Dinge, die verzeihen

Der digitale Wandel fördert das Unverbindliche. Niemand möchte sich mehr festlegen – lieber hält man sich alles offen.

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Von
  • Peter Glaser

Der digitale Wandel fördert das Unverbindliche. Niemand möchte sich mehr festlegen – lieber hält man sich alles offen.

Wer gern Textstellen in Papierbüchern markiert, diese später aber trotzdem als gut erhalten wiederverkaufen möchte, kann den Fading Highlighter verwenden, der nach einer Weile von selbst spurlos verblaßt. Auch auf der Haut lassen sich nun temporäre Tätowierungen ("Flash Tattoos") anbringen, die tagelang selbst Seife und Schweiß widerstehen – "Auf ewig Dein", bis übermorgen. Ausgeklügelte Systeme wie MoodINQ erlauben es, sich hautverträgliche E-Ink aufzusprühen und darauf bei Bedarf jeden Tag eine neue Tätowierung erscheinen zu lassen. Wer noch voll ins Risiko geht, dem kann inzwischen ebenfalls perfekt abgeholfen werden, etwa mit neuen Lasern, die echte Tattoos schnell und restlos entfernen.

Die modernen Dinge scheinen immer stärker dem launischen Wandel des menschlichen Wollens nachzugeben, Motto: Undo forever!

Britische Forscher haben eine Methode entwickelt, mit der sich laserbedrucktes Papier wieder "entdrucken" und wiederverwenden lässt. Mir gefällt das, ich bin Papierfetischist. Bei mir kommt kein Blatt Papier in den Müll, das nicht auf beiden Seiten beschrieben oder bedruckt ist. Das Verfahren steht für ein weitreichenderes Phänomen: Produkte, die einem bestimmten Zweck dienen, wollen sich nicht mehr auf diesen Zweck festlegen lassen. Das, wozu sie gemacht wurden, läßt sich immer müheloser wieder aufheben. Es gibt sozusagen immer mehr Dinge, die verzeihen. Bereits der Urahn der toleranten Dinge, der legendäre Montagekleber Fixogum, klebte Papier unverrückbar fest – bei Bedarf konnte man ihn aber auch ebensogut spurlos wieder ablösen.

Aber es sind nicht nur die Dinge, die den Zusammenhalt durch eine neue Art der Unverbindlichkeit verdünnen. So entstehen beispielsweise durch Mobilkommunikation und Soziale Medien neue Beziehungsrituale. Wenn man jemanden nicht mehr mag, kann man ihn nun einfach abschalten. Auch für Leute, die zu feige sind, eine SMS oder eine E-Mail zu schicken, gibt es im Netz inzwischen Dienstleister wie BreakUpEmail. "Was tun, wenn Du mit jemandem Schluss machen möchtest, aber Dich nicht traust, es persönlich zu sagen oder Dich schämst, es telefonisch mitzuteilen oder zu faul bist, es in einer E-Mail detailliert auszubreiten? Es gibt eine Website, die für Dich Schluss macht!", wirbt der Dienst für sein Angebot. Es gibt eine Checkliste mit Begründungen, weswegen man nun nicht mehr weiter zusammen sein mag, und ein Algorithmus generiert daraus dann etwas, das er für einen angemessenen Verabschiedungstext hält. Klick und weg.

Das oft als rückschrittlich kritisierte islamische Recht, die Scharia, ist in der Hinsicht, wenn man so will: technisch sehr fortschrittlich. Es sind hier allerdings nur Männer, die von einem vorschriftsmäßig beschleunigten Verfahren profitieren. Man spricht dreimal "Inti Talaq" aus ("Du bist verstoßen!") und ist ein geschiedener Mann. Nach islamischem Recht ist diese Art der Scheidung auch brieflich oder per SMS möglich. In Malaysia, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Katar, wo die ersten Fälle von Scheidung per SMS vorgekommen sind, haben zivile und religiöse Gerichtsbarkeit allerdings zu unterschiedlichen Urteilen gefunden. In Malaysia hat sich der damalige Ministerpräsident Mahathir Mohamad schon 2003 gegen eine so unpersönliche Form der Konfliktlösung ausgesprochen.

Auch ein Neubeginn lässt sich übrigens inzwischen bereits teilautomatisiert unternehmen. Für knapp 20 australische Dollar liefert der transportable Pick-up Line Generator (leider gerade ausverkauft) eine Auswahl der angeblich wirkungsvollsten Anmachsprüche. (bsc)