Bitcoin: Von Punk zu Bank

Die Anarcho-Währung Bitcoin war als Frontalangriff auf das Bankensystem gedacht. Nun könnte sie sich tatsächlich daranmachen, den Finanzmarkt zu revolutionieren

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Die Anarcho-Währung Bitcoin war als Frontalangriff auf das Bankensystem gedacht. Nun könnte sie sich tatsächlich daranmachen, den Finanzmarkt zu revolutionieren – wenn auch ganz anders als geplant. Eine Geschichte über Glücksritter, Finanzjongleure – und die Zukunft des Geldes.

Dies ist eine Geschichte von mysteriösen Start-ups ohne Adresse, von selbst gedrucktem Geld, von einem 21-Jährigen Mathegenie, das die Banken auf den Kopf stellen will, von einem Gründer, der sein Smartphone trägt wie die Cops in Krimis ihre Pistole – und von Geldgebern, die Millionen zahlen, um in dieser Szene dabei zu sein. Dies ist eine Geschichte über Bitcoin und darüber, wie eine oft tot geglaubte Idee das Finanzsystem verändern könnte.

Fangen wir am besten bei Blockstream an: Die Liste der Investoren liest sich wie ein Who's who des Silicon Valleys: Reid Hoffman und Max Levchin (PayPal; LinkedIn, Yelp), Vinod Khosla und Eric Schmidt (Sun Microsystems; Google), Jerry Yang (Yahoo) und Ray Ozzie (Lotus Notes, Microsoft) sowie der ehemalige Karstadt-Abenteurer Nicolas Berggruen. Sie legten opulente 21 Millionen Dollar Startkapital zusammen. Doch wo genau der Firmensitz ist, lässt sich kaum herausfinden. Spuren führen nach Montreal, enden dort aber in einer Anwaltskanzlei und einer UPS-Filiale. Existiert das Start-up nur in der Cloud, als lose Kooperation verstreuter Einzelgänger?

Das würde passen. Blockstream speichert Geschäftsvorgänge mit einer auf Bitcoin aufsetzenden Technik. Und in der Bitcoin-Szene sind Freiheit, Dezentralität und Anonymität Fixpunkte im Wertesystem. Selbst über den Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto ist praktisch nichts bekannt. Gewiss ist nur, dass er ein völlig neues Geldsystem schaffen wollte. Unmittelbar nach dem Crash der Investmentbank Lehman Brothers stellte er die Idee für ein offenes Peer-to-Peer-Netz online, dessen Teilnehmer sich neue "Münzen" verdienen können, indem sie sich gegenseitig auf die Finger schauen. Die Idee faszinierte Netzaktivisten verschiedenster Couleur – von libertären Hardlinern über Occupy-Autonome und Cypherpunks bis zu Verschwörungstheoretikern. Nakamotos Prinzip hieß "trustlessness": Traue keinen Menschen oder Institutionen, sondern nur Open-Source-Algorithmen und der Crowd. Damit war theoretisch der Weg frei für eine globale Währung unter Umgehung der Banken, die sich damals in eine tiefe Vertrauenskrise manövriert hatten.

Nun sind die Geldinstitute allerdings dabei, den Spieß umzudrehen: Sie reizt nicht so sehr das Kunstgeld an sich, sondern das dahinterliegende "Blockchain"-Prinzip – ein dezentrales Kassenbuch aus einer endlosen Kette von Datenblöcken. Da sie nicht nur Einnahmen und Ausgaben protokollieren können, sondern jeden beliebigen Geschäftsvorgang, eignen sie sich als Universalwerkzeug für Finanzdienstleistungen und Beurkundungen aller Art. So sondieren bereits Deutsche Bank, UBS, ABN Amro und Citibank die Chancen und Risiken. Mitte September gaben neun der weltgrößten Banken die Gründung einer Partnerschaft bekannt, um einheitliche Protokolle und Industriestandards für Blockchain-basiertes Banking zu entwickeln – darunter Barclays, Credit Suisse und JPMorgan. Bitcoins als Währung mögen seit ihrem Allzeithoch mehr als 80 Prozent an Wert verloren haben – die Firmen, die sich der Bitcoin-Technologie bedienen, bekamen allein 2015 mehr als 400 Millionen Dollar an Risikokapital.

"Die Blockchain ist die entscheidende Innovation", bestätigt Matthias Kröner. Der Chef der kleinen Münchner Fidor Bank hat sich ei-nen Namen als innovationsfreudiger Banker gemacht. Gemeinsam mit der Herforder Bitcoin Deutschland GmbH bietet er seinen Kunden den An- und Verkauf der Kryptowährung an. Gleichzeitig ist Fidor deutscher Pilotkunde des Blockchain-Spezialisten Ripple Labs.

