Das große Krabbeln

Der Hunger nach Neuigkeiten ist groß in der Welt. Und Informationen waren in keiner Zeit so zugänglich wie heute – gerade im Internet. Doch in der Vielfalt der schier überbordenden Wissensflut geht Randständiges bisweilen unter.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Der Hunger nach Neuigkeiten ist groß in der Welt. Und Informationen waren in keiner Zeit so zugänglich wie heute – gerade im Internet. Doch in der Vielfalt der schier überbordenden Wissensflut geht Randständiges bisweilen unter.

Die Natur beispielsweise. Daher gilt es, den Fokus der Öffentlichkeit immer wieder ein wenig auf sie zu lenken. So ernennt die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild seit 1992 ein Tier des Jahres. Diesmal fiel die Wahl erneut (wie schon 1996 – und ist das nicht ein Armutszeugnis?) auf den bedrohten Feldhamster. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und sein bayerischer Partner, der Landesbund für Vogelschutz (LBV), halten mit dem Stieglitz, dem Distelfink, den sie zum Vogel des Jahres 2016 kürten, dagegen. Auch sein Lebensraum wird enger. Zum Lurch des Jahres machte die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) den Feuersalamander, der zwar nicht in der Existenz bedroht sei, dessen Bestände aber vielerorts gefährlich zurückgingen. Nicht ganz so dramatisch ist es beim Hecht, der zum Fisch des Jahres 2016 ausgerufen wurde. Auch hier wird indes die Zerstörung der Laichgebiete beklagt. Lauter schlechte Nachrichten also zum Jahresbeginn: überall in ihrer Existenz bedrohte Kreaturen.

Da stellt das Insekt des Jahres, das seit 1999 von einem Kuratorium aus namhaften Insektenkundlern und Institutionen gekürt wird, eine unerwartete Lichtgestalt dar. Dem Gremium geht es darum, das Image dieser weltweit artenreichsten Tiergruppe aufzuwerten. Von den 1,65 Millionen bislang beschriebenen Tierarten zählen knapp 1 Million zu den Insekten.

Nur etwa vier Millimeter misst indes der Dunkelbraune Kugelspringer (Allacma fusca), der 2016 im Rampenlicht steht. Dieser Winzling, von dem bis zu 200 000 Exemplare unter nur einem Quadratmeter Boden leben können, sorgt im Wald dafür, dass abgestorbene organische Substanz abgebaut und zerlegt wird. Ein guter Geist von unscheinbarem Äußeren. Daran ändert weder seine spärliche, stachelige Behaarung etwas noch seine Sprunggabel, die ihn bei Gefahr einen Salto vorwärts oder rückwärts schlagen lässt, bis er sich mit seinen Übungen in Sicherheit gebracht hat.

Aber es macht viel mehr Spaß unter dem Motto "Das große Krabbeln", einmal in der Natur auf die Pirsch nach diesen emsigen kleinen Wesen zu gehen, als sich erneut mit der deprimierenden Ausrottung des Feldhamsters durch die moderne Landwirtschaft zu beschäftigen. Denn bei manchen Problemen fühlt sich der einzelne ähnlich winzig und unbedeutend wie der kleine Dunkelbraune Kugelspringer. Da tut es gut zu wissen, dass man – auch wenn man vielleicht auf einem absterbenden Ast sitzt –, beiliebe nicht allein ist. Auch die Menschheit stellt ein großes Volk. Das hat etwas Beruhigendes. Nur das mit dem Salto rückwärts wird den meisten von uns schwer fallen. (inwu)