Die ganze Welt in 4 KByte

Im Vorfeld sah es finster aus, doch zum Starttermin der weltweit größten Demo-Party schien in jeder Hinsicht die Sonne. In diesem Jahr versuchten die Wettbewerbsteilnehmer vor allem, in 4 KByte so viel Spaß wie möglich unterzubringen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Stefan Göhler
Inhaltsverzeichnis

Kurz schien es, als werde sich die Breakpoint in diesem Jahr vor allem durch Verzicht hervorheben (siehe Kasten „Party in der Krise“). Doch kurz vor dem Stichtag wurde aus der „Brokepoint“ doch noch eine richtige Demo-Party. Über die Osterfeiertage trafen in Bingen am Rhein knapp 1100 Besucher zusammen, um die neuesten Computer-Kunstwerke der Szene anzusehen und zu bewerten.

Thema der Breakpoint 2009 war der überhand nehmende Überwachungsstaat: „Everything is under control“. Schon die düstere Einladung spielte mit dem Konzept (Download-Links am Ende des Artikels); das Thema wurde am Veranstaltungsort konsequent weitergeführt. Das begann mit Installationen in der Halle, wo Dutzende nebeneinander montierte Überwachungskameras vor sich hinblinkten. Der Proxy-Server ersetzte beim Aufruf einiger Websites (darunter heise online und Google) die Firmenlogos durch das Motto der Veranstaltung. Als sich eine Compo verspätete, erklärten die Veranstalter stilecht über das Lautsprechersystem, der spätere Zeitpunkt sei von vornherein geplant gewesen – Grüße vom Ministerium für Wahrheit.

Demos haben ihren Ursprung in der Cracker-Szene aus den achtziger Jahren. Wenn Jugendliche kopiergeschützte Commodore-64-Spiele knackten, setzten sie einen selbst programmierten Intro-Screen mit ihrem Hacker-Alias davor. Diese Intros wurden immer aufwendiger: Bunte Textbildschirme wichen immer aufwendigeren Animationen mit Tonuntermalung, in denen man die eigene Leistung feierte und andere Cracker grüßte.

Schnell entwickelte sich die Intro zur Spielwiese für begabte Jungprogrammierer; mitunter waren die Vorspänne beeindruckender als das Spiel dahinter. Nach und nach nabelten sich die Intro-Programmierer von den Spielknackern ab, die relativ kurzen Intros verlängerten sich zu immer längeren und aufwendigeren Demos. Bald traf sich die Demo-Szene zu Partys, deren Teilnehmer in Demo-Wettbewerben (Compos) gegeneinander antraten, um ihr Können zu messen.

Geschickt programmierte Demos kitzeln das Letzte aus der Hardware – sei es ein C64, ein Amiga oder ein PC. Der Amiga hat es der Szene ganz besonders angetan – selbst heute erscheinen auf jeder Party neue Beiträge für die angegraute Hardware.

So zeigten die Loonies in ihrer 4k-Intro „Luminagia“ flüssige Voxelgrafik, die im Rhythmus der begleitenden Musik pulsiert (Platz 1). Beim Flug über eine erdfarbene Landschaft schießen erst synchron zur Melodie gleißende Lichtstrahlen aus dem Boden, schließlich bebt das ganze Gebirge im Takt.

Auch die diesjährigen Amiga-Demos gefielen. Sieger war der mit krachigem Punkrock unterlegte Beitrag „Jesus Christ Motocross“ von Nature und Traktor. Im schattierten Vektorlook saust dort die virtuelle Kamera durch Tunnel, Städte und in einen Abfluss; und ein bezahnter Riesenstiefel verletzt den Luftraum eines Passagierflugzeugs. Höhepunkt ist eine Hommage an den Science-Fiction-Film „Tron“, in dem Trekker statt virtuelle Motorräder um die Wette rasen.

Die interessantesten Beiträge bei den PC-Wettbewerben gingen in der Kategorie der 4k-Intros an den Start. Hier ist alles erlaubt, Hauptsache der Code überschreitet auf der Platte nicht die maximal erlaubte Dateigröße von 4 KByte.

Der Sieg ging an „Elevated“ von RGBA und TBC. Deren Intro beginnt mit eindrucksvollen Ansichten von schneebedeckten Berglandschaften und schwebt dann flüssig durch die Topographie. Sphärische Musik untermalt das die Sonne spiegelnde Wasser und Wälder. Um die Pracht in 4 KByte unterzubringen, setzten die Entwickler auf prozedurale DirectX-Shader. Selbst die Kamerafahrt wird hier von der GPU berechnet.

TBC kam bei „Untraceable“ sogar mit einem KByte aus: In diesem Klecks brachte der Entwickler in Quader aufgedröselte Bänder, pulsierende 3D-Fraktalanimationen und atmosphärische Musik unter (Platz 2). Der dritte Platz ging an „Sult“ von den Demo-Veteranen Loonies. Hier schlängeln sich unter anderem Quecksilberformen durchs Wasser, ein rotes Tentakel pulsiert in einem 3D-texturierten Tunnel und eine Landschaft liegt in Ketten. Insgesamt brachten die Entwickler in 4 KByte elf Szenen und satten Synthi-Sound unter.

Im Bereich „Animation/Video“ gewann die „Speichergurke“ – ein Werbespot für eine grüne NAS-Alternative, professionell mit branchentypischen Worthülsen garniert. Die gleiche Site kündigt auch die erste Frucht mit eingebautem Bittorrent-Client an („Leechi“).

