Von niedrig hängenden Früchten und negativen Emissionen

Das Filtern von Kohlendioxid aus der Atmosphäre klingt nach einer charmanten Idee, löst aber keine wirklichen Probleme.

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Das Filtern von CO2 aus der Atmosphäre klingt nach einer charmanten Idee, löst aber keine wirklichen Probleme.

In Deutschland ist das Thema schon lange tot. Nun verabschiedet sich auch Großbritannien offenbar von der Idee, Kohlendioxid aus Kraftwerken abzuscheiden und unterirdisch einzulagern. Trotzdem ist die Vorstellung nicht totzukriegen, man könne die Uhr gewissermaßen wieder zurückdrehen, indem man Treibhausgas aus der Atmosphäre wieder einfängt. Klingt ja auch charmant: Es muss sich weder im Wirtschaftssystem noch im persönlichen Verhalten etwas ändern – die Ingenieure werden schon eine Lösung finden. Die internationale Staatengemeinschaft scheint sich sogar auf solche "negativen Emissionen" zu verlassen, wie Nachhaltigkeitsforscher Jan Minx in einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche schreibt.

Ich finde die Logik dahinter auf mehreren Ebenen verquer. Zunächst einmal: Warum sollte es besser sein, CO2 aus der Atmosphäre einzufangen, als direkt in Fabrikschloten? Dort ist es sehr viel höher konzentriert und lässt sich entsprechend einfacher extrahieren. Und trotzdem konnte sich dieses "Carbon Capture and Storage" (CCS) bisher aus guten Gründen nicht durchsetzen: Es verschlechtert den Wirkungsgrad von fossilen Kraftwerken heftig, und die Endlagerung von CO2 unter der Erde ist politisch kaum durchzusetzen. Wenn sich CCS also schon nicht lohnt, dann lohnt sich die Gewinnung von CO2 aus der Luft schon gleich gar nicht.

Zweitens: Wohin mit dem Zeug? Eine unterirdische Endlagerung ist unpopulär, deshalb entwerfen die Freunde des Air-Capturing gerne das Szenario einer perfekten Kreislaufwirtschaft: Mit Wasserstoff könne aus dem CO2 wieder Kohlenwasserstoff-Brennstoffe synthetisiert werden. Mag ja sein, aber warum nutzt man den Wasserstoff (oder noch besser: den zu seiner Erzeugung notwendigen Strom) nicht direkt, um Kohlendioxid-Emissionen einzusparen? Das energetische Recycling von CO2 verlangt nach einem Aufwand, der Besserem wert wäre.

(Die stoffliche Nutzung, etwa als Rohstoff für die chemische Industrie, ist natürlich eine ganz andere Geschichte. Auch zur Bereitstellung von Kohlendioxid für Gewächshäuser oder die Getränke-Industrie mögen CO2-Fänger unter bestimmten Umständen sinnvoll sein. Aber mit Klimaschutz hat das alles nur bedingt zu tun.)

Drittens: Was soll das Ganze? Befürworter wie Minx argumentieren: "Desweiteren sollen uns diese CO2-absorbierenden Technologien helfen, die Treibhausgasemission zu kompensieren, die wir nur schwer vermeiden können: Methanemissionen von Kühen und anderen Wiederkäuern, Stickstoffemissionen vom Düngemitteleinsatz oder bestimmte CO2-Emissionen im Transportsektor.“ Aber solange nicht einmal die niedrig hängenden Früchte gepflückt sind – nämlich die vielen Kohlekraftwerke – warum sollte man dann Zeit und Energie auf diese Nischenthemen verwenden?

Was ist denn das eigentliche Problem bei der Energiewende? Sie kostet Geld, zum Beispiel für neue regenerative Kraftwerke, Stromtrassen oder -Speicher. Und wo bekommt man den größten Klimaeffekt zu den geringsten Kosten? Meines Erachtens ist die Antwort klar: Bei den Kohlekraftwerken. Sie tragen einen Großteil zu den gesamten Emissionen bei und sind relativ einfach zu ersetzen. Solange noch ein einziges Kohlekraftwerk am Netz ist, halte ich jeden Euro für CO2-Fängerei für fehlinvestiert. (grh)