Kenntnis keinerlei entsprechende Verzichtserklärungen seitens der Mitgliedunternehmen direkt gegeben.“

Man gehe aber „davon aus, dass die geschädigten Urheberrechtsinhaber den Umstand, dass der Erlös der strafbaren Handlungen nach Abzug der Ansprüche des Fiskus ihnen zufließen werden, berücksichtigen werden.“ Die GVU zeigt sich also wohl genügsam. Kurz nach den Festnahmen 2004 sprach sie immerhin von einem Schaden ihrer Mitglieder „im zweistelligen Millionenbereich“ durch den Betrieb von FTPWelt, ohne diese Summen je belegt zu haben.

Die zwei Haupttäter und deren Beihelfer dürften also keine weiteren juristischen Folgen mehr zu erwarten haben. Sie akzeptier-ten die Urteile an Ort und Stelle, verzichteten also auf den weite-ren Rechtsweg. Damit ist der Fall FTPWelt abgeschlossen.

[1] Holger Bleich, Der Fall FTPWelt, Wie die große Warez-Download-Plattform aufflog, c't 21/04, S. 62 (hob)