Integrationshelfer-App: Syrische Flüchtlinge arbeiten an App für Ausländer in Deutschland

Zwei Syrer wollen Migranten und Flüchtlingen bei der Integration in Deutschland helfen. Die beiden jungen Männer entwickeln eine App. Was Menschen brauchen, die nach Deutschland kommen, wissen sie aus eigener Erfahrung genau.

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(Bild: dpa, Marc Tirl/Symbolbild)

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Vokabel- und Grammatik-Training, deutsche Gesetze, Alltagsfragen und wichtige Anlaufstellen: Die Syrer Wesam Alfarawti und Ahmed Abdelhamed arbeiten an einer App für Neuankömmlinge mit diesen Inhalten. "Nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Ausländer, die nach Deutschland kommen", beschreibt Alfarawti die Zielgruppe der Anwendung für Handy und Laptop. Denn: "Wenn die Menschen richtige erste Hilfe bekommen, schaffen sie es auch bald allein."

Der 25-Jährige spricht aus eigener Erfahrung: Als er vor etwa 14 Monaten nach seiner Flucht über das Mittelmeer die Bundesrepublik erreichte, hätte er in den ersten Wochen vor allem bei Behördengängen mehr Unterstützung gebraucht. "Ich habe überhaupt nicht verstanden, was ich unterschreiben musste, und hatte Angst, es ist meine Abschiebung, oder ich muss 1000 Euro bezahlen."

Vor solchen Situationen soll die App schützen. Sie soll Fragen wie etwa "Wo kann ich kostenlos Deutsch-Unterricht bekommen? Wo kann ich studieren? Wo kann ich Sport machen?" beantworten. Sie soll auch beim Verfassen von Texten helfen und die deutsche Kultur und Rechtsgrundlagen erklären. Alfarawti hält außerdem Tipps für den Umgang mit Medizinern für wichtig: "In Syrien geht man einfach zum Arzt, hier muss ich wissen, wie ich einen Termin ausmache, und wie ich zeigen kann, wo es weh tut."

Das BAMF hat sich auch schon an einer App versucht - der App "Ankommen".

(Bild: BAMF)

Die Informationen und Deutschübungen sind nicht nur auf Arabisch geplant, sondern sollen auch auf Englisch, Französisch und Türkisch verfügbar sein. "Ehrenamtliche Übersetzer haben wir schon", sagt der 21 Jahre alte Abdelhamed. Die beiden Landsmänner haben sich vor rund drei Monaten bei der AWO-Ehrenamtsagentur Freiwillig kennengelernt. "Wir haben uns gefragt, was können wir für andere Leute tun? Was können wir ihnen weitergeben?", berichtet Alfarawti.

Schnell sei so die Idee mit der App entstanden. Dreimal pro Woche treffen sich die beiden Neu-Frankfurter seit einigen Wochen und arbeiten dann vier, fünf Stunden an ihrem Projekt. Das erste Konzept steht, gerade versuchen sie namhafte Institutionen als Unterstützer zu gewinnen. Mindestens ein Jahr werde die Projektentwicklung dauern, schätzen sie. Technische Probleme sehen sie nicht: Mit Java kenne er sich schon seit seiner Schulzeit gut aus, sagt Abdelhamed.

"Was durch die App gelernt wird, hilft Missverständnisse zu vermeiden", sagt Christiane Sattler von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Frankfurt. Sie unterstützt das Projekt mit Fundraising: Die Hard- und Software kosten Geld. "Die Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, bringen ganz viel mit und haben sehr viel Potenzial, das umarmt und genutzt werden sollte", sagt Sattler – und ergänzt mit Blick auf die Diskussion über die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln: "gerade jetzt".

Alfarawti engagiert sich mehrere Stunden pro Woche bei der AWO-Ehrenamtsagentur im Büro. "Wenn ich zu Hause bleibe, werde ich krank", sagt er. Auf einen Sprachkurs an der Volkshochschule habe er fast fünf Monate warten müssen und in der Zeit mit Hilfe von Internetvideos versucht, sich selbst Deutsch beizubringen. Auch dabei soll die App mit kleinen geeigneten Filmen helfen. Der 25-Jährige spricht inzwischen schon gut Deutsch, lernt aber fleißig weiter, denn er hat ein Ziel: Im September will er mit einer Ausbildung als Buchhalter anfangen. Damit hatte er bereits in Damaskus begonnen.

"Am Anfang war es total schwer", beschreibt Abdelhamed seine erste Zeit in Deutschland. Nicht nur wegen der fremden Kultur, sondern vor allem wegen der Sprachschwierigkeiten. "Wenn man nicht richtig miteinander kommunizieren kann, wird man schüchtern und fühlt sich einsam." Der 21-Jährige kam vor rund drei Jahren mit dem Flugzeug nach Deutschland und studiert inzwischen in Marburg Orientwissenschaften. Auch deshalb lernt er intensiv Deutsch: "Minimum fünf Stunden am Tag allein zu Hause, weil die Kurse so teuer sind."

Inzwischen hat Abdelhamed seine eigene kleine Wohnung; er konnte sein WG-Zimmer mit der Wohnung einer Bekannten tauschen, die nicht mehr allein wohnen wollte. "Jetzt ist alles super", sagt der Student strahlend. Der einzige Landsmann, zu dem er Kontakt habe, ist sein Mitstreiter beim App-Projekt. Alfarawti gelang es, mit viel Eigeninitiative, Engagement und seinen Kontakten zur AWO auch, eine kleine Wohnung zu finden.

Er fühlt sich inzwischen ebenfalls wohl in Deutschland: "Ich finde die deutsche Kultur sehr interessant" – vom Essen bis zum öffentlichen Nahverkehr: "U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse sind gut und pünktlich." Vor allem aber: "Die Menschen vertrauen sich", sagt der 25-Jährige aus Damaskus. "Ich habe erst gedacht, Frankfurt ist ganz groß', erinnert er sich an seine ersten Monate in der Hessenmetropole. "Jetzt finde ich es ganz klein, weil ich so viele Freunde habe."

Auch das Goethe-Institut wirkte an der Ausgestaltung von "Ankommen" mit.

(Bild: BAMF)

Eine offizielle und kostenlose App des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Bundesagentur für Arbeit kann schon jetzt von Flüchtlingen genutzt werden. Die App heißt Ankommen und soll Flüchtlinge während ihrer ersten Wochen in Deutschland unterstützen . Die App will Wegbegleiter sein und informiert in fünf Sprachen über Rechte und Pflichten im Asylverfahren sowie über den Alltag in Deutschland. Sie enthält außerdem einen interaktiven Grundsprachkurs. Der Bayerische Rundfunk hat die App umgesetzt und die Entwicklung redaktionell begleitet. (kbe)