Ausgewiesen unterwegs

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Von
  • Holger Bleich


Ausgewiesen unterwegs

Lange gefordert, kommt sie nun wohl tatsächlich: Die rechtsverbindliche digitale Identität für jeden Bundesbürger. Ein neuer Personalausweis soll ab 2008 ermöglichen, dass wir uns im Web so selbstverständlich ausweisen können wie in der Videothek um die Ecke (siehe c't 12/07, S. 72). Chipkarte in den Leser gesteckt, schon kann die Shopping-Tour beginnen: Amazon rückt endlich ohne weitere Fragen Über-18-Filme raus, eBay ist die Identitätsbetrüger los, und der Sofortkredit fürs neue Auto lässt sich ohne Zeitverzug direkt aufs Girokonto überweisen.

Die erforderliche Infrastruktur stellt der Bund. Alle Fäden des nötigen Verschlüsselungsverfahrens zur Online-Authentifizierung werden den Plänen des Innenministeriums zufolge beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zusammenlaufen. Dieses Amt soll demnach die Zertifikate von Bürgern und Unternehmen verwalten, also gleichsam als Mittler im Authentifizierungsprozess fungieren. Der Bürger behält jederzeit die Kontrolle über seine Daten; er entscheidet, wann er den digitalen Ausweis zückt - so der Plan.

Die freie Wirtschaft wird’s freuen, es lockt enormes Sparpotenzial: Für wenig Geld stellt ihr der Staat bald ein Instrument, um ihre gesammelten Personendaten zu validieren. Vorbei ist dann die Zeit, in der Unternehmen mühsam überprüfen mussten, ob die Kundenadresse stimmt. Denkbar wäre, dass in den Adressdatenbanken von Infobrokern schon bald ein Wert steigerndes Flag auftaucht, etwa so: "staatlich geprüfte Qualität". Online-Werbenetzwerke könnten einwandfrei identifizierte Bundes-Surfer bei ihren Streifzügen durchs Web verfolgen - Cookies machen es möglich.

Kommerzielle Anbieter wollen bekanntermaßen wissen, wer sich für ihr Angebot interessiert. Sollte die Authentifizierung funktionieren, dürfte sie breit eingesetzt werden - sehr breit. Wenn die Bürger schon unwillig sind, für Webinhalte Geld auszugeben, könnten sie ja wenigstens ihren Personalausweis in den Leser stecken. Neue Währung Ausweisdaten dank digitaler Schlagbäume im Web. Ausgeschlossen würden dann eben allmählich jene, die ihr berechtigtes Interesse wahrnehmen wollen, unbeobachtet unterwegs zu sein.

Eine nachladbare digitale Signatur auf dem Ausweis soll dafür sorgen, dass der Bürger Online-Dokumente rechtssicher unterschreiben und sich künftig so manchen Behördengang sparen kann. Und der Bund spart mit, nämlich Personal und Papier, so das Kalkül. Der Tag dürfte dann nicht mehr allzu fern sein, an dem wir mit Chipkarte und PIN unsere Stimme abgeben dürfen. Auszählungen in deutschen Wahlbüros sind kaum manipulierbar, IT-Infrastrukturen aller Erfahrung nach schon.

Nichts ließ die Bundesregierung übrigens bisher darüber verlauten, ob und wie lange der Bund selbst die Authentifizierungsvorgänge speichern wird: Oha, der Herr Bleich aus Hannover weist sich bei chemie-mueller.de und bahn.de aus? Da fragen wir doch lieber mal bei der IT-Abteilung der Deutschen Bahn nach, ob er nicht zufällig ein Ticket für den 6. Juni nach Heiligendamm gebucht hat. In diesem Zusammenhang lassen Berichte aufhorchen, wonach bereits Protokolle von Suchmaschinen ausreichten, um Hausdurchsuchungen bei G8-Gegnern zu rechtfertigen. Schön, der Staat will uns vor Identitätsbetrug im Web schützen. Doch wer beschützt uns vor unseren datensammelwütigen Innenpolitikern, wenn die nächste Terrorwarnung ansteht? (hob)