Gravitationswellen: Vom Hirngespinst zum Nobelpreis

Anfangs wurden Gravitationswellen als "Hirngespinst" abgetan, berichtet Professor Dr. Karsten Danzmann. Der Gravitationsphysiker entwickelte die Lasertechnik für LIGO-Interferometer mit. Ein Gespräch

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Nie hat jemand Gravitationswellen so schön nicht gemessen wie wir
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Von
  • Andreas Stiller

"Nie hat jemand Gravitationswellen so schön nicht gemessen wie wir" – dieses Zitat legte Professor Karsten Danzmann seinem Vorgänger Prof. Heinz Billing in den Mund, dem großen deutschen Computer-Pionier, der die Erforschung von Gravitationswellen überhaupt erst "hoffähig" gemacht hatte. "Bevor die nicht gefunden sind, gehe ich nicht von dieser Erde" soll er zudem erklärt haben – er musste lange warten und fast 102 werden, um das nun zu schaffen.

Und das, obwohl er bis ins hohe Alter Helmut Schmidt als Kettenraucher locker übertraf, so erklärten im Gespräch im Anschluss an die Festveranstaltung am Albert-Einstein-Institut in Hannover seine Mitstreiter Dr. Walter Winkler und Albrecht Rüdiger, die als Ehrengäste geladen waren. Sie hatten schon in den Siebzigern erste Messungen gemacht, zunächst mit großen Aluminiumzylindern, dann aber mit Präzisions-Lasern, die Prof. Welling und sein Team bei der angewandten Physik in Hannover entwickelt hatten.

Prof. Danzmann ehrt den Initiator der experimentellen Graviationswellenforschung in Deutschland, Prof Heinz Billing, der neben Zuse auch zu den großen deutschen Computer-Pinonieren gehört

Später ist dann das Max-Planck-Institut von München nach Hannover umgezogen und in Zusammenarbeit mit der Leibnizuniversität gründete man hier und in Potsdam 1995 das Albert-Einstein-Institut. Und die hier von Prof. Danzmann und seinem Team weiterentwickelte höchstpräzise Lasertechnik mit gequetschtem Licht ist es auch, die in den jetzt erfolgreichen amerikanischen LIGO-Interferometern zum Einsatz kommt. Gequetschtes Licht ist ein Trick, um der Heisenbergschen Unschärfe in gewisser Weise ein Schnippchen zu schlagen, um genauere Messungen zu ermöglichen.

Es war am Anfang unheimlich schwer, überhaupt Gelder für so ein "Hirngespinst" wie Gravitationswellen zu bekommen. Selbst Einstein hatte sie zwar zunächst vorhergesagt, das später aber zurückgezogen und vermeintlich nachgewiesen, dass es sie gar nicht gibt, Geisterwellen sozusagen. Man muss nicht nur genialer Wissenschaftler sein, sondern, so wie Prof. Danzmann, auch Entertainer vom Schlage eines Harald Lesch oder Ranga Yogeshwar. Schließlich muss man auch Politiker und "Normalbürger" von der Sinnhaftigkeit überzeugen können. Immerhin 200 Millionen Euro, so erklärte der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Prof. Dr. Martin Stratmann, habe die MPG bislang insgesamt investiert. Die Investitionen der amerikanischen NSF gehen insgesamt gar in die Milliarden, allein 680 Millionen Dollar für die Interferometer LIGO. Und hätten nicht Heinz Billing in Deutschland und der legendäre Nobelpreisträger Dick Feynman in den USA sich so dafür engagiert, wär es vielleicht nie dazu gekommen.

Dr. Walter Winkler hat mit Prof. Billing schon vor 45 Jahren erste Messungen mit Aluminium-Zylindern versucht.

Schon 1974 ergaben Auswertungen des großen Radioteleskops Arecibo in Puerto Rico an einem Doppelpulsar einen indirekten Nachweis: eine Verlangsamung des Umlaufs um 75 µs pro Jahr. Dafür bekamen Russell Hulse und Joseph Taylor 1993 den Nobelpreis für Physik.

