Unbefleckte Empfängnis

Softwarearchitekten sind nur in einer Sache Experten, nämlich im Nutzen von Office-Paketen und UML-Editoren. Sie können sich auch nie irren, denn "Bubbles don't crash". Oder verhält sich die Sache ganz anders?

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Von
  • Dr. Michael Stal

Softwarearchitekten sind nur in einer Sache Experten, nämlich im Nutzen von Office-Paketen und UML-Editoren. Sie können sich auch nie irren, denn "Bubbles don't crash". Oder verhält sich die Sache ganz anders?

Das Mantra eines guten Softwarearchitekten lautet für mich "Architect always implements". Allerdings teilen nicht alle diese Meinung. Es gibt immer noch Organisationen, die ihre Architekten in gut bewachten Elfenbeintürmen vor den unkalkulierbaren "Risiken" der Praxis schützen. Ein Softwarearchitekt sei viel zu wertvoll, um seine Zeit mit Programmieren zu vergeuden – glauben zumindest einige Entscheidungsträger. Wer lange genug wartet, mutiert in solchen Umgebungen unweigerlich zum Schreibtischtäter mit Theorie-Schlagseite, verliert die Bodenhaftung und beginnt riskant mit unnötiger Komplexität und technischen Schulden zu jonglieren. 

Innerhalb weniger Monate können sich auf unserem Fachgebiet völlig neue Horizonte auftun, weshalb ständige Weiterbildung alternativlos und praktische Erfahrung überlebenswichtig sind. Sich auf allen Gebieten ständig auf dem Laufenden halten zu wollen, können wir uns abschminken. Wer aber seine Weiterbildung auf gelegentliches Durchstöbern der Computerwoche beschränkt, handelt grob fahrlässig. Und wer zu lange mit der Weiterbildung wartet, den bestraft das Leben beziehungsweise das Projekt.

Damit keine Missverständnisse aufkommen; es geht mir nicht darum, Architekten in größeren Projekten schwerpunktmäßig als Entwickler einzusetzen. Wer als Softwarearchitekt auf dem kritischen Pfad implementiert, tut weder sich noch dem Projekt einen Gefallen. Architekten sollten aber ihre eigene Suppe mit auslöffeln. Nicht nur Microsoft nennt das "eat your own dog food!".  

Nur wer selbst regelmäßig aktuelle Werkzeuge und Technologien nutzt, weiß um die praktischen Implikationen und Grenzen dieser Werkzeuge und Technologien. Nur wer selbst zumindest partiell bei der Softwareentwicklung mitwirkt, erhält den direkten Draht zu den Entwicklern und verdient ihren Respekt. Nur wer Theorie und Praxis vereint, kann gute Software entwerfen.

Wer Architekturdokumente einfach über den Zaun wirft, sollte sich nicht darüber wundern, was er zurückerhält. Im besten Fall stimmen konzeptionelle Architektur und Implementierung nicht überein. Im schlechtesten Fall gerät das Projekt zum Fehlschlag.

Der Chefarchitekt eines Großprojekts hat es natürlich schwer, dieser Herausforderung zu begegnen. Aber selbst erfolgreiche Chefarchitekten sehr großer Entwicklungsprojekte, denen ich bisher begegnet bin, reservieren explizit Zeit für Programmieraktivitäten und halten ihren Wissensstand aktuell. Dabei meine ich wohlgemerkt Praxis und Theorie!

Nur Praktiker können gute Softwarearchitekturen entwerfen, die nicht nur auf PowerPoint-Präsentationen funktionieren. Erfolgsorientierte Manager sollten ihnen dafür auch die notwendige Zeit geben. Und Softwarearchitekten sollten diese Zeit auch in Anspruch nehmen. ()