Hinter dem Blockchain-Hype

Die Aufregung um die Kryptowährung Bitcoin hat sich etwas gelegt, stattdessen stürzt sich die Finanzbranche jetzt auf die dahinter stehende Blockchain-Technologie. Ein großer Wertpapierdienstleister rät zu Besonnenheit.

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Von
  • Sascha Mattke

Die Aufregung um die Kryptowährung Bitcoin hat sich etwas gelegt, stattdessen stürzt sich die Finanzbranche jetzt auf die dahinter stehende Blockchain-Technologie. Ein großer Wertpapierdienstleister rät zu Besonnenheit.

Spätestens seit dem Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums vergangene Woche in Davos ist klar: Das Fieber um die so genannte Blockchain, also die verteilte Datenbank hinter der Digitalwährung Bitcoin, hat auch die internationale Finanzwelt erfasst. "Bei jeder Podiumsdiskussion über Technologie, die ich mir angehört habe, wurde die Blockchain erwähnt", berichtete zum Beispiel der Chief Innovation Officer der Kreditkartenfirma MasterCard.

Kurz nach dem Treffen in Davos meldete sich auch der große US-Wertpapierdienstleister Depository Trust and Clearing Corporation (DTCC) zu Wort und sprach in einem Whitepaper über Blockchain-Technologie von "beispiellosem Hype und Forschungsbemühungen der Branche". All die Aufregung lasse vermuten, dass eine Einführung im großen Umfang unmittelbar bevorstehe. Doch dieser Eindruck könnte kaum falscher sein: In Wirklichkeit, so die Abwicklungsexperten, gebe es noch "grundlegende Herausforderungen bezüglich Skalierung, Latenz, Performance und Sicherheit" zu lösen.

Dienstleister wie die DTCC treten öffentlich kaum in Erscheinung, sind aber heute unerlässlich, um das komplexe Geschehen an den Märkten mit seinen Abermillionen von Teilnehmern und Intermediären rund um die Welt hinter den Kulissen am Laufen zu halten – irgendjemand muss ja dafür sorgen, dass nach einem Geschäft an der Börse die Aktien im richtigen Depot und das Geld auf dem richtigen Konto landen.

Laut dem DTCC-Whitepaper geschieht dies in einem über viele Jahre gewachsenen Konvolut aus "mehreren Schichten von orchestrierten Interaktionen, Abgleichen und Workflows". All die proprietären Teilsysteme machten den Abgleich nicht nur zwischen den beteiligten Instituten kompliziert, sondern sogar innerhalb von ihnen.

Als heiße Alternative zu diesem historisch gewachsenen Durcheinander wird seit einiger Zeit die Blockchain-Technologie gehandelt. Der geniale Kniff daran ist, dass hier die Nutzer selbst die Kontrolle übernehmen: Alle Beteiligten haben Zugriff auf die gesamte Blockchain, in der alle Transaktionen gespeichert sind, aber kryptografische Protokolle sorgen dafür, dass niemand sie manipulieren kann. Somit ist der Informationsstand bei allen Beteiligten gleich und gesichert, und es gibt keine zentrale Instanz, die angegriffen werden oder ausfallen könnte.

Das Konzept lässt sich allgemein anwenden, sorgte aber zunächst vor allem in Zusammenhang mit der Digitalwährung Bitcoin für Aufregung. Eingeführt Anfang 2009, stieg deren Wert zwischendurch in luftige Höhen, und sie rief die alle möglichen Visionen vom Ende des staatlichen Geldes bis zur Ablösung des klassischen Bankensystems hervor. Mittlerweile aber hat sich der Fokus von der Kryptowährung auf andere Blockchain-Anwendungen verschoben.

Und dafür scheint sich niemand mehr zu interessieren als die Finanzbranche selbst. An dem Start-up Digital Asset Holdings etwa haben sich 13 ihrer großen Namen beteiligt – einschließlich der DTCC selbst und der Deutschen Börse. Hinter R3, einem weiteren Start-up in diesem Bereich, stehen 42 Banken, und auch die US-Technologiebörse hat einen Blockchain-basierten Handelsplatz angekündigt.

Jeder will also dabei sein – und genau darin könnte laut der DTCC das Problem liegen: Es bestehe die Gefahr, dass die Branche "die Vergangenheit wiederholt und eine Unzahl von neuen Silo-Lösungen auf der Grundlage unterschiedlicher Standards und erheblichen Abgleichproblemen schafft", heißt es in dem Whitepaper. Das alte System gewährleiste trotz seiner Unübersichtlichkeit Sicherheit und Robustheit der Wertpapierabwicklung auch bei extremen Volumina und systemischen Marktschocks. Ob eine Blockchain-basierte Alternative das nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis ebenfalls bieten könne, sei noch völlig offen – ebenso wie die Frage, ob sie überhaupt billiger wäre.

Insgesamt rät die DTCC zu mehr Abstimmung innerhalb der Branche sowie mit Regulierungsbehörden und Politik, um einen Konsens über die Anforderungen zu erarbeiten, mit dem sich die nächste Fragmentierung vermeiden ließe. Praxistests und Pilotprojekte sollten statt auf riesigen funktionierenden Märkten zunächst in Bereichen vorgenommen werden, die heute noch nicht stark automatisiert sind, etwa bei Anleihensyndizierung oder neuen Börsen in Schwellenländern.

An mehreren Stellen bringt sich die DTCC explizit oder indirekt als Instanz ins Spiel, die bestens dafür geeignet sei, die benötigten neuen Standards zu entwickeln oder umzusetzen und zentrale Funktionen zu übernehmen, soweit die in einem Blockchain-System noch benötigt werden. Manche Beobachter schlossen daraus, das Whitepaper sei vor allem durch das "FOMO"-Syndrom motiviert – die etablierte Organisation habe schlicht Angst, den Anschluss an die neue Zeit zu verpassen. Aber mit nach eigenen Angaben gut 40 Jahren Erfahrung und durchschnittlich 100 Millionen bearbeiteten Transaktionen pro Tag dürfte die DTCC anders als manches Start-up zumindest genau wissen, wovon sie spricht.

(sma)