Lebenskünstler oder Scharlatan?

Der italienische Thoraxspezialist Paolo Macchiarini wird noch einmal überprüft, ob er sich des Forschungsbetrugs schuldig gemacht hat. Aber mit anderen Fakten scheint es der vorgebliche Wunderdoktor auch nicht so genau zu nehmen.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Der italienische Thoraxspezialist Paolo Macchiarini wird noch einmal überprüft, ob er sich des Forschungsbetrugs schuldig gemacht hat. Aber mit anderen Fakten scheint es der vorgebliche Wunderdoktor auch nicht so genau zu nehmen.

Wer dieser Tage von dem Skandal am Stockholmer Karolinska-Institut hört, wird sich schon ein wenig wundern. Darüber, wie sich eine angesehene medizinische Universität und das ihr angeschlossene Krankenhaus derart vorführen lassen. Doch lange klang wohl alles zu gut für die Wissenschaftler, aus deren Reihen die Vorschläge für die Medizin-Nobelpreise kommen, – um nicht wahr zu sein.

2010 holten die schwedischen Forscher den italienischen Luftröhren-Spezialisten Paolo Macchiarini als Gastprofessor nach Schweden. Dort erzielte er angeblich mit einer künstlichen Luftröhre seinen Durchbruch, die er dem an Luftröhrenkrebs erkrankten Andemariam Teklesenbet Beyene einsetzte. Das synthetische Organ hatte Macchiarini zusätzlich mit Stammzellen des Patienten besiedelt, damit sich im Körper neues Gewebe und nach und nach ein neues Organ bilden könne: so das Setting des Projekts.

Der Italiener wurde jedenfalls weltweit als Erneuerer der regenerativen Medizin gefeiert und veröffentlichte seine Ergebnisse 2011 im renommierten Fachjournal The Lancet. Erst, als der auf Island lebende Mann aus Eritrea 2014 starb, zeigte die Obduktion, dass sich die eingesetzte künstliche Luftröhre teilweise abgelöst hatte, dass der Zugang zur Lunge durch entzündetes Gewebe verstopft war und die Luftröhre nur von einem Drahtgerüst offen gehalten wurde. Von dem neuen gesunden Luftröhrengewebe, das Macchiarini als Erfolg ausgegeben und dokumentiert hatte, war nichts zu sehen.

Einige Kollegen wurden – so ein Bericht des Deutschlandfunks – skeptisch und verglichen die Forschungsergebnisse mit den Daten aus den Krankenakten: "Dabei fiel uns unter anderem auf, dass in dem wichtigsten Artikel, der 2011 im Fachmagazin 'Lancet' veröffentlicht wurde, mehr oder weniger gar nichts stimmte", sagte Karl-Henrik Grinnemo, der 2014 gemeinsam mit drei weiteren Kollegen Macchiarini bei der Institutsleitung anzeigte, dem Sender.

Und da beginnt der eigentliche Skandal. Denn obwohl ein externer Gutachter zu ähnlichen Ergebnissen kam und "Forschungsbetrug" konstatierte, stellte sich das Direktorium weiterhin hinter seinen Star-Chirurgen, der zu der Zeit ebenfalls in Russland synthetische Luftröhren einsetzte, auch bei nicht lebensbedrohlich erkrankten Patienten. Selbst das Wissenschaftsjournal Lancet hielt dem italienischen Wunderdoktor noch im vergangenen September explizit die Treue und verkündete: "Paolo Macchiarini ist des wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht schuldig."

Doch inzwischen kam der Stein ins Rollen, wie die Webseite Retraction Watch dokumentiert. Mittlerweile trat jetzt nicht nur Anders Hamsten als Vizekanzler des Karolinska von seinem Amt zurück. Sogar Urban Lendahl legte seine Funktion als Generalsekretär der Nobelpreisversammlung nieder. Denn der Genetiker befürchtet in die Macchiarini-Untersuchung involviert zu werden, da er dessen Gastprofessur mit unterstützte. Liest man Macchiarinis eigenen Post auf Retraction Watch, hat man den Eindruck, an dem Mediziner prallt alles ab.

Und so scheint es auch zu sein. Wie Phönix aus der Asche ging der Wunderdoktor bisher aus allem hervor. Dass er ungehindert an seinem Lebenslauf herumgebastelt hatte, stellte eine Berufungskommission in Florenz fest, wo er einem äußerst ausführlichen Report des US-Magazins Vanity Fair zufolge im Jahr 2009 zum ordentlichen Professor ernannt werden sollte. Man löste den Konflikt auf die diplomatische Art: Macchiarini bekam Titel und Position nicht, aber man ließ ihn in der Öffentlichkeit sein Gesicht wahren.

Vielleicht hätte eine zeitigere Aufdeckung der Machenschaften Menschenleben gerettet. Acht von den Patienten, denen Macchiarini in Schweden eine künstliche Luftröhre einsetzte, starben. Dass der Artikel in der Vanity Fair den Mediziner, der sich bisher wohl keinem Journalisten gegenüber geäußert hat, als Hochstapler entlarvt, katapultiert die Story indes in eine ganz andere Kategorie. Dem Autor der Zeitschrift, Adam Ciralsky, zufolge, brüstete sich der Stardoktor nicht nur einer Fernsehproduzentin gegenüber, der er den Hof machte, der Arzt des Papstes zu sein. Sondern er versprach ihr zudem, Franziskus werde sie in seiner Sommerresidenz trauen.

Diese Blase ist im vorigen Sommer geplatzt. Nun darf man gespannt sein, wann in beruflicher Hinsicht der Schlussstrich gezogen wird. Anfang der Nullerjahre hat der Italiener übrigens auch in Hannover ein Gastspiel gegeben, verabschiedete sich aber rechtzeitig nach Barcelona: ein wahrer Kosmopolit. (inwu)