Merkel auf dem IT-Gipfel: Datenschutz darf Big Data nicht verhindern

Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt sich dafür ein, Prinzipien wie Zweckbindung und Datensparsamkeit im EU-Datenschutzrecht auszuhebeln. Es sei "existenziell notwendig", den entsprechenden Kompromiss zu erhalten.

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Angela Merkel auf dem IT-Gipfel

Bundeskanzlerin Angela Merkel

(Bild: Mario Behling, CC BY 2.0)

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Angela Merkel hat sich auf dem 9. IT-Gipfel in die Phalanx ihrer Kabinettskollegen eingereiht, die ein "neues Verständnis" von Datenschutz fordern. Europa dürfe sich "die Verwendung von Big Data" nicht selbst zerstören durch einen "falschen rechtlichen Rahmen", betonte die CDU-Politikerin am Donnerstag in Berlin. Es sei nun "existenziell notwendig", dass der im EU-Rat von den Mitgliedsstaaten festgezurrte Entwurf zur Datenschutzreform "im Parlament nicht zu sehr verwässert wird".

Zum 9. IT-Gipfel

Die EU-Länder haben sich im Juni nach jahrelangen Debatten dafür ausgesprochen, traditionelle Datenschutzprinzipien etwa zur Zweckbindung und zur Datensparsamkeit aufzuweichen. Diesen Kurs unterstützt Merkel nachdrücklich. Zuvor hatte sie Daten bereits als wichtigen Rohstoff des 21. Jahrhunderts bezeichnet und unterstrichen, dass der Datenschutz "nicht die Oberhand" gewinnen dürfe.

Die Digitalisierung muss laut der Kanzlerin "tief in die Breite der Wirtschaft" gehen, also auch in den Mittelstand und die gesamte Palette der Zulieferindustrie eindringen. "Wenn wir hier vorne sind", sei dies auch eine gute Wettbewerbsansage für weitere einschlägige Prozesse in den Bereichen von IT-Diensten und -Produkten. Deutschland müsse weiter zu den "Champions der Wertschöpfung" gehören, dürfe nicht zur "verlängerten Werkbank" werden.

Im Bereich Mobilität komme die Vernetzung nicht zuletzt wegen der neuen Teststrecke auf der A9 gut voran, freute sich Merkel. Die Lacher hatte sie auf ihrer Seite mit dem Bonmot, dass mit verbesserten Assistenzsystemen im Auto "der Fahrer zur Assistenz wird". Auch beim künftigen Mobilfunkstandard 5G sei Deutschland "gut dabei". Die Reaktionszeiten des Netzes dürften hier bald "eher schneller sein als die des Menschen". Die Kanzlerin kündigte zudem an, dass die Bundesregierung bald ihr Ziel, bis 2018 alle Haushalte mit mindestens 50 MBit/s zu versorgen, für die Zukunft höher neu festschreiben will.

Den Telekommunikationsmarkt in der EU bewertete die Christdemokratin als "fragmentiert". Sie plädierte daher für eine "lautlose Umsteuerung" bei der Regulierung. Dies dürfte Telekom-Chef Timotheus Höttges entgegenkommen, der seit Langem lockere Zügel für Konzerne in seiner Branche fordert, um mit Konkurrenten in den USA und Asien mithalten zu können.

Thorsten Dirks, Präsident des Digitalverbands Bitkom, sprach angesichts der Pariser Anschläge von der Herausforderung, "unsere Freiheit und unser Wertesystem zu verteidigen". Erhalten werden müsse eine Gesellschaft, die sich auf Offenheit und Transparenz stütze. Einem "omnipräsenten Sicherheitsapparat" erteilte Dirks eine Absage. Es müsse aber auch im Digitalbereich gehandelt werden. Wenn sich Terroristen im Netz bewegten, "müssen wir sie dort packen können".

Dem Rückstand des Mittelstands im Netz will Dirks mit "digitalen Ökosystemen" in Form von "Hubs" entgegenwirken. Diese sollten der digitaler Transformation "ein Zentrum geben". Es solle sich um Orte handeln, "an denen sich die digitale Avantgarde versammelt".

Merkel unterstützte diese Idee, da einschlägige "Cluster" offenbar schon zu statisch seien. Insgesamt habe sich der "kooperative Ansatz" zwischen Politik und Wirtschaft, für den auch der IT-Gipfel stehe, bewährt: "Das gemeinsames Beschreiten von Neuland macht Spaß." Die Kanzlerin verriet, dass sich die nächsten großen Digitaltreffen schon in trockenen Tüchern befänden und nächstes Jahr in Saarbrücken, 2017 in Rheinland-Pfalz stattfinden sollen.

EU-Digitalkommissar Günther Oettinger sprach sich angesichts der fortschreitenden Digitalisierung für eine breitere Informatik-Ausbildung aus. Der CDU-Politiker forderte auf dem Gipfel "zwei Semester IT – für jedes Berufsbild". Das helfe der Karriere und der Kompetenz. Nach Ansicht Oettingers nimmt die Informatik künftig eine ähnlich relevante Rolle ein wie bislang die Betriebswirtschaft. Der EU-Rat werde im Dezember über eine Stärkung der IT-Ausbildung beraten.

Auch ein kleiner Geldregen ist mit dem Gipfelprozess verbunden. Das federführende Bundeswirtschaftsministerium hat in diesem Rahmen das Förderprogramm "Digitale Technologien für die Wirtschaft" gestartet, das mit 50 Millionen Euro ausgestattet ist. Es soll Unternehmen dabei unterstützen, kreative Ideen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse beispielsweise mit Blick auf industrielle 3D-Applikationen, Service-Robotik und echtzeitfähige Kommunikation besser und schneller anwendbar zu machen. (mho)