Weltretter in spe

Die Informations- und Kommunikationstechnik hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich: Vor einigen Jahren bereits als der Jobmotor schlechthin beschworen, soll sie inzwischen nicht nur die Wirtschaft, sondern nebenbei auch noch den ganzen Planeten retten. Damit die IKT-Branche mehr als nur die Probleme löst, die wir ohne sie nicht hätten, braucht es allerdings den Einsatz von noch sehr viel mehr natürlicher Intelligenz als bisher.

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Von
  • Angela Meyer
Inhaltsverzeichnis

Konsumverzicht ist keine Antwort.“ Diese Botschaft, die Bundesumweltminister Sigmar Gabriel seinen Zuhörern im Forum der Green IT World auf der CeBIT mit auf den Weg gab, klingt nur im ersten Moment beruhigend. Bei seiner Keynote zur dritten Konferenz „Nachhaltigkeit in einer digitalen Welt“ hatte Gabriel zunächst in deutlichen Worten erklärt, worin er die zwei zentralen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte sieht: Zum einen werde die Menschheit bis zum Jahr 2050 voraussichtlich von 6,5 auf mehr als 9 Milliarden anwachsen, und während heute nur 1,5 Milliarden Menschen in Gesellschaften mit industrieller Massengüterproduktion leben, werden es dann dreimal so viele sein.

„Kein Argument wird diese Entwicklung aufhalten. Sollen wir den Chinesen sagen ‚Tut uns leid, Jungs, ihr seid einfach ein bisschen viele’ oder den Indern ‚Sorry, ihr kommt zu spät’?“ Die zweite, hiermit direkt verbundene Herausforderung sei der Klimawandel, sagte Gabriel auf der gemeinsam von Bundesumweltministerium, Umweltbundesamt und Bitkom veranstalteten Tagung. Sowohl die gigantische Steigerung der Nachfrage nach Rohstoffen als auch die den Klimawandel verursachende Art, wie wir bisher wirtschaften, berge die Gefahr, dass die bereits sichtbaren gewalttätigen Konflikte noch weiter anwachsen.

Die klassische Antwort der Umweltbewegung, auf Konsum zu verzichten, sei allerdings keine Lösung. Bereits in Deutschland habe diese Botschaft nur wenige mit entsprechend hohem Einkommen nachhaltig erreicht. „In China, Indien, Lateinamerika, Afrika werden Sie niemanden finden, der dieser Botschaft vertraut.“ Jede Klimaverhandlung in der Welt beginne mit der zentralen Frage: „Mit welchen intelligenten Energietechnologien ermöglicht ihr uns in den Entwicklungsländern wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand?“

Die einzig mögliche Antwort auf die wachsenden Bedürfnisse sei die Wiederentdeckung des technischen Fortschritts, postulierte Gabriel vor dem zahlreich erschienenen Fachpublikum aus Unternehmen, Behörden und Verbänden. Nicht als Technikgläubigkeit und kritiklose Entwicklung von Technik, sondern mit dem Wissen darum, dass es nur zwei Strategien gebe, um die Ressourcenknappheit zu überwinden: „mehr Effizienz“ und „Erneuerbare“ – womit bei beiden nicht nur Energien, sondern auch Materialien gemeint seien. Die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) könne hier gleich auf zweierlei Weise zur Lösung der Probleme beitragen, indem sie selbst grüner werde und indem sie durch ihren intelligenten Einsatz auch andere Bereiche grüner mache.

Damit das gelinge, brauche Green IT aber auch einen Markt, weshalb der Bund jetzt auch selbst entsprechende Geräte bevorzugt kaufe. Außerdem habe das Bundesumweltministerium ein weiteres Förderprogramm aufgelegt (siehe Kasten). Die IKT-Branche hätte aber auch die Chance, Deutschlands sehr gute Position in der Umwelttechnik weiter zu stärken und zu der Entwicklung einer ökologischen Industriegesellschaft beizutragen. So steige bei einem weiteren Wachstum der Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien nicht nur die Instabilität der Netze, auch brauchen immer mehr Geräte Strom einschließlich ganz neuer Anwendungen wie Hybridautos. Die IKT müsse deshalb ihre Kompetenzen in der Systemintegration für eine intelligente Steuerung der Strom- und Wärmeerzeugung sowie der Geräte im Haus mit Hilfe intelligenter Zähler weiter ausbauen.

