China geht bei Atomkraft voran

Projekte für Kernkraftwerke der nächsten Generation kommen im Westen nicht recht weiter, aber China macht Ernst: Ende 2017 soll dort der erste kommerzielle Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktor in Betrieb gehen.

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Von
  • Richard Martin

Projekte für Kernkraftwerke der nächsten Generation kommen im Westen nicht recht weiter, aber China macht Ernst: Ende 2017 soll dort der erste kommerzielle Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktor in Betrieb gehen.

Es könnte ein Meilenstein für die nächste Generation von Atomkraftwerken werden: Die Nuclear Engineering Construction Corporation aus China will Ende nächsten Jahres in der Provinz Shandong südlich von Peking einen gasgekühlten Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktor in Betrieb nehmen. Die Zwillingsreaktoren mit jeweils 105 Megawatt wären das weltweit erste derartige Kernkraftwerk der so genannten Generation IV im kommerziellen Maßstab.

Der Bau des Kraftwerks ist beinahe beendet. In den nächsten 18 Monaten sollen Reaktorkomponenten installiert, Tests vorgenommen und der Brennstoff geladen werden, bevor die Reaktoren dann im November 2017 kritisch werden. Das erklärte Zhang Zuoyi, Leiter des Institute of Nuclear and New Energy Technology an der Tsinghua University, das die Technologie in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten entwickelt hat, bei einem Interview auf dem Campus des Instituts 50 Kilometer südlich von Peking.

Wenn es die Erwartungen erfüllt, wird auf das 210-Megawatt-Kraftwerk in Shandong eines mit 600 Megawatt Leistung in der Provinz Jiangxi folgen. Darüber hinaus will China die Reaktoren international vermarkten. Im Januar unterschrieb Präsident Xi Jinping mit König Salman bin Adb al-Aziz einen Vertrag über den Bau eines gasgekühlten Hochtemperaturreaktors in Saudi-Arabien. "Die Technologie wird innerhalb der nächsten fünf Jahre den Weltmarkt erreichen", sagt Zhang voraus. "Wir entwickeln diese Reaktoren, damit sie der Welt gehören."

Kugelhaufenreaktoren, die als Medium für den Wärmetransfer Heliumgas nutzen und bei sehr hohen Temperaturen – bis zu 950 Grad Celsius – laufen, befinden sich seit Jahrzehnten in der Entwicklung. Der chinesische Reaktor basiert auf einem ursprünglich in Deutschland entwickelten Design; die deutsche SGL Group liefert auch die Graphitkugeln, die wiederum tausende von winzigen "Kugeln" mit Uranbrennstoff umhüllen. Bislang wurden sieben gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren gebaut, doch nur zwei davon sind noch in Betrieb, und die sind relativ klein: ein experimenteller 10-Megawatt-Kugelhaufenreaktor auf dem Gelände des Tsinghua-Instituts, der 2003 seine volle Leistung erreichte, und ein ähnlicher in Japan.

Bei einem Besuch in dem Tsinghua-Kraftwerk konnten Technikexperten vor kurzem das riesige Helium-Gebläse testen, das für die Zirkulation des Kühlungsgases am Standort Shandong vorgesehen ist. Solche Hochtemperaturreaktoren sind gegen eine Kernschmelze gefeit, weil sie keine komplizierten externen Kühlsysteme von der Art brauchen, wie es im japanischen Fukushima 2011 ausfiel. Der Graphitmantel verhindert, dass der Brennstoff zerfällt, selbst bei Temperaturen, die weit über denen liegen, die im Betrieb im Reaktorkern herrschen. Sobald die innere Temperatur einen gewissen Schwellenwert überschreitet, verlangsamt sich zudem die nukleare Reaktion, was den Reaktor abkühlt und ihn im Prinzip selbstregulierend macht. Das Problem des Atommülls lässt sich mit Kugelhaufenreaktoren zwar nicht komplett lösen, doch die besondere Form des Brennstoffs ermöglicht verschiedene Arten der Entsorgung. Das letztliche Ziel von China ist, Atommüll ganz oder überwiegend zu vermeiden, indem verbrauchter Brennstoff wiederverwertet wird.

Eine der größten Hürden für den Bau dieser Reaktoren liegt in den Kosten für Brennstoff und Reaktorkomponenten, doch Chinas schiere Größe könnte dabei helfen, sie zu überwinden. "Es gibt Studien, laut denen die Kosten sinken, wenn die Reaktoren in die Massenproduktion kommen", sagt Charles Fosberg, Geschäftsführer des MIT Nuclear Fuel Cycle Project. "Der chinesische Markt ist groß genug, um das potenziell möglich zu machen."

In China laufen noch einige andere Projekte für fortschrittliche Reaktoren. Dazu zählen ein Flüssigsalzreaktor, der mit Thorium statt Uran betrieben wird (ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Oak Ridge National Laboratory, wo die Technologie in den 1960er Jahren entstand), ein Laufwellenreaktor (in Zusammenarbeit mit dem von Bill Gates finanzierten Start-up TerraPower) und ein natriumgekühlter schneller Reaktor, der vom chinesischen Institute for Atomic Energy gebaut wird.

Offensichtlich wird China zum Testfeld für innovative Nukleartechnologien, die in den USA und Europa nicht weiterkommen. "Was man hier sieht, sind ernsthafte Absichten", sagt Forsberg. "Wegen dieser ernsthaften Absichten werden sie ihren Stromsektor vielleicht früher von Treibhausgasen befreien, als wir es schaffen."

(sma)