32C3: Dieselgate und die omninöse Akustik-Funktion

Kann die Manipulation der Abgaswerte bei Volkswagen wirklich das Werk einzelner Ingenieure sein? Auf dem CCC-Congress erteilten ein Insider und ein Hacker dieser Legende eine Absage.

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32C3: Dieselgate und die omninöse Akustik-Funktion
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Während die Abgasaffäre schwelt und noch nicht klar ist, wie teuer die Manipulation der Software zur Motorsteuerung für den Konzern Volkswagen werden wird, bemüht sich die Konzernspitze um Schadensbegrenzung. So hatte der Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch Anfang Dezember noch verkündet, dass wahrscheinlich nur eine "überschaubare Zahl an Mitarbeitern aktiv zu den Manipulationen beigetragen" habe.

Felix Domke nahm seinen eigenen Volkswagen unter die Lupe und
disassemblierte die Firmware der Motorsteuerung.

(Bild: T. Kleinz)

Statt auf die Veröffentlichungen von immer neuen Details zu warten, wollte Felix Domke die Manipulation an der Quelle nachvollziehen. Passenderweise besitzt Domke einen betroffenen Volkswagen Sharan, den er auf einem Prüfstand unter die Lupe nahm. "Wir sind Hacker und wir kennen uns mit Code aus", erklärte Domke. "Im Code liegt die Wahrheit."

Um an die Software der Motorsteuerung gelangen, ersteigerte er sich eine Electronic Control Unit (ECU) bei Ebay. Deren Firmware konnte er über eine Lücke auslesen und anschließend disassemblieren. Der erste Blick auf den Code zeigte ihm direkt, dass er es nicht mit dem üblichen Spaghetti-Code zu tun hatte. "Es war als hätte jemand Schaltbilder in Code umgesetzt". Die Software sei enorm komplex. Alleine um den Drehzahlmesser zu steuern sei 12 Kilobyte enorm dichter Code erforderlich.

Der für "Dieselgate" verantwortliche Part liegt in der Software, die steuert, wie viel von dem Reduktionsmittel AdBlue eingespritzt werden soll. Domke entdeckte zwei verschiedene Modi: Den normalen Modus und einen alternativen Modus, der eigentlich nur in eng gefassten Grenzbereichen laufen soll, wenn Motortemperatur oder andere Bedingungen die Abgasreinigung ineffektiv machen. Hier werden wesentlich geringere Mengen von AdBlue eingespritzt, um die Entstehung noch schädlicherer Giftstoffe zu verhindern. Durch Tests und das Auslesen der ODB-Schnittstelle mit seinem Auto erkannte Domke, dass sein Wagen nur selten im normalen, sondern fast immer im alternativen Modus fuhr, der einen wesentlich höheren Ausstoß von Stickoxiden verursachte.

Ein näherer Blick in den Code brachte den Sicherheitsforscher auf die Spur eines vorgeblichen Akustikprogramms, das in die AdBlue-Dosierung eingriff. Dieses definierte exakt die offiziell vorgeschriebenen Bedingungen eines Abgastests: von der Starttemperatur bis zu den praxisfernen Fahrzyklen.

Im Teststand bestätigte Domke diesen Fund. Hier simulierte er mit seinem Volkswagen Sharan die Bedingungen des offiziellen Abgastests und schaffte es so, seinen Volkswagen im schadstoffarmen Modus zu halten. Als er jedoch schließlich vom offiziellen Prüfprotokoll abwich und mit einer konstanten Geschwindigkeit weiterfuhr, brach das Programm ab und versetzte den Motor wieder in den alternativen Modus. "Der Wagen hörte sofort auf, AdBlue einzuspritzen", erklärte Domke. Zwar warnte er davor, seine Ergebnisse als endgültigen Beweis zu sehen, doch das von ihm entdeckte Verhalten der Motorensteuerung decke sich mit den bisherigen Presseerklärungen von Volkswagen.

Kann ein solch komplexes Programm gänzlich ohne Wissen des Managements den Weg in die Motorsteuerung gelangt sein? Daniel Lange, einst selbst bei BMW für die IT-Strategie zuständig, bezweifelte das in seinem Vortrag entschieden. So sei die Programmierung der ECUs ein überaus zentralisierter Prozess, bei dem jede einzelne Funktion im Voraus detailliert beschrieben und vom Management genehmigt werde. "Dies ist die am besten getestete Software, mit der Ihr je zu tun haben werdet", erklärte Lange.

Das Erreichen von Emissions-Standards sei ein Optimierungs-Problem, das sich in den letzten Jahren immer weiter hochgeschaukelt habe. Bei den offiziellen Tests nutzen die Hersteller jede Lücke in den Testspezifikationen, um bessere Abgaswerte zu erzielen. Da zum Beispiel nicht vorgeschrieben sei, mit welchen Reifen gemessen wird, würden die Reifen des Testautos besonders stark aufgepumpt, um den Verbrauch zu senken. Gleichzeitig klebten die Testingenieure jede Öffnung der Karosserie ab, um den Luftwiderstand zu vermindern. Sogar der rechte Außenspiegel werde abmontiert, da der gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. "Tricks sind bei solchen Tests sehr üblich", sagte Lange. Dass die so gemessenen Werte nichts mehr mit den in der Praxis erzielten Werten zu tun gehabt haben, sei jedem klar gewesen. (ur)