Die Bundesregierung erhofft sich von der Förderung solcher Entwicklungen der IKT-Branche wie Smart Grid, Smart Metering und Smart Home allerdings weit mehr als nur Detaillösungen: „Der Finanzmarkt hat ein Problem, Sie haben die Lösung in der Hand, mit der Sie auch einen kräftigen Beitrag zur Beschäftigung leisten können“, forderte Gabriel die Branche zum Handeln auf.

Die folgenden Redner aus Unternehmen und Verbänden bemühten sich ebenso wie das vom Umweltbundesamt anlässlich der Tagung herausgegebene Hintergrundpapier „Green IT – Zukünftige Herausforderungen und Chancen“ , anhand konkreter Beispiele zu zeigen, wie die IKT-Branche diese hohen Erwartungen erfüllen könnte [1]. Auch wenn sich in den vergangenen Jahren durchaus einiges getan hat, zeigte sich dabei: Das immer wieder als Lösung beschworene Potenzial der IKT ist vor allem deshalb so groß, weil sich zu vielen bisher nicht genutzten Möglichkeiten mindestens ebenso viele noch ungelöste Fragen gesellen.

So gehen die im UBA-Papier zitierten Untersuchungen zwar davon aus, dass durch intelligente Nutzung von IKT 15 Prozent der für 2020 angenommenen weltweiten CO2-Emissionen vermieden werden könnten. Besonders hohe Einsparungen erhofft man sich vom Ersatz physischer durch digitale Güter wie bei E-Mails, Fotos und Musik, durch IKT-gestützte Dienstleistungen wie Online-Buchungen, intelligente Steuerung von Stromnetzen und Stromversorgung und durch Gebäudeautomatisierung. Gleichzeitig arbeiten allerdings Regierungen und IKT-Wirtschaft intensiv darauf hin, dass bis 2050 mindestens fünf Milliarden Menschen nicht nur einen Breitbandzugang haben, sondern natürlich auch die damit nutzbaren Geräte und Nutzungsverträge.

Das UBA erwartet daher, dass die 15 Prozent ohne erhebliche Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und Anwendern kein Selbstläufer sein werden. Der Hintergrundbericht schließt zwar aus Studien von Fraunhofer IZM/ISI und vom Bundesumweltministerium, dass „der schnell wachsende Gerätebestand, der rasant steigende Datenverkehr in Internet und Mobilfunknetzen, stetig neue Anwendungen und die Konvergenz bei den IKT-Dienstleistungen („Triple Play Services“ etc.), nicht zwangsläufig zu einer Zunahme des IKT-bedingten Stromverbrauchs in Deutschland führen müssen“. Aber die bereits laufenden Initiativen des Gesetzgebers zur Erhöhung der Energieeffizienz wie das Energiebetriebene-Produkte-Gesetz oder die Einführung von Energieeffizienzkennzeichen wie dem Energy Star, die gemeinsam von Bitkom und Bundesregierung entwickelte Richtlinie zur umweltfreundlichen Beschaffung, die bisherigen freiwilligen Bemühungen, umweltgerechte Produkte zu entwickeln und herzustellen und der Wettbewerbsdruck hin zu energieeffizienten Geräten, die Stromkosten senken und in mobilen Geräten längere Laufzeiten ermöglichen, wirken nur in die richtige Richtung. Ohne „umfangreiche weitere Maßnahmen“ werde der IKT-Stromverbrauch beispielsweise in den Rechenzentren von 2008 bis 2013 um knapp die Hälfte auf etwa 15 TWh pro Jahr steigen – was für die von den Rechenzentren bedienten Geräte tendenziell natürlich genauso gilt.

Gegensteuern könnte man laut UBA, wenn alle Anwender sich besser informieren und entsprechend handeln, wobei insbesondere eine durchgängige Energieeffizienzkennzeichnung der Hardware sehr helfen würde. Eine energiebewusste Programmierung über Powermanagement und Virtualisierung hinaus müsste dafür sorgen, dass neue Software nicht mehr durch ständig höheren Rechen- und Speicherbedarf zum Ersatz noch funktionierender Hardware motiviert. Und nicht zuletzt müssten Unternehmen und Organisationen auf Thin-Client-Arbeitsplätze umsteigen und ihre Rechenzentren energieeffizient betreiben. Tun dies wenigstens die Hälfte, so könnte der Stromverbrauch der Rechenzentren in Deutschland bis 2013 um zehn Prozent gegenüber 2008 sinken, optimieren bis dahin 90 Prozent der Betreiber, sänke ihr Verbrauch sogar um 40 Prozent.

