Hate Speech. Hassrede. Und freie Meinungsäußerung ... ein Kommentar.

Hassrede in Social Media und offenen Foren nimmt zu. So stark, dass selbst Hartgesottene überrascht sind. Das Strafrecht ist aber keine Lösung. Meinungsfreiheit beginnt eigentlich erst da, wo sie unbequem wird, wo sie weh tut, kommentiert Jürgen Kuri.

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Hate Speech. Hassrede. Und freie Meinungsäußerung ... ein Kommentar.
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jürgen Kuri
Inhaltsverzeichnis

Ein seltsam Ding ist das, diese Meinungsfreiheit. Und sie wird immer seltsamer, zumindest, wenn man einigen Leuten zuhört, die sich erst in letzter Zeit öffentlich äußern. "Das wird man doch nochmal sagen dürfen"? Aber anscheinend nicht, wenn's nicht die eigene Meinung ist. Meinungsfreiheit als Freiheit allein für die eigene Meinung? Offensichtlich: Andere Meinungen niederbrüllen; über die "Lügenpresse" schimpfen, die dichtgemacht gehört.

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Zum Thema Online-Hass und Hate Speech siehe in der c't:

Und diese eigene Meinung, die nach der Frage nach dem Sagendürfen kommt, ist immer öfter Hate Speech. Hassrede. Ist das noch Meinungsfreiheit, gibt es so viel Meinungsfreiheit? Eigentlich schon: Denn Meinungsfreiheit beginnt doch erst da, wo sie weh tut. Wo die Äußerungen unbequem werden, nicht den eigenen Ansichten entsprechen. Probleme mit der Meinungsfreiheit löst man nicht mit weniger, sondern mit mehr Meinungsfreiheit.

Also alles zulassen, egal, wer da was spricht? Keineswegs. Manchmal erschreckt es auch den Hartgesottensten, wie viel Hass sich in Kommentare, Social Media, Foren ergießt. Nazis? Die kennt man, um die geht es eigentlich gar nicht. Es sind die PegidistInnen und die Maskulinisten, die Identitären, Reichsdeutschen und Antifeministen, die "Das wird man doch noch mal sagen dürfen"-BürgerInnen und die Verschwörungstheoretiker, die mit Rassismus, Menschenverachtung, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Sexismus eine krude Hassblase erzeugen und im Endeffekt alle aus derselben Höhle gekrochen scheinen. Menschen in einer Stimmungs- und Meinungslage, die nur wenig verhohlen oder ganz offen geäußert ein reaktionäres Menschenbild predigen, alles was dem nicht entspricht mit Hass verfolgen und damit die Foren fluten.

Ein Kommentar von Jürgen Kuri

Jürgen Kuri ist seit 1996 bei c't und mittlerweile stellv. Chefredakteur von c't/heise online. Er gräbt sich gerne in die Untiefen von Vernetzung und Digitalisierung und deren gesellschaftlichen Implikationen.

Nie hätte ich gedacht, dass solche Leute mich zwingen könnten, mal ein Forum auf heise online zu schließen, weil die Kommentare - Meinungsfreiheit hin, offenes Forum her - nicht mehr zu ertragen waren. Oder dass ein Aufruf gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit im Forum notwendig wäre. Und dies trotz aller Selbstregulierung in den Foren, in denen die Spinner, die mit rassistischen und sexistischen Äußerungen um sich schlagen, von den Usern selbst immer wieder zurechtgewiesen werden.

Ich bin es gewohnt, dass die Foren-User sich manchmal recht hart gegenseitig verbal an die Wäsche gehen. Und das kennt man auch aus den Sozialen Netzwerken. Diese Flut von Hass überrascht aber.

Es gibt keine rechtliche Lösung, die alle Probleme mit der Meinungsfreiheit eindämmt. Natürlich kommt der wohlfeile Reflex, auf die Plattformen loszugehen, die möglicherweise strafrechtlich relevante Äußerungen ermöglichen. Der wird aber nicht dadurch besser, dass er von einem sozialdemokratischen Bundesjustizminister kommt. Facebook hat ein strafrechtliches Problem, keine Frage – aber steht eben auch vor einem grundlegenden politischen Dilemma, das die gesamte Gesellschaft betrifft.

Viele Leute aus den sozialdemokratischen, linken und linksradikalen Ecken, die gerne in blindem Dirigismus Hate Speech gemeinsam mit der Meinungsfreiheit in den Orkus befördern, sollten sich die zielgenaue Anmerkung Rosa Luxemburgs in Gänze zu Gemüte führen: "Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden. Nicht wegen des Fanatismus der 'Gerechtigkeit', sondern weil all das Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die 'Freiheit' zum Privilegium wird."

Eben. Und mit Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler an der FU Berlin, muss man auch die Reflexe gegen Social Media kommentieren: "Die Hassrede ist keine Konsequenz der sozialen Netze, sondern die sozialen Netze liefern ihr nur einen bequemen Weg von den Stammtischen direkt in die Öffentlichkeit. Sie sind eine Plattform, auf der sich Menschen begegnen, die einander sonst nie begegnen würden. Der unkontrollierbare Wildwuchs von Hassrede ist einer der Gründe, warum man bei aller Begeisterung für das Potenzial dieser Begegnungen daran zweifeln muss, dass wir als Gesellschaft schon reif für dieses Potenzial sind."

Deshalb bleibt es dabei: Probleme mit der Meinungsfreiheit löst man keinesfalls mit weniger Meinungsfreiheit. Aber auch nicht mit dem Zwang, jede Meinung einfach hinnehmen zu müssen.

Deshalb bleibt es auch dabei: Dieses wertvolle und, ja, schöne Gut Meinungsfreiheit, diese Grundbedingung der politischen Freiheit, den Angst-Predigern und Hass-Schreihälsen überlassen? Die meinen, sie seien die Mehrheit, weil sie am lautesten schreien? Niemals. Wir können Euch gerne dabei helfen, die Mauern in Euren Köpfen einzureißen, die verhindern, dass Eure Gedanken und Euer Leben frei und weltoffen sind: Lernt mal das richtige, bunte Leben kennen. Ansonsten: Verpisst Euch. Wir brauchen Euch nicht. Nicht in Deutschland. Nicht in Europa. Nirgends auf der Welt. (jk)