Prof. Danzmann weiß auch, wie man weiter am Ball bleiben muss: Man habe jetzt das Tor ein kleines Stück geöffnet. Gravitationswellen können der Schlüssel sein, um in das noch völlig unbekannte Terrain der dunklen Energie und der dunkeln Materie einzudringen. Beides sehr wichtige Trend-Themen in der Forschung, die bestens geeignet sind, größere Investitionsbereitschaft bei den Verantwortlichen anzutriggern, so wie sie jetzt auch für das Satellitenprojekt eLISA nötig ist.

Und in der Tat, außer den Gravitationswellenforschern hat niemand auf Erden diesen offenbar vor 1,3 Milliarden Jahren stattgefundenen gigantischen Zusammenschluss von zwei umeinander zirkulierenden Schwarzen Löchern bemerkt, der in nur 20 Millisekunden ablief – urrrrP, das kann man sich sogar etwas verlangsamt anhören. Keine Radioteleskope, keine optischen Teleskope, keine Teilchendetektoren, gut 60 Einrichtungen weltweit – nichts war bei den Kollegen dort zu sehen oder zu hören, nur eben die Gravitationswellen kamen durch.

Die Schwarzen Löcher hatten übrigens nur rund 150 Kilometer Durchmesser, waren aber 29 beziehungsweise 36 Sonnenmassen schwer. Ein paar dieser Sonnen wurden bei der innigen Vereinigung vor Freude als Energie in den paar Millisekunden ins Universum ausgestrahlt. Das sei etwa das 50fache der gesamten Energie, die alle Sonnen im Universum ausstrahlen.

Und dass es wirklich Gravitationswellen sind, da sind sich Danzmann und seine Kollegen sicher. Ich hatte die Gelegenheit, mit ihm noch ein bisschen nach der offiziellen Präsentation zu plaudern und auch ein bisschen Skepsis zu äußern. So erwähnte ich die "überlichtschnellen" Neutrinos, die vor allem vorschnelle Neutrinos waren, denn ihre Existenz erwies sich dann später als plumper Messfehler. Danzmann hatte das übrigens damals von vornherein nicht geglaubt: "Eher wird meine Großmutter Papst ...". Nein, so Danzmann, diesmal habe man "voller Paranoia" monatelang alle Eventualitäten abgecheckt und es wird rund ein Dutzend weitere Veröffentlichungen geben, die das ganze Procedere beleuchten. Schließlich wurde das Signal schon am 14. September gegen 11.30 Uhr bei der Durchsicht der LIGO-Daten aus den USA in Hannover entdeckt – Mittagessen fiel dann aus, es gab später Pizza vom Bringdienst. Die Amerikaner wurden gleich darauf mitten in ihrer Nacht angerufen, reagierten zuerst mürrisch – fielen dann aber aus allen Betten und Wolken.

Die LIGOs waren gerade ein paar Tage vorher nach einem großen 5-jährigen Ugrade hochgefahren worden und befanden sich eigentlich noch im Testbetrieb. Hätte ja sein können, dass die Amerikaner Testdaten eingespielt hatten, sogenannte "blind Injections", aber nein! Es war ein Riesenglück, den großen Bumms belauschen zu können. Das deutsche Interferometer GEO600 in Ruthe bei Hannover war an dem Tage ausnahmsweise nicht in Betrieb, er hätte aber ohnehin keine Chance gehabt, die langwelligen Strahlen der Löcherverschmelzung zu detektieren, er ist mehr für höherfrequente Neutronensterne ausgelegt.

Ob denn vielleicht jemand mutwillig eine falsche Fährte gelegt haben könnte, will ich von Prof. Danzmann wissen. Ein Spaßvogel könnte sich ja hübsche Simulationsergebnisse vom AEI in Potsdam besorgt haben, bastelt sich dann zwei Vibratoren, die er in der Nähe der beiden hochempfindlichen Interferometer deponiert und die diese Kurven irgendwann abfahren, zeitlich gut synchronisiert mit 7 Millisekunden Zeitunterschied. Dürfte alles nicht sonderlich schwierig sein – man merkt: wir haben ein Maker-Magazin im Haus ... Ja, auch das habe man genauestens geprüft, so Danzmann. Das wäre den mitlaufenden Seismographen aufgefallen. Außerdem habe man nicht nur wissenschaftliche, sondern auch kriminalistische Methoden eingesetzt, Überwachungsvideos ausgewertet und so weiter.