Allerdings führen keineswegs alle Ideen zur „intelligenten Nutzung“ von Computertechnik auch zwangsläufig zu Einsparungen, selbst wenn alle sie umsetzen: Während die vielzitierten Videokonferenzen zwar durchaus Reisen und damit sowohl Geld als auch Energie einsparen, haben auf der anderen Seite Webportale zwar die Fahrten zum Reisebüro drastisch reduziert, dafür aber den Boom der Billigflugangebote erst möglich gemacht. Telearbeit spart zwar den Weg zur Arbeit, aber dafür unternehmen die Mitarbeiter mehr in der gewonnenen Freizeit. Und es hilft natürlich, wenn jedes einzelne Gerät möglichst effizient hergestellt und betrieben wird – wenn aber dafür jeder statt einem mehrere gleichzeitig laufen lässt und diese in immer kürzeren Abständen durch neue Geräte ersetzt, bleibt auch von diesem Effekt nur wenig übrig.

Solche Rebound-Effekte machen die Anstrengungen natürlich keineswegs sinnlos, sondern bedeuten im Gegenteil, dass noch erheblich mehr innovative Ideen in die Technik einfließen müssen als bisher, damit sich ihr Gebrauch auf Dauer positiv auswirkt. Die bisherigen Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass sich ohne gesetzliche oder wirtschaftliche Zwänge grundsätzlich nicht viel bewegt. Auch bei der Tagung wollten sich die Redner nicht allein auf die Macht der Erkenntnis des gesellschaftlich Notwendigen verlassen und betonten wie der IBM-Deutschland-Chef und Bitkom-Vizepräsident Martin Jetter, dass Umweltschutz ein „lupenreines Businessthema“ sei.

Diese Betrachtungsweise hilft zwar immerhin dabei, das Thema Umweltschutz Herstellern wie Anwendern etwas näher zu bringen. Sie hat aber auch einen Pferdefuß, wie Graham Vickery von der OECD bei der Tagung zeigte: Zurzeit konzentrieren sich in Deutschland die meisten Initiativen von Regierung und Unternehmen auf den Energieverbrauch während der Nutzung der IKT selbst sowie die Entsorgung der Geräte. Das erste wird von den Energiekosten getrieben, das zweite von gesetzlichen Vorgaben. Die Initiativen zu den durch die IKT erreichbaren Effekten in anderen Branchen konzentrieren sich ebenfalls auf Energie und Klimaschutz und finden sich bislang eher bei den Regierungen als in der Wirtschaft – was kein Wunder ist, denn andere Branchen verdienen nicht automatisch am IKT-Einsatz, sondern müssen bei diesem Ansatz zunächst in neue Techniken investieren.

Die so dringend gewünschte Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch wird man so nicht erreichen. Bei der Tagung machte die Umweltorganisation Germanwatch ebenso wie das UBA-Papier deutlich, dass es auch mit dieser notwendigen Erweiterung von der Energie- zur Ressourceneffizienz noch nicht getan wäre: nach wie vor enthält Elektronik giftige Substanzen, wird der Elektronikschrott nur unvollständig und weltweit keineswegs überall umweltgerecht recycelt und auch die sozialen Standards bei den Arbeitsbedingungen in der IKT-Industrie lassen trotz der Aktivitäten von Unternehmensinitiativen wie der Global e-Sustainability Initiative (GeSI) und der Electronic Industry Citizenship Coalition (EICC) weltweit noch etliche Wünsche offen [2]. Der UBA-Bericht macht allerdings auch deutlich, dass dies nicht nur an den Unternehmen selbst liegt, da es „in der IKT durchaus schwierig werden könne, notwendige Mehrpreise an die Kunden weiterzugeben. Der starke Preiswettbewerb am Endverbrauchermarkt bringt die Unternehmen in das Dilemma, einerseits höhere Standards und andererseits niedrigere Kosten durchsetzen zu wollen.“

Literatur

[1] Informationen und Links zu Grüner IT

[2] Soenke Zehle, Kein Anschluss?, Green IT ist noch nicht Fair IT, c't 5/08, S.96 (anm)