Algen im Auge

Grünalgen-Gene, eingeschleust ins Auge, sollen Nervenzellen in Sehzellen umwandeln. Was bei Mäusen schon gelang, soll nun in einer ersten Studie auch bei blinden Menschen angewendet werden.

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Von
  • Christian Honey

Grünalgen-Gene, eingeschleust ins Auge, sollen Nervenzellen in Sehzellen umwandeln. Was bei Mäusen schon gelang, soll nun in einer ersten Studie auch bei blinden Menschen angewendet werden.

Organtransplantationen gehören heute zum medizinischen Alltag. Wegen des weltweiten Mangels an Spenderorganen testen Forscher aber zunehmend die Verpflanzung tierischer Organe oder Stammzellen. Im März wagt sich nun erstmals ein Chirurg in Texas daran, ein Algen-Gen in das menschliche Auge einzuschleusen. Der Eingriff ist Teil der ersten Studie, die ein sogenanntes optogenetisches Verfahren bei menschlichen Patienten untersucht. Der Grund für den Einsatz des Algen-Gens: Mit etwa 1,5 Millionen Betroffenen ist Retinitis pigmentosa die Hauptursache genetisch verursachter Blindheit weltweit. Insgesamt 15 Studienteilnehmer sollen mithilfe des neuen Verfahrens wieder sehen können, so die Hoffnung von Wissenschaftlern und RetroSense. Die Firma aus San Francisco hatte im Vorfeld die weltweit erste Lizenz bekommen, Menschen mit dieser Krankheit mit dem Erbgut von Grünalgen zu behandeln. Ihr Ziel: Nervenzellen der Netzhaut (Retina), die von der Krankheit verschont bleiben, zu Sehzellen umzubauen.

"Wir haben Viren genetisch so umgebaut, dass sie in die Nervenzellen der Netzhaut das Gen für ein Algenprotein einschleusen", sagt Zhuo-Hua Pan von der Wayne State Universität, wissenschaftlicher Berater von RetroSense. Bei dem Protein handelt es sich um das Kanal-Rhodopsin-2, das Licht in elektrische Signale umwandelt. Es stammt aus dem primitiven Augenfleck, mit dem Grünalgen hell und dunkel wahrnehmen. Die neu konstruierten Viren sollen das Gen für Kanal-Rhodopsin-2 in die Nervenzellen der Retina einbauen und sie so für Licht sensibel machen. "Wir hoffen, dass nach der Behandlung genügend Nervenzellen ausreichend Kanal-Rhodopsin-2 herstellen, um den Patienten eine rudimentäre Sehfähigkeit zurückzugeben", sagt Pan.

In Nagern ist dies schon gelungen. Blinde Mäuse, denen das Virus gespritzt wurde, konnten sich nach wenigen Tagen wieder grob an visuellen Reizen orientieren. Die Retina von Menschen besteht ähnlich wie bei Mäusen aus drei Zellschichten. Zum einen die Rezeptorzellen, die Licht in elektrische Signale umwandeln und von Retinitis pigmentosa betroffen sind. Sie aktivieren die darüberliegenden Bipolarzellen. Die wiederum leiten die Erregung an die außen liegenden Ganglienzellen. Und genau die will RetroSense mit Professor Pans Methode zu neuen Lichtrezeptoren umbauen.

Dafür ist das Protein Kanal-Rhodopsin-2 der ideale Kandidat. Es ist ein winziger Kanal, der sich öffnet, wenn er von Licht getroffen wird. Gelingt es, die Gene für Kanal-Rhodopsin-2 in den Kern von Nervenzellen im Auge einzuschleusen, dann stellen diese Zellen das Protein her und bauen es in ihre Zellwand ein. Trifft Licht auf die Nervenzellen, öffnet sich der Kanal und geladene Teilchen strömen in die Zelle ein – die Zelle lädt sich elektrisch auf. Bei genügend hoher Ladung verschickt eine Nervenzelle dann einen elektrischen Impuls wie eine Sehzelle.

Das Verfahren ist nicht der einzige Ansatz gegen Erblindung. Zum Beispiel werden seit 2002 Retina-Implantate am Menschen getestet, die Sinnesinformationen in elektrische Reize umsetzen und an die Nervenzellen weiterleiten. Diese Implantate können jedoch nicht mehr als 100 Nervenzellen gleichzeitig aktivieren. In der Netzhaut aber gibt es rund eine Million Ganglienzellen. "Wenn wir nur zehn Prozent dieser Zellen mit Kanal-Rhodopsin-2 bestücken können, wären das 100.000 Kanäle", sagt Pan, gegenüber den Implantaten ein riesiger Fortschritt.

Doch ganz ohne Nachteile funktioniert die Algen-Gen-Einschleusung nicht. Normalerweise verarbeiten die drei Schichten der Retina die Sehinformation, bevor sie an das Gehirn geschickt wird. Ohne diese Vorverarbeitung könnte es für das Gehirn schwer werden, die Signale aus umgebauten Ganglienzellen zu verstehen. Was genau die Patienten in der Studie von RetroSense also sehen werden, kann Pan nicht vorhersagen. "In jedem Fall werden sie keine Farben erkennen." Denn die hybriden Nervenzellen reagieren alle gleich auf Licht, egal welcher Wellenlänge, anders als die echten Sehzellen.

Dennoch: Mit 100.000 algengeförderten Sehzellen könnten Patienten mit Retinitis pigmentosa ein bisher ungeahntes Level an Sehkraft erreichen. Und: Funktioniert die Therapie, könnte Optogenetik auch bei der Behandlung von Parkinson, Epilepsie oder Taubheit helfen, meint Pan. Von klinischen Studien seien diese Ansätze allerdings noch weit entfernt.

(jle)