Fallrückzieher

Rechtzeitig zur EM soll das mobile Digitalfernsehen DVB-H an den Start gehen, doch statt passender DVB-H-Handys verkaufen Mobilfunkshops und Provider mit dem HB620T von LG das erste DVB-T-fähige Fernsehtelefon – ein harter Schlag für die DVB-H-Betreiber.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Rudolf Opitz
  • Sven Hansen
Inhaltsverzeichnis

Fußball zieht. Das wissen auch die Betreiber mobiler Fernsehangebote fürs Handy. So gab es schon zur Weltmeisterschaft 2006 ein Handy-TV-Angebot, das sich aber als Flop erwies. Die Anbieter wollen nun ein neues Paket nach EU-Standard DVB-H schnüren. Kunden sollen unterwegs Nachrichten oder ihre Lieblings-Soap und vor allem den Anpfiff eines EM-Matches schauen können, auch wenn sie noch auf dem Weg zum nächsten Public-Viewing-Event in der Straßenbahn oder im Stau sitzen.

Bisher hat Handy-TV vor allem durch Formatquerelen und Fehlstarts von sich reden gemacht (siehe Kasten Seite 26 in c't 12/08). Das DVB-H-Betreiber-Konsortium Mobile 3.0 will nun Anfang Juni den mobilen Fernsehdienst in den Ballungsräumen Frankfurt, Hamburg, Hannover und München starten. Viele Zuschauer wird DVB-H zur EM allerdings nicht gewinnen können, denn während der als „Soft-Launch“ deklarierten Phase ist nicht ein einziges Endgerät im Handel verfügbar, auch die nötigen Vertriebswege fehlen.

Netzbetreiber und Reseller haben – rechtzeitig zur Fußball-EM – auf das als „Überall-Fernsehen“ gepriesene DVB-T umgesattelt: Das LG HB620T empfängt digitale Fernsehprogramme nach dem DVB-T-Standard auch ohne Zusatzvertrag, außer den GEZ-Gebühren fallen keine weiteren Kosten an. Es ist bei T-Mobile und Vodafone erhältlich, aber auch Debitel, E-Plus und O2 wollen das TV-Handy anbieten. Vodafone hat zudem das Windows-Smartphone GSmart T600 mit DVB-T-Empfänger im Programm, ein bereits im März 2007 vorgestelltes Gerät mit einem 2,6-Zoll-Touchscreen und VGA-Auflösung.

Wer nicht auf das speziell angepasste Handy-TV warten will, greift also zum DVB-T-Handy HB 620T von LG. Dabei nimmt man zwar die Nachteile des älteren und nicht so ganz mobilen Digitalfernsehens in Kauf, dafür funktioniert es aber schon. Wir haben das Modell auf seine Tauglichkeit als mobiler Fernseher geprüft.

Das handliche, etwas breitere Klapphandy ist mit einem 2-Zoll-QVGA-Display ausgestattet, das LG zur besseren TV-Darstellung waagerecht eingebaut hat. Es spiegelt zwar etwas, doch stört das außer im direkten Sonnenlicht nicht beim Ablesen und Fernsehen. Die großflächigen Tasten lassen sich gut bedienen. Auf dem Klappdeckel gibt es eine einfache 2-Megapixel-Kamera und ein schmales Zweitdisplay.

Eine Zweitkamera über dem Hauptdisplay dient zum Videotelefonieren. Mit Triband-GSM und UMTS inklusive Datenturbo HSDPA, der bis 7,2 MBit/s brutto empfangen soll – ein ausführlicher Test folgt in einer der nächsten Ausgaben –, ist das Handy sehr gut ausgestattet. Das HB620T nutzt als Wechselmedium microSD-Karten bis vier Gigabyte, zum Wechseln muss man jedoch den Akku entfernen.

Zum Fernschauen zieht man die kleine Teleskopantenne am oberen Ende des Tastaturteils heraus. Sie wirkt sehr filigran und zerbrechlich, übersteht Biegeversuche dank der hohen Flexibilität des Basisglieds aber ohne Schaden. Beim ersten Starten des TV-Empfangs sucht das Handy nach DVB-T-Sendern und zeigt die gefundenen Programme übersichtlich in einer Liste. Dabei fördert es nur Sender im UHF-Band zutage. In den DVB-T-Regionen Hannover, München und Würzburg muss man daher auf den Empfang des ARD-Bouquets verzichten. In den Optionen finden sich auch Informationen zu laufenden und kommenden Sendungen (EPG).

