Braucht die Welt noch mehr Weißbrot?

In etwa zwei Jahren soll das komplizierte Genom des Brotweizens entschlüsselt sein. Sicherlich ein großer Fortschritt. Aber wird er die Hungernden der Welt tatsächlich besser ernähren?

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Von
  • Inge Wünnenberg

In etwa zwei Jahren soll das komplizierte Genom des Brotweizens entschlüsselt sein. Sicherlich ein großer Fortschritt. Aber wird er die Hungernden der Welt tatsächlich besser ernähren?

Die Erfolgsmeldung des Internationalen Konsortiums für die Sequenzierung des Weizengenoms (IWGSC) verbreiteten jüngst mit einiger Begeisterung etliche Magazine und Zeitungen: Bis Ende 2017 erwarten die beteiligten Forscher aus aller Welt, darunter auch das Team von Klaus Mayer am Helmholtz Zentrum in München sowie Mitarbeiter des Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, alle Chromosomen des Brotweizens entschlüsselt zu haben.

Aufgrund seiner Größe und Komplexität stellt das Weizengenom eine besondere Herausforderung für die Pflanzengenetiker dar. So ist die gesamte DNA-Sequenz mehr als fünfmal so lang wie die des Menschen und umfasst 17 Milliarden Bausteine. Obendrein liegt jedes Chromosom nicht wie beim Menschen doppelt, sondern gleich in sechsfacher Ausfertigung vor.

Heutzutage ist Weizen die weltweit am meisten angebaute Nutzpflanze: Rund ein Fünftel des Kalorienbedarfes der ganzen Menschheit werden von diesem Getreide gedeckt. Da ist es scheinbar nur konsequent angesichts der Tatsache, dass um 2050 wohl rund 9,6 Milliarden Menschen auf der Erde leben, die Weizenproduktion – wie die IWGSC es vorschlägt, um 1,6 Prozent pro Jahr zu erhöhen.

Auch die UN rief im September 2015 ihre neue Agenda aus. Sie will bis 2030 Hunger und extreme Armut überall auf der Welt und in jeder ihrer Formen beseitigen. Darin waren sich 160 Staats- und Regierungschefs, inklusive des Papstes, auf dem größten Gipfeltreffen der Geschichte der Vereinten Nationen einig: Niemand soll mehr an Hunger oder Unterernährung leiden müssen.

Doch für den Weg dahin muss nicht unbedingt Weizen das Allheilmittel sein. Obwohl sich der Saatgutproduzent KWS natürlich wie folgt äußert: "Mit einer Chromosomen-basierten vollständigen Sequenz stehen Pflanzenzüchtern hochwertige Werkzeuge zur Verfügung, um Züchtungsprogramme zu beschleunigen und um zu identifizieren, wie Gene komplexe Merkmale/Eigenschaften wie Ertrag, Kornqualität, Krankheit, Resistenz oder Toleranz gegen abiotischen Stress kontrollieren. Sie werden in der Lage sein, eine neue Generation von Weizensorten mit höheren Erträgen und verbesserter Nachhaltigkeit zu produzieren, um die Ansprüche einer wachsenden Weltbevölkerung in einer sich verändernden Umwelt zu befriedigen."

Es verwundert, dass die breite Öffentlichkeit dies augenscheinlich vollkommen unwidersprochen lässt. Denn Hochleistungszucht mit Hochleistungserträgen, aber auch Pflanzen, die besonders durch teure Pestizide geschützt werden müssen, sind keineswegs das Nonplusultra, wenn es um das richtige Saatgut für die Kleinbauern in den ärmeren Regionen der Welt geht. Es kann die Landwirte vielmehr zum einen abhängig von den Saatgutproduzenten machen. Denn die Hybridsorten können in der Regel nicht nachgezüchtet werden, das heißt der Bauer muss jedes Jahr teures Saatgut kaufen. Zum anderen können Missernten die Landbevölkerung dann, sofern sie sich für das Saatgut verschuldet haben, schnell in den Ruin treiben.

Bereits 2011 thematisierte etwa Hans Rudolf Herren auf der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates, die dem Thema "Die Ernährung der Weltbevölkerung – eine ethische Herausforderung" gewidmet war, seine kritische, aber durchaus nachvollziehbare Sicht der Dinge: "Um die Erträge zu erhöhen, braucht es keine Gentechnik", beharrte Herren und verwies darauf, dass die Produktion der Kleinbetriebe angekurbelt werden müsse. Aber in der Hinsicht sei bisher wenig unternommen worden. "Weil es dazu bessere Methoden braucht, die der Bauer anwenden muss, und nicht Produkte, die die Industrie verkaufen kann", resümierte er seinen kritischen Ansatz.

Herren weiß, wovon er spricht. Der Walliser half Ende des vorigen Jahrhunderts, in Afrika eine große Hungersnot zu verhindern, als er die dort grassierende Maniok-Schmierlaus biologisch bekämpfte, wofür er 1995 mit dem World Food Price ausgezeichnet wurde. Mit dem Preisgeld gründete er die Stiftung "Biovision", die sich einsetzt "für die Entwicklung, Verbreitung und Anwendung von ökologischen Methoden, die zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen in Afrika führen".

Es ist eine Tatsache, dass neben vielen anderen Ursachen wie vor allem Kriegen und Bürgerkriegen, Hunger und existenzielle Not die Menschen von vielen Orten der Welt – und gerade aus Afrika – nach Europa flüchten lassen. Vielleicht wäre es an der Zeit, die Ernährungsprobleme der Welt anders – vielfältiger – anzugehen und am Ende auch zu lösen! (inwu)