Küsse von Mutti und Satire

Ein Fake-Paper im Journal of Evaluation in Clinical Practice sorgte für Aufsehen. Hätte es als Satire gekennzeichnet sein sollen, wie einige Kritiker es forderten?

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Ein Fake-Paper im Journal of Evaluation in Clinical Practice sorgte für Aufsehen. Hätte es als Satire gekennzeichnet sein sollen, wie einige Kritiker es forderten?

Dass ein satirischer Beitrag für tatsächliche Berichterstattung gehalten wird, ist nicht ungewöhnlich. Doch die medizinische Fachzeitschrift Journal of Evaluation in Clinical Practice zog mit der Veröffentlichung einer vermeintlich seriösen Studie einigen Unmut auf sich. Während viele der Leser und User in sozialen Netzwerken den Ton des Artikels aufgriffen, warfen andere Kommentatoren dem Verfasser sowie der Zeitschrift Irreführung vor.

Unter dem Pseudonym "The Study of Maternal and Child Kissing (SMACK) Working Group" schildert der Verfasser Mark Tonelli von der University of Washington, Seattle eine Untersuchung zur Wirksamkeit von mütterlichen Küssen bei kleinen Verletzungen ihrer Kinder. An ambulanten Forschungskliniken im kanadischen Ottawa will er in einer randomisierten kontrollierten Studie 943 Kleinkinder beobachtet haben. In Test-Szenarien wurden die Kinder etwa mit einem Stück Schokolade unter eine Tischkante gelockt, damit sie sich dort den Kopf stoßen, oder ihr Spielzeug wurde auf einer Anrichte hinter einer heißen Spule platziert, damit ihre Hand verletzt wird. Ein bis fünf Minuten später sollten sie von der Mutter auf die schmerzenden Stelle geküsst werden. Ob dies einen mildernden Effekt hatte, wurde im TDI (Toddler Discomfort Index) festgehalten. Die wundersame Erkenntnis der Studie nur nebenbei: Die Küsse von Mutti hatten leider keinen medizinischen Effekt.

Bedarf das wirklich einer Kennzeichnung wie "Achtung: Jetzt folgt Satire" oder "In unserer Rubrik Humor lesen Sie heute"? In Medienberichten werden Kritiker zitiert, wie etwa ein Rechtsanwalt, der eben so etwas fordert. Er sieht den fehlenden Verweis als Anzeichen für die Arroganz der Wissenschaftler. Ein anderer Kommentator sieht gar das Ansehen der Zeitschrift gefährdet. Traut man allerdings den Lesern ein wenig mehr zu, so sollten sie sich den Zwinker-Smiley am Ende des Textes denken können.

Schließlich wimmelt vor Hoax-Hinweisen: Eine Firma namens "Procter & Johnson" soll die Untersuchung unterstützt haben. Dahinter verbirgt sich ein Mash-up der realen Firmen Procter & Gamble und Johnson & Johnson, beides Unternehmen für Konsumgüter und Medizinprodukte. Als Veröffentlichungsdatum ist der 31.12.2015 angegeben. Dem Chefredakteur Andrew Miles zufolge steht der Aufsatz damit in einer Reihe mit besonderen Veröffentlichungen zu dieser Zeit des Jahres, vergleichbar mit der Weihnachtsausgabe des British Medical Journals. Und spätestens bei den beschriebenen Test-Szenarien sollte man stutzig werden.

Tonelli und Miles wollten mit dem integrierten Fake-Paper zum kritischen Nachdenken anregen. Verfasser Tonelli zielte insbesondere auf die Stellung von randomisierten kontrollierten Studien, die in der evidenzbasierten Medizin als "Goldstandard" gelten. Das Mittel der Satire wird dafür treffend angewendet, ohne dem Ansehen des Journals zu schaden. Letztlich sollte es auch die Funktion eines Fachmediums sein, die etablierten Methoden und Standards in Frage zu stellen. Das gelingt gerade ohne die spezielle Kennzeichnung des Textes. (jle)