Das kleine 4:3-Display liefert ein winziges, aber gestochen scharfes Bild – bei 16:9-Sendungen muss man allerdings schwarze Streifen in Kauf nehmen. Während es mit T-DMB- und DVB-H-Handys bei schnellen Bewegungen oft zu Klötzchen-Artefakten kam und man bei Aufnahmen aus der Totalen raten musste, ob das weiße Rechteck den Ball oder einen Spieler darstellt, schrumpft der Ball beim DVB-T-Telefon zu einem hellen Pixel zusammen, ist aber jederzeit als solcher zu erkennen. Erst bei schlechtem Empfang friert das Bild ein oder zeigt Klötzchen. Grundsätzlich aber profitiert das HB620T klar von der vergleichsweise hohen DVB-T-Videobandbreite; durch das Herunterskalieren bleiben zwar einige Details, aber auch Bildfehler auf der Strecke.

Ein Kritikpunkt der DVB-H-Befürworter besagt, DVB-T tauge nicht zum Einsatz in Fahrzeugen. Bei unseren Tests konnten wir bei einer Reisegeschwindigkeit von 120 km/h dagegen keine Aussetzer beim Fernsehempfang feststellen. Die Akkulaufzeit soll laut Hersteller etwa zwei Stunden betragen, mit aktiviertem Mobilfunk erreichten wir im Test sogar eine Fernsehlaufzeit von 2 Stunden und 20 Minuten. Bei DVB-H-Telefonen liegt die Laufzeit im TV-Betrieb zwischen drei und fünf Stunden. Bei aktiviertem Flugzeugmodus funktioniert der TV-Empfang des LG-Handys nicht, da der DVB-T-Betrieb seltsamerweise eine aktivierte und im Netz angemeldete SIM-Karte voraussetzt.

Auch sonst ist das HB620T multimedial gut ausgerüstet: Der Musikplayer spielt die Formate MP3, AAC, M4A und WMA ab, zum Klangregeln stellt es eine Auswahl an Presets zur Verfügung. Das mitgelieferte Stereo-Headset mit proprietärem Stecker liefert jedoch einen dünnen, bassarmen Klang. Auch Videoclips im 3GP- und MPEG-4-Format gibt das Handy ruckelfrei wieder.

DVB-T wurde jedoch für ausgewachsene Fernseher konzipiert und nicht für die kleinen Handy-Displays, die üblicherweise nur QVGA-Auflösung (320 x 240 Bildpunkte) bieten. Das mit etwa 3 MBit/s ausgestrahlte Videosignal muss daher von der TV-Auflösung (704 x 576) auf die geringere Auflösung der QVGA-Displays herunterskaliert werden.

Das Handyfernsehen DVB-H ist dagegen an die kleinen Mobilgeräte angepasst: So kommt statt des MPEG-2-Standards MPEG-4 Advanced Video Coding (H.264) zum Einsatz, das im Vergleich zum MPEG-2-Codec rund dreimal so effizient kodiert, was aber auch zwei- bis dreimal so hohen Rechenaufwand erfordert. Allerdings liefern die Sender Bilder in QVGA-Auflösung, das Herunterskalieren entfällt somit. Ein DVB-H-Programm begnügt sich mit Datenraten von 300 bis 400 kBit/s. Während bei DVB-T nur vier Programme auf einen TV-Kanal passen, sind es bei DVB-H etwa 30.

Ein Problem mobiler Empfangsgeräte ist deren begrenzte Akkukapazität. Ein DVB-T-Empfänger belastet den Mobiltelefon-Akku deutlich stärker als einer mit DVB-H. Das Handy-TV erreicht dies durch ein Zeitmultiplexverfahren, Time Slicing genannt. Wie beim GSM-Mobilfunknetz werden die Daten einzelner Programme in regelmäßig wiederkehrenden Bursts gesendet. Das DVB-H-Empfangsteil braucht daher nur zu bestimmten Zeitpunkten aktiv zu sein und schaltet in der übrigen Zeit ab. Ein Zwischenspeicher für die komprimierten Daten versorgt den Decoder-Baustein mit einem konstanten Datenstrom. Im Vergleich zu DVB-T soll das eine erhebliche Verlängerung der Akkulaufzeit bewirken.

Für einen mobilen Dienst spielt der unterbrechungsfreie Wechsel zwischen zwei benachbarten Funkstationen, das Handover, eine wichtige Rolle. DVB-H-Sender besitzen dazu eine spezielle Kennung, den Cell Identifier, mit dem TV-Handys den Datenstrom des gerade empfangenen Programms im Multiplexsignal eines Nachbarsenders schnell auffinden und so die Wiedergabe fortsetzen können. Bei DVB-T muss man beim Wechsel zu einem anderen Sender üblicherweise einen neuen Programm-Scan starten.

