Verriss des Monats: Das taumelnde Terrarium

2003 lief der letzte weltweit gebaute Käfer vom Band. Nun hat die Spielzeugfirma Mattel ein neues, zweifelhaftes Käferauto auf den Markt gebracht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

2003 lief der letzte weltweit gebaute Käfer vom Band. Nun hat die Spielzeugfirma Mattel ein neues, zweifelhaftes Käferauto auf den Markt gebracht.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

I.

Als Gregor Samsung eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich zu einem ungeheueren iPhone verwandelt.

Es gibt solarbetriebene kleine Grashüpfer, Raupen (hier in lustigem Denglisch) und natürlich auch Käfer, die dem zeitgenössischen Kinde die Vorzüge moderner Technologie spielerisch nahezubringen versuchen.

Natürlich deshalb, weil der Käfer gewissermaßen das Wappentier der Informatik ist. Den Bug, unlösbar mit dem Begriff Software verbunden, gab es allerdings nur am Anfang wirklich, also in analoger Form. Die meisten werden die Geschichte von Grace Hopper kennen, die 1947 am Harvard Mark II, einem Riesentrumm von elektromechanischem Computer, als Programmierpionierin arbeitete (sie hat unter anderem den Compiler erfunden) und eine Motte in einem Relais gefunden haben soll, nach der Computerfehlfunktionen seither den Namen Bug tragen.

Die Motte zwischen zwei Relaiskontakten gab es tatsächlich, aber als sich die Legende verbreitete, sie sei es gewesen, die das Tier gefunden habe, wies Hopper später darauf hin, dass es ein Wartungstechniker aus ihrem Team gewesen war, der die Motte gefunden und in das Rechner-Logbuch eingeklebt hatte. Als sich der Vorfall ereignete, war sie gar nicht da.

II.

Als Gregor Samstag eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich zu einem ungeheueren Wochenende verwandelt.

Im Juli 2003 lief in Mexiko der letzte weltweit gebaute Käfer vom Band. Nun hat Mattel ein neues Käferauto auf den Markt gebracht, den Bug Racer. Das Spielzeug wird entweder per Autopilot gesteuert – oder von einer lebenden Grille ("Powered by eleCRICKETy"), deren Verhalten in der Fahrerkabine als Lenkimpulse benutzt werden. Man kann natürlich auch Schaben verwenden, bei Mattel meidet man aber den Hinweis auf Ekelgetier.

In einem Instruktionsvideo spricht ein gewisser Jeffery X. Bugman, seines Zeichens "Insektenflüsterer", ganz aufgeregt von der "perfekten Hochzeit von Natur, Technologie und dir". So gesehen, ist es allerdings eine anachronistische Zwangsheirat. Ein Insektengreifer für Ängstliche gehört zum Lieferumfang des Fahrzeugs, man könne aber auch eine Grille im Zoofachhandel erwerben.

Mit der lebenden Steuerung verwandelt sich das Spielzeugauto dann in ein taumelndes Terrarium – es sind die Fluchtversuche des Tiers, die Bewegung nach links oder rechts signalisieren und den Wagen in die jeweilige Richtung fahren lässt. Um dem Insekt in seiner instinktiven Verzweiflung zuzusehen, lässt sich hinten an dem grünen Kleinstwagen in der Art eines wissenschaftlich gepimpten Reserverads ein Vergrößerungsokular ansetzen. Mit einem Knopf, dem Bug-Button, lassen sich verschiedene unterschiedliche Rennmodi einstellen, so können unter zwei Bug Racer gegeneinander antreten.

Für das 35 Dollar teure zweifelhafte Vergnügen hat Mattel in den USA zurecht einen massiven Shitstorm kassiert. Denn da wir uns in Zukunft alle von Insekten ernähren sollen gilt auch hier: Mit dem Essen spielt man nicht.

Kinder sind grausam. Wer hat nicht als Kind eine Grille oder Marienkäfer in einer Streichholzschachteln gefangengehalten? Diese evolutionär bedingte Grausamkeit in Empathie auch nichtmenschlichen Lebewesen gegenüber zu verwandeln, ist eine der wesentlichen Aufgaben von Erziehung. Das Ganze mit Sensoren und dem Schülermikroskop-Impetus statt als Tierquälerei als eine Art Experimentierkasten auf Rädern daherkommen zu lassen, ist einfach nur daneben. Vielleicht gibt's ja mal im KFZ-Handel ein richtiges, echtes Auto, in das man Mattel-Entwickler oder -Marketingmenschen einsperren und von ihrem Angstgezappel steuern lassen kann.

III.

Franz Kaufka über Shopping: "Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Käufer verwandelt."

Und hier noch das Original. ()