Das Ganze ist kein Ende sondern ein Anfang, so Danzmann weiter. Das hatte er nicht ohne Grund auch vorher schon der angereisten niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Gabriele Heinen-Kljajic gesagt. Ob denn die Volkswagenstiftung so wie bislang kräftig dazu beitragen kann – der Generalsekretär Dr. Wilhelm Krug hielt auch ein Grußwort – ist angesichts der aktuellen VW-Situation unklar.

Danzmann fährt jedenfalls nächste Woche nach Darmstadt, um dort in stressigen Tag- und Nachschichten an den Experimenten mit dem Lisa Pathfinder teilzunehmen, den die ESA am 3. Dezember 2015 gestartet hatte. Der befindet sich dann am Zielpunkt, am sogenannten Lagrange-Punkt L1, rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt

Der zweite AEI-Direktor, Prof. Bruce Allen, der unter anderem für die Datenauswertung und den Rechnerbetrieb zuständig ist, war nicht in Hannover zugegen, er nahm an den Feierlichkeiten der NSF in Washington teil. Seinen Leuten in Hannover war es vergönnt, die Signatur von miteinander verschmelzenden schwarzen Löchern im Rauschen als Erste gefunden zu haben. Zwei Postdocs, Marco Drago aus Italien und Andrew Lundgren aus den USA, waren die Glücklichen, die im AEI-Gebäude in der Callinstraße über die Signatur in den frisch etwa 40 Minuten zuvor von Caltech eingespielten Daten gestolpert sind. Und auch der Rechner Atlas, der mit 24 Millionen beigetragenen CPU-Stunden größte Rechencluster im Verbund der Gravitationsforscher, kann die Finderehre mit beanspruchen. Von Hannover aus wird auch das weltweit verteilte Rechenprojekt Einstein@home organisiert, das drittgrößte bei BOINC eingehängte Projekt. Dieses sucht vornehmlich nach neuen Neutronensternen und Pulsaren als Kandidaten für die Wellen und war an dieser Datenauswertung nicht beteiligt.

Die Finder Andrew Lundgren aus den USA und -- leider etwas verdeckt -- Marco Drago aus Italien. Dragos Augen haben die Wellensignatur zuerst gesehen.

So komme ich vielleicht doch noch zu einem atomaren Bruchteil eines Nobelpreises, schließlich ist Atlas auch "mein" Rechner, durfte ihn doch im Mai 2008 quasi als Ersatz für Stephen Hawking mit Druck auf den roten Knopf (per Mausdruck) gemeinsam mit Frieder Hansen von Pyramid Computer und AEI-Direktor Prof. Bruce Allen in Betrieb setzen. Damals blieb Staatssekretär Lange vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur unentschuldigt weg, jetzt kam die Ministerin Gabriele Heinen Kljajic höchst persönlich und Bundesministerin Wanka schickte von Costa Rica aus eine Video-Botschaft.

Prof. Bruce Allen ist stolz auf den Atlas, der die meiste Rechenleistung für Gravitationswellen liefert.


Atlas war damals immerhin der schnellste Rechner mit Ethernet-Interconnects auf der Welt, kam mit rund 33 TFlops auf Platz 58 in der Top500-Liste. Und da die Gravitationsphysiker viel sparen müssen, sind viele der alten Knoten mit Xeon X3220 auch heute noch in Betrieb. Zu den 5684 Kernen von damals sind rund 10.000 weitere hinzugekommen, zudem 2000 Nvidia-GPUs. Große und teure Tesla-Karten braucht man hier nicht, einfache Genauigkeit reicht für die Algorithmen und so hat man palettenweise günstig im Ausverkauf GeForce GTX 750 eingekauft. Und wie das bei Unis und Forschungseinrichtungen so üblich ist, wurden diese natürlich zwischen Weihnachten und Neujahr angeliefert, damit sie noch ins Jahresbudget kommen. (as)