Während die DVB-H-Angebote auf sich warten lassen, existieren passende Handys schon lange, zum Teil bereits in der dritten Modellgeneration. In Deutschland tauchen sie wegen der fehlenden Dienste auf dem Markt gar nicht erst auf. Nokias TV-Smartphone N92 kam hierzulande nur bei DVB-H-Tests wie in Berlin vereinzelt zum Einsatz, während in Italien, wo es das Mobil-TV im Regelbetrieb gibt, DVB-H-Handys wie Samsungs P910 oder das U900 von LG schon länger im Handel sind.

Gerade die koreanischen Hersteller LG und Samsung besitzen bereits viel Erfahrung mit TV-Handys, zumal das in Deutschland gescheiterte DMB-Fernsehen in Südkorea Erfolge feiern konnte – was sicherlich auch daran liegt, dass man es dort ohne Vertrag kostenlos empfangen kann. Auch DVB-H-Geräte fehlen nicht in den Portfolios: Samsung hat das schicke Videohandy SGH-F510 Ultra Movie 2007 nicht in Deutschland angeboten, will es aber in diesem Jahr mit dem aktuellen Schiebemodell SGH-P960 versuchen.

Auch Sagem steht bereits mit seinem zweiten DVB-H-Modell my750C (myMobileTV II) in den Startlöchern. Nokia hat das Multimedia-Smartphone N96 mit TV-Empfänger für das dritte Quartal 2008 angekündigt. Interessant für Besitzer eines Nokia-Smartphones, die sich zum Fernsehschauen unterwegs kein neues Handy zulegen wollen, ist der Mobile-TV-Receiver SU-33W, der die DVB-H-Daten per Bluetooth an ein Gerät mit passender Abspielsoftware weiterreichen kann.

Wer die Ausgabe für ein neues, fernsehtaugliches Handy scheut und bereits ein UMTS-Modell besitzt, kann Bilder von der EM auch als Videostreams empfangen, wie sie die Netzbetreiber schon seit der Einführung des Mobilfunknetzes der dritten Generation anbieten. Die Qualität der Live-Streams hält dem Vergleich mit einer DVB-Sendung jedoch nicht stand. Sie hängt stark von der Auslastung der Funkzelle ab, häufig kommt es zu Blockartefakten oder das Bild friert mitunter minutenlang ein. Wenn das Bild wieder flüssig läuft, ist das Elfmeterschießen vielleicht schon vorbei.

Auch die deutliche Zeitverzögerung stört. Während auf dem Handy-Display noch die Ecke vorbereitet wird, hört man oft schon den Torjubel aus den offenen Fenstern rundum. Abgesehen von Live-Events und Nachrichten-Kanälen bieten die Netzbetreiber nur ältere TV-Inhalte wie Soaps oder Comedy-Ausschnitte, die als Schleife gestreamt werden und sich meist nach einer Stunde wiederholen.

Das DVB-T-Handy von LG könnte den Kampf um Fernsehen per Mobiltelefon vorzeitig entscheiden. Das DVB-H-System hat zwar deutliche Vorteile wie längere Akkulaufzeit, größere Mobilität durch Handover-Technik oder leistungsfähigeren Codec. Die gute Bildqualität des HB620T spricht momentan jedoch für sich. Prinzipiell kann auch DVB-H – auf Kosten der Programmanzahl pro Sendekanal – hohe Bildqualitäten liefern. Ob Mobile 3 die mühsam ausgehandelten Belegungspläne dafür wieder umbaut, bleibt abzuwarten.

DVB-T erlaubt mangels Rückkanal keine interaktiven Sendeformen, eine weitere Spezialität der DVB-H-Technik. Damit ließen sich etwa Fußballwetten oder verbesserte TV-Shops einrichten. Doch lässt sich auf solche DVB-H-Spezialitäten leicht verzichten, da jedes TV-fähige Handy auch einen Webbrowser mit Internetzugang enthalten dürfte.

Nicht zuletzt über die Kosten könnte die Entscheidung zwischen dem ambitionierten DVB-H und dem einfacheren, aber bereits weiträumig verfügbaren DVB-T fallen: Warum sollte der Kunde für etwas zahlen wollen, was er auch kostenlos empfangen kann? Wenn die DVB-H-Betreiber keinen deutlich erkennbaren Mehrwert liefern, dürfte die Antwort eindeutig ausfallen. Doch auch bei DVB-T-Handys könnte man etwa Privatsender nur für zahlende Kunden freischalten. Vielleicht ein Grund, warum das LG-Handy TV-Programme nur aufs Display bringt, wenn es im Netz eingebucht ist.

[1] Sven-Olaf Suhl, Dr. Volker Zota, Mini-Glotze, Erfahrungen mit Fernsehen auf dem Handy, c't 13/06, S. 32

[2] Michael Kornfeld, Gunther May, Peter Schlegel, Fernsehen für die Kleinen, Die Technik hinter DVB-H, c't 20/06, S. 206 (rop)