Bitcoin: Von Punk zu Bank

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Es war die Zeit, als Bitcoin bekannt wurde und rasch Amerikas Libertarians verzückte. Auch Gevers, der sich schon früher für digitales Geld interessiert hatte, wurde neugierig. Gemeinsam mit einem amerikanischen Softwareentwickler konzipierte er die auf Bitcoin aufsetzende Monetas-Software. Der Prototyp funktionierte, doch der Kaufmann in Gevers wusste, dass das Ergebnis weit weg war von einem Produkt, das er seiner Zielgruppe hätte verkaufen können: Banken, die mit neuen Dienstleistungen neue Kunden ansprechen wollen. Eigentlich sieht der Monetas-Gründer – ganz im Einklang mit der Bitcoin-Szene – Geldinstitute umso kritischer, je größer sie sind. "Das Finanzsystem ist zu zentralisiert", erklärt er in seiner unaufgeregten Art. "In einem dezentralen System ist das so: Wenn der Einzelne einen Fehler macht, hat er Pech. Aber nicht alle anderen."

Als Pragmatiker und bekennender Anhänger des Kapitalismus sagt er allerdings nicht Nein, wenn er seine Software an Großbanken verkaufen kann, die damit ihrerseits Menschen in armen Ländern erschwinglichere Überweisungsdienste anbieten können. Deshalb engagierte er erfahrene Softwareingenieure, die den Code von Grund auf neu schrieben. Inzwischen hat die Vermarktung begonnen, und Monetas könnte eine der ersten kommerziellen Blockchain-Anwendungen werden.

Das Prinzip basiert auf "Colored Coins". Das "Färben" verwandelt Bitcoins oder Bruchteile davon in "Tokens", also Wertmarken, die Gegenstände oder Ansprüche in der realen Welt repräsentieren – etwa ein Guthaben in irgendeiner anderen Währung oder ein Auto. Das widerspricht zwar der reinen Lehre. Aber während das Risiko bei Bitcoin-Transfers allein beim Endverbraucher liegt, verlagert es sich in dieser Form auf den Betreiber. Dieser muss freilich, wie in der Prä-Bitcoin-Ära, um das Vertrauen seiner Kunden werben. Sollte das Bitcoin-System jedoch kollabieren, hinge auch Monetas in der Luft.

Bei Ripple Labs kann so etwas nicht passieren. Das Unternehmen ist der Branchenpionier schlechthin und wird den "Agnostics" zugerechnet. Sprich: Es hat mit der Ideologie der Bitcoin-Szene nichts am Hut. Die 100 Mitarbeiter sitzen im Finanzdistrikt von San Francisco und haben sich darauf spezialisiert, die IT der bestehenden Banken mithilfe der Blockchain-Technologie auf Trab zu bringen. Es gibt kein langsames, energieverschwendendes Proof-of-work, denn die Netzknoten werden von bekannten Partnern betrieben, die einander trauen. Deshalb benötigt es auch kein Münzen-Mining. Die "XRP" genannten Coins dienen lediglich dazu, pro Transaktion eine kleine Bearbeitungsgebühr zu erheben. Im Devisengeschäft ersetzen sie den Dollar als Brückenwährung zwischen "illiquiden" Währungspaaren, die wegen eines zu geringen Handelsvolumens nicht zu einem fairen Kurs direkt umgetauscht werden können.

Ripples deutscher Referenzkunde ist die Fidor Bank. Auf die Frage, ob die Zusammenarbeit für ihn schon mehr sei als ein Experiment, antwortet Vorstandschef Matthias Kröner in einer E-Mail ausweichend: "Ripple hilft Banken, Auslandsüberweisungen in Echtzeit zu günstigen Kosten anzubieten. Wir halten Ripple für eine spannende Innovation, die sich jede Bank ansehen sollte." Seine Kollegen in den großen Häusern sehen das offenbar ähnlich. ABN Amro, Citibank, Deutsche Bank und UBS wagen sich zwar noch nicht an Pilotprojekte, aber ihre Informatiker und Juristen verfolgen die Blockchain-Szene genau.

Eine der entscheidenden Fragen ist eher rechtlicher als technischer Natur: Wenn der Münzbesitzer seinen privaten Schlüssel (ein sehr langes Passwort) verliert oder ihm das Handy mit Wallet-App gestohlen wird, ist das Geld ohne ein Backup unwiederbringlich weg. Das darf bei einer Blockchain, an der die Eigentumsrechte an Häusern, Autos, Aktien oder Kunstwerken hängen, nicht passieren. Und eine Blockchain, die nur eine Kopie des Grundbuchs, Kfz-Registers oder Echtheitszertifikats wäre, bringt wenig Nutzen. An einem Ausweg aus diesem Grunddilemma arbeiten nach eigenem Bekunden viele Start-ups. Eine Lösung ist allerdings noch nicht auf dem Markt.

Worin allerdings tatsächlicher Nutzen bestehen könnte, verriet sein Kollege Matthijs Geneste von der ABN Amro Clearing Bank: Vielleicht könnten Banken eines Tages normale Währungen wie den Euro an die Blockkette legen – natürlich unter den Fittichen der jeweiligen Zentralbank. Das könnte beispielsweise den internationalen Geldtransfer vereinfachen und günstiger machen. Wenn es so weit kommen sollte, hätte Satoshi Nakamoto mit seiner Technik das etablierte Bankensystem eher gestärkt denn überflüssig gemacht – das glatte Gegenteil von dem, was er erreichen wollte. (grh)