Doch nicht alle Wettbewerbsbeiträge waren animiert: In der Kategorie „Freestyle Graphics“ tobten sich die Teilnehmer nach allen Regeln der digitalen Kunst aus. In der Wettbewerbskategorie „Handmade Graphics“ waren Collagen und Fotoelemente verboten – selbst wenn das Ergebnis aus dem Renderer kam. Erstplatzierter war das digitale Gemälde „Spring time is Breakpoint time, ahoy“, in dem drei angeheiterte Partygänger durch den Wald vor Bingen stapfen.

Ambitioniert gings in der Kategorie „Console/Real Wild“ zu. Das quaderförmige Effekt-Planetarium „Le Cube“ von Calodox, Drifters & TRSi hinterließ einen sehr imposanten Eindruck, obwohl die Installation auf der Bühne nach kurzer Zeit den Dienst aufgab. Das Publikum hatte Mitleid und hievte die Havarie dennoch auf den dritten Platz.

Der zweite Platz ging an die Office-Demo „Excelence“. Die Hacker der BraadworstenBrigade zweckentfremdeten Excel-Tabellenfelder als Pixel und generierten so diverse klassische Demo-Effekte mit VBA, darunter wabernde Plasmafelder, eine Laufschrift und sogar 3D-Animationen. Wie im Vorjahr siegte Linus „lft“ ˚Akesson, der für „Turbulence“ einem 32-Bit-Microcontroller beigebracht hatte, Retro-Effekte aus der Demo-Steinzeit wiederzugeben, gespeist aus einer 9-Volt-Blockbatterie.

Drei Beiträge waren auf die Handheld-Konsole Nintendo DS zugeschnitten, „Defc0n 0“ von Scarab nutzte die Bildschirmverteilung am besten. Moods Plateau zeigten sogar eine Demo auf dem KC85/4, einem Heimrechnersystem aus DDR-Zeiten.

Auf der Breakpoint werden traditionell auch die scene.org-Awards vergeben, quasi die Oscars der Demo-Szene. Gleich drei Preise gingen in diesem Jahr an Andromeda und Orb für die auf der NVision 2008 vorgestellte Demo „Stargazer“ (Demo, Soundtrack und Publikumsfavorit). Die Animation „HBC-00004: Field Trip“ von 1/2-Bit Cheese erhielt Preise für beste Animation und beste Regie.

Eine mit Computer-Freaks durchsetzte Veranstaltung wie die Breakpoint stellt extreme Anforderungen an die Vernetzung. Ein zehnköpfiges Team betreute gleich zwei Netze: eines für die Besucher und eines für die Organisatoren. Zur Koordination diente ein lokal gespiegeltes Wiki und ein auf Partys zugeschnittenes Verwaltungsprogramm.

Vier Access-Points reichten aus, um WLAN-Einwahlen abzudecken. Für den Kontakt nach draußen sorgten vier ADSL-Leitungen und zwei UMTS-Verbindungen mit HSUPA, was hohe Transferraten in beide Richtungen sicherte. Am Ende der Party waren mehr als 300 GByte durch die Leitungen geflossen. QoS (Quality of Service) sorgte dafür, dass der Live-Stream nach außen nicht abriss und der Code der gerade erst vorgestellten Releases flott auf die Breakpoint-Website gelangte.

Vor der Breakpoint 2009 hatte sich herumgesprochen, dass die Party-Macher nach sieben Jahren aufhören wollten. Als Veranstalter Simon Kissel dies nach der Preisverleihung erwähnte, bekniete das Publikum die Hauptverantwortlichen so lange, bis sie sich breitschlagen ließen: Auch 2010 will sich die Demo-Szene zu Ostern wieder in Bingen am Rhein zusammenfinden – mal sehen, ob es wieder so eine Zitterpartie wird wie in diesem Jahr.

www.ctmagazin.de/0910034

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Party in der Krise

Bis zuletzt hatten die Breakpoint-Organisatoren mit Problemen gekämpft: Intel und NVidia, die Hauptsponsoren der Vorjahre, verzichteten in diesem Jahr. Dank privater Spenden kam zumindest ausreichend Geld zusammen, um die Grundkosten zu decken. Als später noch ein Filmstudio und ein Online-Händler dazustießen, sicherte dies auch die Preisgelder. Kaum schienen die größten Hürden aus dem Weg geräumt, schoss die Stadtverwaltung quer: Sie verlangten plötzlich ein Mehrfaches der bisherigen Hallenmiete und Kaution – aufgrund angeblicher „schlechter Erfahrungen“ in der Vergangenheit. Erst einen Tag vor Beginn der Party hatten es die Veranstalter schriftlich, dass die Breakpoint 2009 tatsächlich steigen konnte. Nur die Seminare und zwei Musikauftritte mussten gestrichen werden.

Außen vor der Sporthalle sah es aus wie bei einer ganz normalen Party: mehrere Imbissbuden, auf den Rasen gefläzte junge Leute im Gespräch, einige Paare hatten sogar ihren Nachwuchs mitgebracht. In der schüsselförmigen Halle herrschte hingegen ein ganz anderes Klima: Computer soweit das Auge reicht; vor den Monitoren bleiche Geeks, die an den letzten Feinheiten ihrer Wettbewerbsbeiträge feilten.

Die Teilnehmer waren aus ganz Europa angereist, um dabei zu sein. Dass 200 Besucher mehr kamen als erwartet, hat selbst die Veranstalter überrascht. Einige der neuen Besucher waren durch NVision angelockt worden, Nvidias Demoparty vom Vorjahr. Die meisten Neulinge kamen zum Gucken. Ein schwedischer Teilnehmer kommentierte treffend: „Hier gibts zwei Arten von Leuten: Die einen sagen, das will ich machen; die anderen sagen, das kann ich nicht.“ Viele der Willigen stellten ihre Beiträge erst auf der Party fertig, einige begannen sogar erst vor Ort zu programmieren.

(ghi)