Frisches Fundament

Mit einem pfiffigen Konzept und zeitgemäßer Technik könnte WebOS der Betriebssystem-Krise bei Palm endlich ein Ende setzen und gleichzeitig frischen Wind in den Smartphone-Markt blasen. Aber reicht ein neues System, um das angeschlagene Unternehmen Palm noch zu retten?

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Daniel Lüders
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Die letzten Meldungen aus dem Hause Palm waren nicht gerade berauschend: Im vergangenen Quartal machte das Unternehmen über 500 Millionen Dollar Miese, verkaufte dreizehn Prozent weniger Smartphones als ein Jahr zuvor und hatte als einziges Smartphone mit halbwegs eigenem Charakter das Centro mit dem Uralt-System Palm OS 5 im Angebot, der Rest der Produktpalette lief unter Windows Mobile. Nachdem Palm die Pokerpartie um die Rechte am ursprünglichen System Palm OS vor über zwei Jahren gegen das Unternehmen Access verloren hatte, war der Weg für eine Weiterentwicklung schon aus lizenzrechtlichen Gründen versperrt.

Der Palm-CEO Ed Colligan legte alle weiteren Projekte auf Eis, pfiff sogar den Palm-Gründer Jeff Hawkins zurück und schwor sein Team auf die Entwicklung eines neuen Systems auf Linux-Basis ein. Hierfür holte er keinen Geringeren als den Ex-Apple-Hardware-Chef Jon Rubinstein und einen finanzstarken Investor namens Elevation Partners ins Boot.

So verwundert es nicht, dass das nun vorgestellte WebOS mit dem alten Palm OS nichts mehr gemein hat. Tatsächlich erwähnte Ed Colligan das alte System bei der Neuvorstellung auf der CES mit keiner Silbe. Der Anwender muss sich außerdem damit abfinden, dass Palm-OS-Programme auf WebOS-Smartphones aller Voraussicht nach zunächst nicht laufen.

Statt mit Abwärtskompatibilität protzt Palm mit einem neuen Systemkonzept. Wie der Name vermuten lässt, soll WebOS eine Plattform für Programme sein, die ganz oder teilweise auf Webdienste aufsetzen. Ohne Internet-Verbindung läuft hier wohl wenig. Auch bei der Anwendungsentwicklung sollen Programmierer hauptsächlich auf Webstandards zurückgreifen. Ein Entwicklerkit für sein neues System hat Palm bislang allerdings noch nicht angekündigt.

In Palms Paradedisziplin Personal Information Management (PIM) sollen die Anwendungen für Kontakte, Termine, Aufgaben und Notizen mit Web-Datenbanken zusammenspielen. Ob als Quelle hierbei Google, Facebook oder andere Webdienste Verwendung finden, ist egal. Verschiedene Datenbanken führt WebOS mit Hilfe der korrespondierenden Abgleichlösung Synergy zusammen und erkennt doppelte Einträge selbstständig. Termine zeigt es entweder in verschiedenen Kalendern, beispielsweise für Privates, Arbeit und Familie, oder in einer Hauptansicht an. Neben den PIM-Webdiensten soll WebOS aber auch mit Server-Programmen wie Exchange arbeiten.

Um mit der Smartphone-Konkurrenz gleichzuziehen, gehören zum Standardpaket Anwendungen für Fotos, Videos, Musik, Surfen und Messaging. Der Web-Browser baut offenbar auf das auch beim iPhone verwendete Webkit auf und soll Webseiten ähnlich gefällig anzeigen. Beim Messaging trennt WebOS nicht länger zwischen Instant Messaging, SMS oder E-Mail, sondern zeigt neue Nachrichten in einer gemeinsamen Chat-Übersicht an. Eine Menüleiste an der Bildschirmunterseite informiert den Nutzer über neue Nachrichten und Statusmeldungen.

Bei der Bedienung über das Multitouch-Display erinnert WebOS unweigerlich an das iPhone: Fotos sowie Webseiten zoomt man durch Auseinanderziehen zweier Finger. Anders als beim Apple-Handy wechselt der Nutzer allerdings einfach per Fingerstrich von einem laufenden Programm zum nächsten.

Beim ersten WebOS-Smartphone Pre gehören Sensoren für Helligkeit, Annäherung und Lage zur Standardausstattung. Dadurch kann es automatisch die Beleuchtung dimmen, den Bildschirminhalt drehen und beim Telefonieren das Display abschalten. Der Kapazitiv-Bildschirm zeigt 320 x 480 Pixel an. Die Rückseite ziert eine Drei-Megapixel-Kamera mit LED-Blitz.

Anders als Apple hat Palm bei seinem Smartphone einige Stolpersteine vermieden: Für Texteingaben steht eine Mini-Tastatur bereit, die sich unter dem Display verbirgt. Eine Navigationssoftware nutzt den GPS-Empfänger, der beim iPhone 3G nur zur Standortanzeige dient. Der acht GByte große Flash-Speicher lässt sich auch als USB-Massenspeicher ansprechen und der Akku ist wechselbar. Bei der optionalen Ladestation namens Touchstone geht Palm neue Wege: Es reicht, das Handy auf die Station zu legen, wobei der Akku dann per Induktion geladen wird – Stecker ade. Weitere Details zum Palm Pre finden sich auch in unserer Handy-Galerie (www.handy-db.de/1496).

Zum Marktstart in den USA im ersten Quartal dieses Jahres soll es nur eine speziell für den Mobilfunk-Provider Sprint zugeschnittene Version geben, die ausschließlich im EV-DO-Netz funkt. Später wird laut Palm auch eine UMTS-Version für den Rest der Welt folgen. Was das Smartphone kostet und wann hierzulande mit einer Markteinführung gerechnet werden darf, bleibt noch offen.

Auf den ersten Blick vermag das Pre-Smartphone durchaus zu begeistern, enthält es doch nicht nur die bekannten Features der aktuellen Smartphone-Oberklasse, sondern auch einige Novitäten. Ob es auch in der Praxis überzeugt, muss ein Test zeigen.

Während Apple und Google die Nutzer mit eigenen Internet-Diensten für ihre Handys gängeln, soll WebOS mit allen gängigen Webportalen oder E-Mail-Server-Programmen abgleichen.

WebOS und das Pre-Smartphone haben das Zeug dazu, Käuferschichten zu erreichen, die sich weder bei iPhone noch Android oder Blackberry so richtig zu Hause fühlen. Um Palm aus den roten Zahlen zu hieven, braucht es nun noch Mobilfunk-Provider, die sich ebenso von diesem Konzept überzeugen lassen. (dal)