Ohne Bank, aber mit 300000 Euro Wagniskapital will das Start-up Pey "normalen" Menschen das Bezahlen per Bitcoin schmackhaft machen. Der Gründer Ricardo Ferrer Rivero stammt aus Venezuela, hat lange in den USA gelebt und schon mehrere Firmen aus der Taufe gehoben. Er trägt Schulterholster wie die Cops in US-Krimis. Unter der linken Achsel steckt sein Smartphone, rechts sein ungeliebtes Portemonnaie. "Bargeld hat mich immer schon genervt", sagt Rivero. Also will er es abschaffen. Bisherige Versuche scheiterten an den vielen kleinen Händlern, die nicht einmal Kreditkarten nehmen. Weil bis zu acht Intermediäre an jeder Zahlung mitverdienen, lohnen sich die Gebühren plus Miete fürs Terminal nicht.

Hauptquartier von Pey ist der "Edelstall", ein loftiger Coworking-Space in Hannovers Szene-Stadtteil Linden. Per 3D-Drucker haben die vier Gründer ein Kassenterminal gebaut – eine kleine Docking-Station für Nexus-Handys. Tippt der Händler den Betrag ein, erscheint ein QR-Code. Der Kunde scannt ihn mit der Pey-App und bestätigt die Zahlung. Dann stellt die App automatisch die Verbindung zur Tauschbörse Bitpay her, die dem Händler sofort den Gegenwert in Euro aufs Bankkonto überweist. Das Ganze funktioniert auch mit Bluetooth und NFC statt mit QR-Code. Um die Sache ins Rollen zu bringen, beackern die Gründer die Läden und Kneipen der unmittelbaren Nachbarschaft – mit persönlichen Gesprächen, Bitcoin-Verschenkaktionen, T-Shirts, Plakaten, Social-Media-Kampagnen. Doch den größten Anschub versprechen sich die Gründer davon, Arbeitnehmer dazu zu bringen, sich einen Teil des Lohns in Bitcoins auszahlen zu lassen. Bis zu 44 Euro ist das nämlich steuerfrei.

Die Händler müssen für den Dienst noch nichts bezahlen. Erst wenn sich die Transaktionen häufen, möchte Pey mitverdienen. Bitcoin ist dabei nur Mittel zum Zweck. "Die Bitcoin-Community versucht sich von Banken freizuhalten", sagt Rivero, sieht aber ein: "Nur auf Krypto-Währungen zu setzen ist utopisch." Rund 50 Geschäfte und Dienstleister sind derzeit Teil des Lindener "Bitcoin-Boulevards".

Sollten Bitcoins tatsächlich als alltägliches Zahlungsmittel durchstarten, warten die nächsten Probleme: Die Geldmenge ist auf 21 Millionen Bitcoins begrenzt. Davon sind bereits 14 Millionen im Umlauf. Und das System schafft nur sieben Transaktionen pro Sekunde, denn es produziert nur alle zehn Minuten einen 1-Megabyte-Block. Zum Vergleich: Kreditkartensysteme bewältigen eine fünfstellige Zahl an Buchungen pro Sekunde.

Hinzu kommen die Transaktionskosten. Das Bitcoin-Rechnernetz verbraucht so viel Strom, dass derzeit auf jede Transaktion mehr als fünf Euro an versteckten Kosten entfallen. Laut blockchain.info sind Werte über zehn Dollar keine Seltenheit.

Der Grund für diese Ineffizienz liegt just in jedem Grundgedanken, der Bitcoin für viele so attraktiv gemacht hat: in der "vertrauenslosen" Sicherheitsarchitektur, die keinen Verantwortlichen kennt. An deren Stelle stehen aufwendige kryptografische Berechnungen. Und um die Geldmenge nicht zu schnell ansteigen zu lassen, wird jede Transaktion noch mit einer Rechenaufgabe ("Proof of work") garniert, deren Schwierigkeitsgrad laufend mit der zur Verfügung stehenden Rechenleistung steigt. Das sollte ursprünglich dazu dienen, niemanden zu mächtig werden zu lassen. Doch Privatleute sind bei diesem Rüstungswettlauf längst aus dem Spiel. Knapp drei Viertel der Bitcoin-Produktion stammen heute von fünf großen "Mining-Pools". Vier von ihnen befinden sich in China, oft in entlegenen Gegenden, wo es kühl und der Strom günstig ist.

Diesen Sommer begann der Versuch, das Kryptogeld aus diesen Fallen zu befreien. Gavin Andresen, Bitcoiner der ersten Stunde, hob Bitcoin XT aus der Taufe. Aber das Projekt droht am Streit in der Gemeinde zu scheitern.

Die Finanzriesen braucht so etwas nur bedingt zu kümmern. Für die Banken ist die Original-Bitcoinkette vor allem ein Proof-of-Concept – mit einer herrlich ironischen Pointe: So stehen Talente aus der kommerzkritischen Open-Source-Subkultur, die gestern noch die Banken abschaffen wollten, heute unverhofft am Scheideweg zwischen Punk und Profit, zwischen Prinzip und Pragmatismus. Der Jobmarkt jedenfalls brummt. Oliver Bussmann, Chief Information Officer der Schweizer Großbank UBS, sprach gegenüber Bloomberg-Reportern von mehr als 100 Firmen, die an der Weiterentwicklung des Blockchain-Konzepts arbeiteten.